Der Mittelalterboom kommt ins TV: "Die Wanderhure" ist die erste von drei Großproduktionen, die auf Abenteuer im Mittelalter setzen (DI, 05.10., SAT.1, 20.15 Uhr)

Böse Geschichte: Im Jahr 1414 wird die schöne Marie in Konstanz Opfer eines Komplotts. Ihr Vater hatte dem Bräutigam in spe vertraglich zugesichert, dass seine Tochter noch Jungfrau sei. Und dafür mit seinem Vermögen garantiert. Marie wird nun heimtückisch vergewaltigt, was sie um ihre bürgerliche Ehre und Papa um sein gesamtes Hab und Gut und schließlich auch ums Leben bringt. Der jungen Frau bleibt nichts anderes übrig, als die Stadt zu verlassen und sich als reisende Prostituierte zu verdingen. Sie sinnt auf Rache.

Filmkritik:
So beginnt das 120-Minuten-Spektakel "Die Wanderhure", das sich als Buch seit mehr als sechs Jahren wie geschnitten Brot verkauft. Kein Wunder: Der Stoff ist hochdramatisch, spannend, mit reichlich Sex gewürzt und hat ein Happy End. Eine Reise durch ein Abenteuerland, in dem die Heldin gleichzeitig verrucht und unschuldig sein kann und nach einem intensiven Schlampendasein wieder in den Stand der unbescholtenen Bürgerin gesetzt wird.

Mit der angenehm unprätentiösen Alexandra Neldel in der Hauptrolle steht einem Erfolg auch als Film nichts im Weg. Die Berlinerin, die ihren Durchbruch vor fünf Jahren in der Sat.1-Soap "Verliebt in Berlin" hatte, ist Schauspielerin mit Star-Appeal und trotzdem Mädchen von nebenan. Die ideale Identifikationsfigur für ein weibliches Publikum.

Eine Emanzipationsgeschichte ist "Die Wanderhure" dennoch nicht, das weiß auch die TV-erfahrene Titelheldin dieses Krimimelodrams in historischer Verkleidung.

"Marie will nicht als Frau anerkannt werden. Die will Rache und ihre Ehre wiedererlangen", erklärt sie nonchalant. Interessiert das auch die männlichen Zuschauer? Neldel lächelt. "Ich hoffe, dass die Männer anfangs mitgucken müssen, weil ihre Frauen den Film sehen wollen, dass sie dann aber dranbleiben, weil es ihnen gefällt."

Der Mittelalterboom, von dem die Buchhandlungen seit Jahren profitieren, kommt nun mit Macht auch im Fernsehen an. "Die Wanderhure" ist nur die erste von gleich drei Großproduktionen, die ProSiebenSat.1 ins ferne Damals verlegt. Als die Welt noch malerisch, die Emanzipation der Frau unvorstellbar und das Leben insgesamt so schmuddelig war, dass es einen im kuscheligen Fernsehsessel angenehm schüttelt.
Im Spätherbst soll der Thriller "Isenhart" auf Pro Sieben laufen, der dem Treiben eines mittelalterlichen Serienkillers folgt. Die internationale Mammutproduktion "Die Säulen der Erde" nach dem Bestseller von Ken Follett steht ebenfalls noch in diesem Jahr auf dem Programm: in acht Teilen in Sat.1.

Das Budget der "Wanderhure" ist mit 5,5 Millionen Euro für einen Fernsehfilm sehr hoch. In Deutschland könnte man damit trotzdem keinen Kostümfilm mit aufwendigen Kulissen produzieren. Weite Strecken der deutsch-österreichischen Co-Produktion wurden daher im preiswerteren Ungarn gedreht. Die Mafilm-Studios bieten auf ihrem Gelände in Fót bei Budapest Kulissen für jeden Zweck, von der asiatischen Pagodenstadt übers NS-Konzentrationslager bis hin zum mittelalterlichen Dorf. Alles zum Anfassen und unter freiem Himmel. Das spart so manche kostenintensive Computeranimation.

Die günstigen Preise locken viele internationale Produktionen nach Ungarn. Götz Otto etwa war hier gleich für drei Filme hintereinander gebucht. Nach der norwegischen Produktion "Svik", in der Budapest als Oslo herhalten muss, ritt der Zweimetermann als Bösewicht Walter durch "Die Säulen der Erde". Als sinnesfroher König Sigismund ist er außerdem eines der Highlights in "Die Wanderhure".

Die geballte Nachfrage nach Mittelalter-Illusion hatte dabei ungeahnte Engpässe zur Folge. Nachdem die "Säulen der Erde"-Ausstatter sämtliche Kronleuchter, Festtafeln und Breitschwerter vom ungarischen Markt gemietet hatten, waren die Kollegen von der "Wanderhure" gezwungen, in Rumänien nach geeigneten Requisiten zu suchen.

Hat darunter die historische Authentizität gelitten? Spielt die überhaupt eine Rolle? "Wir erzählen natürlich über etwas, das wir nicht selbst erlebt haben," sagt Regisseur Hansjörg Thurn. Autoren und Ausstatter hätten aber sehr sorgfältig recherchiert. Wichtig war für Thurn, dass "der Film leicht zugänglich ist. Deshalb sind die Dialoge auch eine Mischung aus alter und neuer Sprache." Einige wilde Sexszenen aus dem Roman fanden mit Rücksicht auf das 20.15-Uhr-Publikum nicht den Weg auf den Bildschirm. Fährt das Werk wie erwartet eine gute Quote ein, wird die Hure wohl weiter wandern. Drei Fortsetzungsromane liegen jedenfalls schon vor.

Frank Aures