Sie sind jung. Und sie sind mitreißend. Wenn sie einen Crystal-Meth-Rausch erfahrbar machen wie Elisa Schlott im "Tatort". Wenn sie als richtungslose Jugendliche im Rostock-Lichtenhagener Brandmob mitmischen wie Jonas Nay im Kinodrama "Wir sind jung. Wir sind stark."

Wenn sie irre vor jugendlichem Tatendrang durch das Leipzig der Nachwendezeit rasen wie der junge Cast von "Als wir träumten" mit Merlin Rose, Julius Nitschkoff und ganz besonders Joel Basman. Ausnahmetalent Basman spielt auch in den zuvor genannten Filmen Hauptrollen.
Ihre Namen und einige mehr fallen in der TV SPIELFILM-Redaktion immer wieder, wenn sich Kollegen begeistert über die Filme unterhalten, die herausragen, die man nicht so schnell vergisst.

Sie alle eint ihr junges Alter - Anfang/Mitte 20 -, ihre Ausdruckskraft und die Tatsache, dass die meisten ohne Ausbildung spielen. Wo kommen die alle auf einmal her? Wie können die so gut sein?

Viel Erfahrung schon mit Anfang 20

"Viele dieser jungen Schauspielstars, sei es Jonas Nay oder Ruby O. Fee, haben schon als Kinder angefangen", erklärt Bo Rosenmüller, die als Casterin Talente für TV-Filme und -Reihen wie "Tatort" oder "Soko" zusammenstellt. "Wer so früh anfängt, hat mit Anfang 20 natürlich schon wahnsinnig viel Erfahrung."

Tatsächlich standen Jonas Nay, Merlin Rose und auch Carolyn Genzkow schon für Kinderserien wie "Die Pefferkörner" oder "KRIMI.de" vor der Kamera. Aber erklärt das die momentane Talentdichte? Kinderserien mit jungen Darstellern gibt es schließlich schon seit Anbeginn des Fernsehens.

Was sich verändert hat, ist der Zugang zur Filmszene. Die Eintrittspforte steht heute weit auf. "Durch die Castingshows haben die Kinder das Gefühl, sie können sich auch bewerben", sagt Rosenmüller. "Jeder kann sich tapen und bei YouTube hochladen, so kommen Talente viel schneller an die Oberfläche."

Solche wie Elisa Schlott, die sich als Kind sogar ohne Wissen der Eltern via Online-Formular bei einer Castingagentur bewarb. "Es gibt immer wieder solche Wellen von Talenten", sagt Regisseur Christian Schwochow ("Bornholmer Straße"), der mit Elisa Schlott und Joel Basman den Kieler Drogen-"Tatort: Borowski und der Himmel über Kiel" inszenierte.

"Als ich 2007 für meinen Film ‚Novemberkind‘ gecastet habe, gab es eine Gruppe sehr begabter Schauspieler wie Tom Schilling, Hannah Herzsprung und Anna Maria Mühe. Die wurden sehr bekannt und waren auch nicht auf Schauspielschulen gewesen."

Das "Brat Pack" von heute

Ein bisschen erinnert die derzeitige Konstellation auch an die frühen Achtzigerjahre des US-Kinos. Damals trat eine Gruppe junger Schauspieler, darunter Emilio Estevez, Demi Moore, Charlie Sheen oder Jon Cryer, auf den Plan. Als Freundeskreis, genannt "Brat Pack", prägten sie das Twen-Kino jener Jahre.

Auch heute sind viele der Jungschauspieler befreundet. "Die kennen sich alle und wohnen zum Teil zusammen in WGs, es ist verrückt", sagt Schwochow.

Der Regisseur hält allerdings die darstellerische Qualität junger Schauspieler für sehr unterschiedlich. "Es gibt viele, die relativ häufig besetzt werden, ohne besonders gut zu sein. Elisa und Joel und auch Jonas Nay sind da wirkliche Ausnahmen, ebenso Henriette Confurius, Maria Dragus und Emilia Schüle."

Momentan scheint aber einfach der Bedarf an Schauspielern junger Altersklassen besonders groß zu sein. "Die Themen sind viel radikaler geworden, es werden mehr Geschichten mit jungen Leuten geschrieben", sagt Casterin Rosenmüller und führt das auch auf den Einfluss neuerer US-Serien zurück.

Die Geschichten spiegeln aber natürlich auch einfach gesellschaftliche Realität wider. Anfang Zwanzigjährige können heute Facebook-Millionär sein oder als S-Bahn-Schläger schon einen Menschen umgebracht haben. Wer diese Geschichten erzählen will, braucht entsprechend junges Personal.

Dass man in so jungen Jahren noch kein Schauspielstudium durchlaufen haben kann, versteht sich von selbst. Ohne diese Formung zu spielen hat sogar Vorteile. "Leute ohne Ausbildung spielen mit Intuition, mit sehr viel mehr Bauch", sagt Schwochow.

"Es gibt viele, die sind mit 16, 18, 20 in ihren ersten Arbeiten sehr gut, kommen auch sehr weit, aber dann ist es plötzlich vorbei. Mit 30 haben sie in ihren Rollen alles von sich erzählt und werden langweilig im Spiel. Weil dann doch das Handwerk und Wissen darüber fehlt, wie man sich verwandelt."

Zudem ist dieses ausdrucksstarke, "ungeschützte" Spiel nicht ungefährlich. "Es ist schwierig, wenn man durch eine Ausbildung nicht gelernt hat, wie man sich von einer Figur distanziert", sagt Bo Rosenmüller. "Wenn man nicht weiß, wie man sich schützt."

Welche Wege die jungen Stars gehen werden, ist trotz ihrer Erfolge erstaunlich offen. Einige haben ein Schauspielstudium aufgenommen. Elisa Schlott studiert mittlerweile in Leipzig, Max von der Groeben in München. Jonas Nay studiert ebenfalls - allerdings Jazzpiano in Lübeck.

Er singt in seiner Band Northern Lights, ist an Musik ebenso stark interessiert wie am Schauspiel und wohl dafür auch ähnlich talentiert. Es wird spannend sein, zu beobachten, welcher Neigung er dauerhaft nachgibt.

Der Schweizer Joel Basman hat bereits zwei Jahre lang an einer Züricher Schauspielschule studiert, setzt aber momentan viel Energie in eine eigene Modekollektion. Beide Eltern sind Modedesigner.

Auch Henriette Confurius, die als Tochter einer Schauspielerin schon als Kind vor der Kamera stand, legt Wert auf eine handwerkliche Ausgleichstätigkeit und arbeitet nebenbei bei einem Möbelrestaurator. Sie hat gerade das NS-Drama "Nebel im August" abgedreht, sagt aber im Interview, es "müsse immer etwas neben dem Schauspiel geben".

Jella Haase dreht derzeit zusammen mit Max von der Groeben "Fack ju Göhte 2". Später im Jahr folgt dann ihr Einsatz im neuen Dresdner "Tatort", der derzeit konzipiert wird. Entgegen anderslautenden Pressemeldungen wird das aber nur eine einmalige und keine regelmäßige Rolle sein.

Ruby O. Fee hat mit "Marthes Geheimnis" einen großen Mittelalter-Zweiteiler für die ARD abgedreht, außerdem mehrere Kinofilme und steht für internationale Projekte in Verhandlung. Sie wirkt angekommen. Zumindest einige der jungen Stars werden uns sicher auch noch in Seniorenrollen begeistern.

Frank I. Aures