Es gibt so Dinge, wenn man die bei anderen beobachtet, dann kommen sie einem zumindest merkwürdig vor, tut man es selbst, erscheint es einem beinah normal. Im Zug-Abteil die Schuhe ausziehen. Ohrhaare schneiden. "Crime" lesen. Maoam-Kracher vor dem Verzehr in einer Reihe auf dem Tisch auslegen. Oder gefühlt eine halbe Stunde lang zwei Leuten dabei zuzuschauen, von denen der eine von rückwärts auf vorwärts geschraubt krudes Zeug faselt, sein Gegenüber, mit heruntergezogenen Mundwinkeln stoisch dreinschauend, den Kopf schief legt und ab und zu so etwas wie "Ach..." oder "So so" sagt, das ganze dann auch noch in Schwarz-Weiß. Die erste Folge von "Twin Peaks" ist keine zehn Minuten alt und man bekommt als Zuschauer sofort wieder dieses Gefühl, man müsse die Vorhänge zuziehen, damit keiner mitbekommt, was für einen Irrsinn man sich anguckt.

"Gothic Sudoku" nennt der gute Linus Volkmann, die knuffige Indie-Meckerecke mit der Kassenbrille, die mit Heißhunger erwartete dritte Staffel der einstigen 90er-Kultserie aus der Feder von David Lynch. "Gothic"...na ja. "Sudoku" eher nicht. Möchte man beim asiatischen Feierabend-Drudel noch irgendwie einem real existierenden Ergebnis näherkommen, ist "Twin Peaks", spätestens jetzt und damit 25 Jahre nach der Kernfrage, wer denn nun eigentlich Coopers Laura abgemurkst hat, alles mögliche, aber ganz bestimmt nicht lösungsorientiert.

Als hätte man David Lynchs Bewusstseinsstromschnellen in Slo-Mo abgefilmt, ist TP3 eher so etwas wie eine morbide Meditation in Moll, eine zähe Wasserfolter in unterhaltsam, ein labyrinthisches "Haunted Arthouse" voller Selbstreferenzen, telemediales Splatter-Petting, bei dem man sich als Zuschauer schon nach der ersten Folge dabei ertappt, auf dem Balkon Richtung Baum zu horchen, ob der vielleicht irgendwas sagt.

Das sagt die Presse über Twin Peaks

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Und was sagt die Presse sonst so? Vom oberen Ende der Skala grüßt der "Hollywood Reporter": "So unheimlich, aufwühlend und auf eine kühne Art witzig, wie es viele der besten Stellen der Originalserie waren." Der britische "Guardian" spricht von einem "modernen Märchen, auf LSD geschrieben und anschließend vom CIA bearbeitet." Zeit Onlines Carolin Ströbele stößt sich daran, "dass Lynch altbekannte Bilder so lange ausschlachtet, bis sie vollends ihren Grusel verlieren. Ihm sind offensichtlich auch keine adäquaten neuen eingefallen. Ein Alien, eine deformierte Leiche - damit setzt man heute keine Standards mehr."

Wunschliste.de zeigt sich da deutlich versöhnlicher: "David Lynch und Mark Frost verpflanzen den Geist der Serie in ein ganz und gar heutiges Geschehen. Das Resultat ist weniger behaglich als früher, behält aber das "Twin Peaks"-Gefühl jederzeit bei. Es ist ein beglückend perfekter Mix aus Altem und Neuem geworden."

Und wir von tvspielfilm.de? Ich schlüpfe spätestens morgen abend wieder in hohe Stöckelschuhe, lege den Baumstamm parat, schiebe den Kirschkuchen in den Ofen, ziehe die roten Vorhänge zu und bin gespannt, wie es mit Dale Cooper, der Log-Lady und all den anderen weitergeht.
Autor: Ingo Scheel