Schmutzstarrende Arbeiter mit bloßen Oberkörpern quälen sich mit schweren Säcken durch rußgeschwärzte Backsteingassen, Flammen schlagen rechts und links aus Hochöfen; nachts erbrechen sich Betrunkene an den Mauern, andere treiben es mit zerlumpten Huren in Hauseingängen.
Wenn man den Bilderwelten der großartigen BBC-Gangsterserie "Peaky Blinders" glauben darf, war die englische Arbeiterstadt Birmingham im Jahr 1919 eine Art Vorzimmer zur Hölle. "In Birmingham gab es direkt nach dem Ersten Weltkrieg viele Soldaten, die Schreckliches erlebt hatten", sagt Steven Knight, Autor der Serie. "Viele Waffen waren im Umlauf, es gab viele Gesetzesübertretungen, viele illegale Wetten."

Wesentlicher Bestandteil dieser Vorhölle waren auch diverse Gangs, die die Straßen kontrollierten - allen voran die Peaky Blinders, die wegen ihrer Schiebermützen gefürchtet waren. In den Schirmen der Mützen waren Rasierklingen eingenäht, sodass eine Kopfnuss erhebliche Verletzungen anrichten konnte und - der Legende nach - die Opfer der Bande auch manchmal erblinden ließ. "Der Onkel meines Vaters war tatsächlich ein Peaky Blinder. Das ist bei uns eine Art Familienlegende. Ich habe mir immer vorgestellt, wie der wohl gewesen sein mag", sagt Knight. "Es gibt kaum Material über die Gangs, diese Ära ist historisch nicht gut erschlossen."
In seiner Geschichte macht Thomas Shelby (Cillian Murphy) als Juniorchef der Blinders gute Geschäfte mit illegalen Pferdewetten. Als seine Handlanger bei einem Einbruch die falsche Ware stehlen, fällt Shelby statt der Motorräder eine Ladung modernster Schusswaffen in die Hände. Eigenmächtig beschließt er, diese zu behalten; und fortan hat die Bande mit Inspector Campbell (Sam Neill) und seinen Männern zu kämpfen. Der ehrgeizige Campbell will mit allen Mitteln verhindern, dass die Gewehre in die Hände der frisch gegründeten IRA gelangen, die ein von Großbritannien unabhängiges Irland mit Gewalt durchsetzen will. Die Serie erzählt das alles pompös, wuchtig, unmissverständlich. Es gibt einen blutigen Schirmmützeneinsatz in Zeitlupe, es gibt saftigen Sex. Steuert Shelby sein Rennpferd durch die Gassen, raunt dazu Nick Cave. Gibt es Stress, machen die "White Stripes" Krach.
Das Schöne ist hier nicht ohne das Hässliche zu haben. Albtraumhafte Schützengrabenerinnerungen werden mit der Opernaufführung gegengeschnitten; die hübsche Kellnerin Grace singt betörend schön - während sie die ekelhafte braune Brühe aus den Spucknäpfen zusammenkippt. Übrigens eine harmlose Mischung aus Ahornsirup und gehackten Datteln.

Sind die Verbrechen der 20er-Jahre wirklich so wenig bekannt, wie Steven Knight denkt? Auf jeden Fall läuft deren Fiktionalisierung derzeit auf Hochtouren. Die US-Serie "Boardwalk Empire" über die Prohibitionszeit bringt es auf fünf Staffeln. In Deutschland entstehen Kinofilme über Regielegende Fritz Lang, Tom Tykwers Serie "Babylon Berlin" soll den damaligen kriminellen Untergrund der 20er mit einem Sensationsbudget erfahrbar machen. Arte zeigt die erste Staffel von "Peaky Blinders" in Doppelfolgen an drei Terminen. Eine zweite Staffel lief in Großbritannien erfolgreich und ist auf DVD erhältlich, eine dritte ist in Arbeit. Irgendwie lohnt sich Verbrechen doch.

Peaky Blinders
DO, 12.3., Arte, 20.15 Uhr


F. I.-Aures