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Kopfschmerz-TV

Das große Wackeln

The Blair Witch Project
Authentizität durch hektische Reportagekamera: "The Blair Witch Projekt" Verleih

Unruhige Einstellungen mit Handkamera sind das Stilmittel des modernen Kinos. TV-Krimis folgen der Mode. Das nervt

Nein, es liegt nicht an Ihrem Fernsehgerät. Das anstrengende Wackelbild beim TV-Krimi, beim Interview, dem Magazinbeitrag, dem viele Millionen Dollar teuren Kino-Blockbuster - das ist gewollt. Warum eigentlich?

Der französische Regisseur Jean-Luc Godard machte mit seinem Nouvelle-Vague-Klassiker "Außer Atem" (1960) den Anfang. Angeblich hatte der Filmrevolutionär schlicht vergessen, rechtzeitig vor Drehbeginn seines Debüts eine branchenübliche statische Kamera zu bestellen. Die Handkamera, mit der er sich begnügen musste, erzeugte nur wackelige, unruhige Bilder. Diese wirkten aber seltsam lebendig. Die geringe Größe und das moderate Gewicht des Geräts machten Kameramann Raoul Coutard zudem beweglich.

Er konnte dicht an den Darstellern bleiben und ihren Bewegungen leicht folgen. Das erzeugte eine bisher nicht gekannte Dynamik und Intimität. Die schaukelige Kameraführung hatte noch einen anderen Effekt: Dem Zuschauer wurde immer wieder ins Bewusstsein gerufen, dass es da jemanden geben muss, der die Kamera bedient. Der Illusionscharakter des Films wurde so absichtlich gebrochen, die Künstlichkeit der Inszenierung bewusst in den Vordergrund gestellt.

Diese Stilmittel der filmischen Avantgarde entdeckte in den frühen 80er-Jahren das Musikfernsehen für sich. Die Beiträge sollten jung, verrückt und unkonventionell wirken. Während die Interviews und Konzerte mit professionellen Kameras aufgezeichnet wurden, hielt auch ein Praktikant mit einer billigen Videokamera drauf.

Die Zitter-Sequenzen wurden dann mit dem normalen Material gegengeschnitten. Mittlerweile wird diese Technik auch für viele Magazinbeiträge angewandt. Die ständige leichte Bewegung im Bild soll auch helfen, die Aufmerksamkeit der Zuschauer zu halten. Aus dem gleichen Grund haben auch moderne Nachrichtensendungen oft ein Tickerband oder ein sich ständig bewegendes Animationselement im Bild.

Und auch im Kino ruckelt es seit rund zehn Jahren kräftig. Als preiswerte Alternative zu geleckten Effektorgien wie "Independence Day" oder "Godzilla" imitierte "Blair Witch Project" den Look echten Nachrichtenmaterials, das im Sturm verheerender Ereignisse hastig gefilmt wurde. Nach dem "Blair Witch"-Vorbild sind so mit "[•REC]" oder "Diary of the Dead" eine ganze Reihe von (Horror-)Filmen entstanden, die ihren fiktionalen Charakter raffiniert vertuschen und vorgeben, "gefundenes Material" zu sein. Exzessiv eingesetzt wurde die tattrige Handkamera zuletzt in "Cloverfield". Dass man das Monster meist nur kurz und ausschnitthaft zu sehen bekommt, macht die Sache umso gruseliger.

Längst hat der Kinotrend auch auf TV-Filme übergegriffen. In Krimis wie "KDD" oder "Polizeiruf 110" wackelt es inzwischen gewaltig. Was die Macher künstlerisch wichtig, avantgardistisch oder einfach nur chic finden, provoziert bei den Zuschauern allerdings oft nur eine einfache Frage: Was soll das? 

Christian Holst/Frank Aures