Nachdem uns die Nachricht ereilte, standen wir vielleicht zwei Stunden unter Vollschock. Totaler Stillstand - dann wurde zusammengeräumt." Als am 4. Juli 2011 Maria Kwiatkowsky stirbt, ist die Bestürzung nicht nur bei Lola Randl groß. Die Regisseurin steckt mitten in den Dreharbeiten zu ihrem Kinofilm "Die Erfindung der Liebe", unter anderem mit Mario Adorf und Sunnyi Melles - und dann findet man die Hauptdarstellerin tot in ihrer Wohnung. Sie war gerade einmal 26 Jahren alt.

Wie unfassbar traurig. Für die Produktion ist sofort klar, dass der Dreh abgebrochen wird - zunächst. "Wir sind alle nach Hause gefahren, die detaillierten Hintergründe der Todesnachricht kamen dann erst so langsam heraus", sagt die Regisseurin.
Jetzt läuft der Film, eine Dreiecksgeschichte über ein junges Paar, das sich das Erbe einer schwer kranken Unternehmerin erschleichen will, in der Reihe "Filmdebüt im Ersten". Gleich zu Beginn: die Beerdigung von Maria Kwiatkowsky, deren Verlust in eine ­Parallelhandlung eingearbeitet wurde. Es ist ein Film im Film, der zeigt, wie ein fiktives Filmteam mit der Situation umzugehen versucht. "Sie können es doch einfach so schreiben, wie es ist", sagt da Irm Hermann in der Rolle einer Schauspielerin zu einem verzweifelnden Drehbuchautor. "Mit allem, auch mit ­diesem Gespräch."

Ist die Idee wirklich so spontan entstanden, wie es die Film-im-Film-Szene schildert? "Es kommt schon vieles aus der Wirklichkeit, aber es ist noch einmal aufgeschrieben worden", so die Filmemacherin. "Andererseits ist es aber auch eine Farce, total übertrieben. Das Team dreht hier ja einfach weiter."

Witziges wie würdevolles Denkmal

In der Realität dauert es mehr als ein Jahr. Randl dreht zunächst den Low-Budget-Film "Die Libelle und das Nashorn", auch um Abstand zu gewinnen. Doch dann wird ihr klar, dass sie den Film unbedingt zu Ende bringen und den Tod dabei nicht unter den Tisch kehren will. Es gibt Widerstände, die Familie und der Freund der Verstorbenen aber unterstützen sie in ihrem Vorhaben. "Das war mir wichtig, weil ich instinktiv spürte, dass man mir vielleicht Pietätlosigkeit hätte vorwerfen können. Aber ich wollte den Film machen, und er sollte kein Trauerstück sein."

Das ist er nicht geworden, im Gegenteil. Der Film, der das bereits Abgedrehte mit neuem Material gekonnt verbindet, reflektiert auf geradezu amüsante Weise seine eigene Entstehungsgeschichte, ist wirklich witzig - und zugleich ein würdevolles Denkmal für seine Protagonistin, deren besondere Begabung in jeder ihrer Szenen zum Vorschein kommt. Dabei ist es letztlich einem Zufall geschuldet, dass die Schauspielerin überhaupt mitwirkt. Die Rolle war bereits besetzt, als die Regisseurin auf YouTube einige Videos mit Kwiatkowsky entdeckt, auf denen diese dem geforderten Rollenprofil verblüffend nahekommt. Kwiatkowsky war da längst keine Unbekannte mehr: 2004 erhielt sie beim Filmfest in Locarno für ihre Rolle im Film "En Garde" die Auszeichnung als beste weibliche Darstellerin, Kritiker wählten sie in der Zeitschrift "Theater heute" zur "Nachwuchsschauspielerin des Jahres 2010".

"Beim Dreh war mir sofort klar, dass sie das sein musste. Wir haben gar nicht viel probiert, das saß ziemlich perfekt." Randls Begeisterung kann nachvollziehen, wer sieht, wie Kwiatkowsky ihren Filmcharakter, den eines schwierigen, renitenten Mädchens, mit verzweifelter Sehnsucht nach Liebe, aber auch etwas sehr Destruktivem ausstattet. Es ist der Regisseurin zu diesem Zeitpunkt nicht klar, dass ihre Darstellerin selbst eine Gefährdete war. "Vielleicht war ich in gewisser Weise blind, weil ich sie einfach wollte und sie so gut passte. Ich kannte ihren Hintergrund gar nicht." Dieser war prekär.

Tatsächlich hat Maria Kwiatkowsky das Manisch-Depressive, Selbstzerstörerische und zuweilen Gewalttätige nicht immer nur gespielt. Im November 2005 holte sie die Feuerwehr vom Dach einer brennenden Kindertagesstätte in Prenzlauer Berg, die sie zuvor angezündet hatte. Warum? "Private und berufliche Frustration", gab sie vor Gericht an. Von der Berliner Jugendrichterin Kirsten Heisig, einer Initiatorin des Neuköllner Modells in der Strafverfolgung jugendlicher ­Täter, deren Suizid 2010 bundesweit öffent­liches Interesse erregte, wurde die Schauspielerin daraufhin zu zwei Jahren auf Bewährung verurteilt und musste eine Psychotherapie machen. Ihre Gagen gingen fortan in die ­Tilgung von mehr als 300 000 Euro Schulden für den Brandschaden.

Der Tod als Schadensfall

Dass das Ausnahmetalent seine extreme Energie auch danach nicht in sichere Bahnen lenken konnte, offenbart ein bitterer Rechtsstreit, der sich nach ihrem Tod entwickelte. Die Filmversicherung weigerte sich, für den Schadensfall aufzukommen. Der Grund: Die Obduktion der Leiche ergab eine "tödliche Kokain-Intoxikation", außerdem wurden zahlreiche Einstichstellen an ihren Ober­armen festgestellt.

Landgericht und Oberlandesgericht Köln hatten zunächst eine Klage der Filmfirma ­abgewiesen und der Versicherung recht gegeben. Die Sache ging dann bis vor den Bundesgerichtshof, ehe man sich auf einen ­Vergleich einigte. Trauriger Schlusspunkt in ­einem tragischen Fall. Es ist Lola Randl zu danken, dass uns Maria Kwiatkowsky durch ihren zauberhaften Film in guter Erinnerung bleibt.

Heiko Schulze

Die Erfindung der Liebe
MI 9.9. Das Erste 22.45 Uhr