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Systemcheck

Auf der linken Spur

Das ZDF wagt den humorigen Systemcheck (DI, 17.3.). Aber mal ohne Witz: Hat der Osten den Westen nicht längst überholt?

Wo lag das bessere Deutschland, fragt der ZDF-Dokuzweiteiler Geh doch nach drüben! 25 Jahre nach dem Ende der deutschen Teilung. Das ist natürlich nicht ernst gemeint, sondern ein Systemcheck mit Trabbi, FKK und viel Humor, in dem vor allem die Alltagsmythen der DDR nostalgisch betrachtet und belächelt werden.

Weil man darüber schnell vergisst, dass die neuen Länder im heutigen Gesamtdeutschland in vielerlei Hinsicht die Richtung vorgeben, lässt Dokumentarfilmer Karlo Malmedie mächtig schmunzeln: "Wer vor 20 Jahren prophezeit hätte, dass die höchsten Repräsentanten des Staates ehemalige DDR-Bürger sind, den hätte man zum Arzt geschickt."
Tatsächlich stehen Kanzlerin Merkel und Bundespräsident Gauck geradezu sinnbildlich für den Einfluss, den der Osten nicht nur in der Politik genommen hat. Eine Erfolgsgeschichte wie aus dem Märchenland, oder wer hätte seinerzeit für möglich gehalten, dass die besten Fußballer schon bald Ossis waren wie Michael Ballack?

Okay, in Kunst und Kultur waren die "drüben" immer vorne weg. Als alle Welt mit Christoph Waltz einen Österreicher zum "deutschen" Hollywood-Star machte, hatten wir dort mit Armin Mueller-Stahl bereits einen. Bis heute gilt im Schauspiel: Die Besten kommen nicht aus dem Westen. Ausnahme: Sie haben ihre Lektion im Osten gelernt wie die Stuttgarterin Nina Hoss an der Kaderschmiede für Schauspielkunst, der Hochschule Ernst Busch.

Mit Jan Josef Liefers, Matthias Schweighöfer oder Anja Kling rekrutiert sich ein Großteil der A-Promis in Film und Talkrunden aus dem einstigen Arbeiter-und-Bauern-Staat. Die Vormachtstellung in der Showsparte unterstreicht Inka Bause, die ihrer Landsmännin Carmen Nebel nachfolgte, während auf den Festivalbühnen Ost-Acts wie Clueso, Kraftklub und Silbermond den Ton angeben. Vielleicht ein Glück, dass Helene Fischer eigentlich Jelena Petrowna heißt und noch weiter östlich beheimatet ist, in Sibirien nämlich.

West schluckt Ost(sekt)

Aber wenn's ums Geld geht - nee, oder? Doch. Der Osten präsentiert sich mittlerweile auch ökonomisch als Success-Story. So ist die Entwicklung der ostdeutschen Landwirtschaft nach der Wiedervereinigung ein später Erfolg der DDR: Aus ehemaligen LPGs wurden großflächige Agrarbetriebe, in denen heute mit besseren Ergebnissen gewirtschaftet wird als in den alten Bundesländern.

Auch auf anderen Wirtschaftsfeldern sind die fünf neuen Länder führend wie mit der Schampus-Traditionsmarke Rotkäppchen: Kaum jemand wollte den Sekt - zu DDR-Zeiten teure "Bückware" - nach der Wende noch trinken. Heute ist die Kellerei aus Sachsen-Anhalt der Branchenprimus, hat die renommierten Westmarken Mumm und Blanchet mal eben kassiert. Auch die Biere Radeberger und Hasseröder, Spee Waschmittel oder Florena Kosmetik haben ihren DDR-Charme ab- und eine Erfolgsgeschichte hingelegt.

Besonders eindrucksvoll präsentiert sich der Vorsprung Ost im Umweltschutz: Nirgendwo auf der Welt wurden mehr CO² und Staub ausgestoßen als in der DDR - bezogen auf die Einwohnerzahl. Heute wäre selbst die einst schmutzigste Stadt Europas, Bitterfeld, reif für die Grüne Woche. Mecklenburg-Vorpommern ist mit seinen weißen Sandstränden und Seebädern mittlerweile Tourismus-Bundesland Nummer eins.

Dass viele Ost-Kommunen heute ausgeglichene Bilanzen vorlegen, während Städte in den alten Bundesländern im Schuldensumpf versinken, gab's zwar nicht für lau, ist aber nicht ausschließlich dem Soli anzurechnen. Dresden ist jedenfalls schuldenfrei.

Dass das Elbflorenz mit seinen Pegida-Demos eine bundesweite Wutbürgerbewegung losgetreten hat, zeigt aber auch: Nicht alles aus dem bundesrepublikanischen Morgenland ist auch gut. Wer aber glaubt, lediglich Dönekes wie der DDR-Scooter Schwalbe und die Rechtsabbieger-Ampel seien Errungenschaften, die der Osten ins große Ganze eingebracht hat, der irrt gewaltig.

Übrigens, Malmedie hatte bei seiner televisionären Rückschau Probleme, geeignetes Filmmaterial aus der alten BRD zu finden. "Der Osten war da viel ergiebiger und handwerklich sensationell." Man hätte es sich denken können.

Heiko Schulze

Geh doch nach drüben!
DI 10.3./17.3. ZDF 20.15 Uhr