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Neue ZDF-Sitcom

"Lerchenberg"

Lerchenberg
Wunderbar selbstironisch: "Lerchenberg" mit Sascha Hehn (ab 5.4.) Sender

Die Sitcom, in der sich das ZDF zum Jubiläum selbstironisch auf die Schippe nimmt, ist großartig gelungen

Am Ende siegte dann doch wieder die Angst vor der eigenen Courage: Die Programmplaner schoben "Lerchenberg" ins Spätprogramm. Das ist schade, denn die Sitcom, in der sich das ZDF zum Jubiläum selbstironisch auf die Schippe nimmt, ist großartig gelungen. Und sie steht für jene neue Leichtigkeit, die man noch vor einigen Jahren niemandem weniger zugetraut hätte als ausgerechnet dem Zweiten.
Dem "Kukidentkanal", der mit seinen 50 Jahren immer noch zehn Jahre jünger ist als seine Durchschnittszuschauer. Und der jahrzehntelang als Heimstatt des Biedersinns und Konservatismus galt.

Der war dem Sender praktisch in die Wiege gelegt. Konrad Adenauer wollte 1961 ein zweites Fernsehprogramm einführen, das anders als die ARD nicht den Ländern, sondern dem Bund untersteht - also praktisch seiner Regierung. Doch das Verfassungsgericht stoppte das Staats-TV.
Nach zähem Ringen einigte man sich auf einen neuen Sender, der zwar den Ländern unterstellt, aber zentral organisiert sein sollte. Am 1. April 1963 nahm das Zweite Deutsche Fernsehen den Sendebetrieb auf.

TV aus der Provinz

Adenauers Wunschkandidat Karl Holzamer prägte als Gründungsintendant die Anfangsjahre, sein Ziehsohn Dieter Stolte sollte sein Vermächtnis bis ins neue Jahrtausend tragen. Ein etwas piefiges Odeur umgab in diesen Jahrzehnten das Programm: Man fischte mit dem "Traumschiff" im Seichten und zelebrierte mit Häns­chen Rosenthal Sternstunden der Harmlosigkeit.

Wo das Erste mit der "Lindenstraße" deutsche Wirklichkeit ins Wohnzimmer lieferte, lullte das ZDF die Zuschauer in die heile Welt der "Schwarzwaldklinik". Die hirnerweichende Dämlichkeit der Sketche in Ilja Richters "Disco" (1971-1982) kann heute nur noch ermessen, wer damals als Zuschauer dabei gewesen ist.

Den Kontrast bildete der bleierne Ernst, mit dem Eduard Zim­mermann in "Aktenzeichen XY" nach meist "südländisch aussehenden" Tätern fahndete. Oder Kommunistenfresser Gerhard Löwenthal, der Woche für Woche gegen "Linksradikale aller Schattierungen" polterte. Dass dessen "ZDF-Magazin" schon per Titel als Aushängeschild des Senders gelten musste, trug dazu bei, dass die Mainzelmännchen bei allem Bemühen ums politische Gleichgewicht als notorisch CDU-nah galten.

Mitte des vergangenen Jahrzehnts jedoch begann sich etwas zu tun im Zweiten. In TV-Filmen wie "Nachtschicht" durften sich Regisseure an neuen, zeitgemäßeren Erzählweisen versuchen. Dokus wie "2057 - Unser Leben in der Zukunft" strahlten ungewohnte Weltläufigkeit aus. Und im Nachtprogramm konnte man dem abgedrehten Raumpiloten "Ijon Tichy" begegnen.

Einer kleinen Revolution kam es gleich, als 2007 "Neues aus der Anstalt" Premiere feierte. Denn seit 1979 war das ZDF satire- und kabarettfreie Zone gewesen. Damals hatte Dieter Stolte nach Politikerbeschwerden bei Dieter Hildebrandts "Notizen aus der Provinz" den Stecker gezogen.

Das Zweite überholt Das Erste

"Falls es Beschwerden gibt, bekommen wir nichts davon mit. Die Redaktion in Mainz lässt uns völlig unbehelligt", schwärmt Oliver Welke vom neuen Geist auf dem Lerchenberg. Seine "heute-show" wäre vor zehn Jahren im ZDF undenkbar gewesen und lässt die satirische Konkurrenz alt aussehen. Auf die Frage, ob seine Bürosatire "Stromberg" auch in der ARD möglich wäre, antwortete Christoph Maria Herbst: "Also wenn überhaupt, könnte ich mir ,Stromberg‘ im ZDF vorstellen."

Auch in anderen Sparten hat das Zweite Das Erste überholt. Beispiel Nachrichten: Während die ARD-"Tagesschau" in Ehrfurcht vor sich selbst erstarrt, ha­ben "heute" und "heute-journal" vorgemacht, wie man sich modernisiert, ohne der journalistischen Glaubwürdigkeit zu schaden. Technisch liegen die Mainzer seit dem Studioneubau sowieso vor den Hamburgern. Und mit Claus Kleber hat das ZDF den einzigen deutschen News-Anchor von internationalem Format.

Der bessere Filmsender

Beispiel TV-Film: Trotz Pilcher, Lindström & Co. ist der Trashfaktor im ZDF deutlich geringer als in der ARD: Bei elf Prozent der Filme, die 2012 im Ersten liefen, musste TV SPIELFILM die schlech­teste Note "Daumen runter" vergeben. Nur sechs Prozent der ZDF-Filme kassierten diese Bewertung. Und es war das ZDF, das zuletzt mit Produktionen wie "Die Wölfe" oder "Unsere Mütter, unsere Väter" Maßstäbe gesetzt hat, die im deutschen Fernsehen unerreicht sind.

Beispiel Internet: Das ZDF hat von allen Sendern die technisch ausgereifteste und inhaltlich attraktivste Mediathek. Es erreicht seine Zuschauer über alle wichtigen neuen Kanäle. Rund 140 000 Follower zählt der Sender bei Twitter (ARD: 15 000). Und er kann sich mit dreimal so vielen Facebook-Likes schmücken wie Das Erste.
"Die Zielgruppe des ZDF ist die ganze Gesellschaft. Deshalb müssen wir mit unserem Programm verstärkt jüngere Zuschauer erreichen", sagt ZDF-Intendant Thomas Bellut. Bei seiner Verjüngungskur kommt ihm zugute, dass sein Sender zentral organisiert ist. Anders als die träge ARD, die sich mit ihren neun Intendanten immer wieder selbst blockiert.

Noch steht das ZDF am Anfang des Weges. Schön wäre es, wenn Mut und Innovationsfreude des tollen Digitalkanals ZDF neo stär­ker aufs Hauptprogramm abfärben würden. Stattdessen ließ man Joko und Klaas, die Stars des Nischensenders, offenbar kampflos zur privaten Konkurrenz ziehen. Ein Jammer ist es auch um ZDFkultur: Erst vor zwei Jahren gestartet, soll nun ausgerechnet eines der ambitioniertesten Mainzer Projekte dem Sparzwang geopfert werden.

Manche Jugendpose wirkt ungelenk: So prägte ZDF-Moderatorin Jeannine Michaelsen ("log in") unfreiwillig das Berufsbild der "Twitter-Tussi". Und wenn im eher betulichen Morgenmagazin unverhofft der junge Blues-Gitarrero Gary Clark Jr. lautstark loslärmt, schwappt sicher so mancher Omi der Kaffee HAG aus der Tasse. Dem neuen Jugendkult ist auch geschuldet, dass das Geburtstagsprogramm fast verschämt daherkommt. Retroperlen, die zu Senderjubiläen dazugehören, versteckt das ZDF im Früh- und Nachtprogramm.

"Ich glaube nicht, dass wir den Zuschauern einen Gefallen täten, wenn wir die ganzen alten Sachen hervorkramen würden", druckst der stellvertretende Programmdirektor Reinhold Elschot. Schade, denn auch oh­ne diese selbst verordnete Abstinenz gelingt dem ZDF das Kunststück, an seinem 50. Geburtstag jünger auszusehen als je zuvor. Allein das verdient herzliche Glückwünsche!

Christian Holst