Diffamiert als "Vaterlandsveräter" (weil er vor dem Hitler-Regime geflohen war), geachtet als Weltbürger und ausgezeichnet mit dem Friedensnobelpreis 1971 für seine Verdienste um die Versöhnung zwischen den Völkern. Zum 100. Geburtstag von Willy Brandt erinnern mehrere Filme an einen Politiker, der das graue Nachkriegs-Deutschland bewegt hat wie kein Zweiter.

Wie seine Art des Auftritts und sein Umgang mit Journalisten - nach dem knöchernen Adenauer und zwei Nachfolgern aus der alten Schule - ein für die damalige Zeit völlig neues Bild von Politik vermittelten, zeigt die beeindruckende 90-minütige Doku Willy Brandt - Erinnerungen an ein Politikerleben von André Schäfer.
Unkommentiert lässt der Filmemacher neben sehenswerten Archivaufnahmen Menschen zu Wort kommen, die Brandt persönlich gekannt haben, darunter die heute 98-jährige Elisabeth Fisher-Spanjer, die den jungen Sozialisten in den 30er-Jahren im Exil in Norwegen kennenlernte.
Dass neben politischen Weggefährten auch viele Journalisten zu Brandts Umfeld zählten, zeigt, welch engen Kontakt der Politiker zur Presse pflegte. "Er hat die Leute an sich herangelassen, wenn er etwas von ihnen wollte, die Medien mitunter auch geschickt benutzt, um seine Visionen der breiten Öffentlichkeit zu vermitteln", so Schäfer.

Ob sein Kniefall am Mahnmal für die Opfer des Warschauer Gettos im Dezember 1970 als Medienereignis kalkuliert oder eine spontane Geste war, bleibt Spekulation. Die Wirkung war in jedem Fall immens. Offensichtlich ist dagegen, wie sich Brandt und seine Berater Wahlkampftricks bei den Amerikanern abschauten. André Schäfer: "Brandt war der erste Kanzler, der einem personenzentrierten Wahlkampf zugestimmt hat. Mit dem Slogan ‚Willy wählen!‘ holte er bei der Bundestagswahl 1972 das beste SPD-Ergebnis aller Zeiten."

Schmidt verdrängt Brandt

Der Triumph währte nicht lange. Brandts Reformpolitik galt vielen Sozialdemokraten als zu visionär, allen voran Herbert Wehner. Auch sein Nachfolger Helmut Schmidt, ebenfalls ein Medienprofi, sah bei den innerparteilichen Intrigen, die zu Brandts Rücktritt führten, offenbar nicht tatenlos zu, was Schäfers Film allerdings nur andeutet. Ein Interview dazu lehnte Schmidt ab, wohl aus Gesundheitsgründen.

Dass die Doku Helmut Schmidt - Lebensfragen zum 95. Geburtstag des Elder Statesman (am 23.12. im Ersten) Animositäten unter den Genossen ausspart, ist nicht verwunderlich. Trotzdem bedauerte ein Weggefährte Brandts gegenüber Schäfer, dass ausgerechnet der greise Hamburger mit zunehmendem Alter seinen Vorgänger in der öffentlichen Wahrnehmung immer bedeutungsloser erscheinen lässt. Das sei "nicht gerechtfertigt, wenn man die politische Lebensleistung betrachtet."

Heiko Schulze

Willy Brandt - Erinnerungen an ein Politikerleben
DI 10.12. Arte 20.15 Uhr
DI 17.12. Das Erste 22.45 Uhr


Die lange Willy Brandt Nacht
FR 13.12. WDR 23.15 Uhr