Schauspieler leben vom Schein. Im Film behaupten sie, Könige, Massenmörder oder geniale Wissenschaftler zu sein. Im wahren Leben sind sie bemüht - zumindest der Öffentlichkeit gegenüber -, den Eindruck eines viel beschäftigten Künstlers zu vermitteln, den auch im Alltag stets eine kleine Glamourwolke umweht.

In der lärmigen Einkaufspassage Gesundbrunnen-Center im Berliner Wedding ist davon um 12 Uhr mittags nicht viel zu spüren. Merlin Rose hat sie als Treffpunkt vorgeschlagen, weil sie nah an seiner Wohnung liegt. Nicht weit von hier ist er groß geworden. Glamour hat in seinem Leben keine große Bedeutung.
Er kommt ein bisschen zu spät, ist gerade aufgestanden. Und man braucht einen Moment, um diesen verschlafenen jungen Mann in Bomberjacke und Strickmütze mit dem wilden Crashkid von "Als wir träumten" in Übereinstimmung zu bringen. In Andreas Dresens mitreißendem Jugenddrama spielt Rose die Hauptrolle.
Es regnet. Wir gehen trotzdem ein bisschen spazieren im nahen Humboldthain.

In "Aus der Haut" spielt Rose wieder die Hauptrolle. Diesmal einen Schüler, der entdeckt, dass er schwul ist - und mit dieser Erkenntnis und der Reaktion seiner Umwelt darauf große Probleme hat. Ist es tatsächlich immer noch so problematisch, in einer Großstadtschule schwul zu sein?

"Man wird heute als Schwuler in der Schule wohl nicht unbedingt gejagt oder verprügelt, aber man gilt immer noch als ‚anders‘. Ich denke, ‚normal‘ ist immer noch heterosexuell", sagt der 23-Jährige und hat mittlerweile jede Schläfrigkeit verloren.

Rose kann sehr leidenschaftlich spielen. In "Als wir träumten" sah man regelrecht, wie ihm das junge Blut durch die Adern raste und ihn vor Lebenslust schreien ließ. Auch in "Aus der Haut" zeigt er diese lauten Emotionen, überzeugt jedoch ebenso mit den stilleren, der schüchternen Verwirrtheit des Heranwachsenden, der mürrischen Generalopposition gegen erwachsene Obrigkeit.

Wie ist er selbst durch die Jugend gekommen? "Ganz gut", sagt Rose. "Ich hatte nur ein bisschen Probleme mit Autoritäten." Womit er meint, dass er die Qualifikation seiner Lehrer vor versammelter Klasse offen hinterfragt hat. Sprengstoff. Abitur hat er trotzdem.

So was kann man sich wahrscheinlich nur leisten, wenn man so gut aussieht wie er, den junge Mädchen auch wegen Freibad-Teeniefilmen wie "Doktorspiele" anhimmeln. "Ich glaube, es ist nicht so wichtig, dass man gut aussieht. Wichtig ist eher, dass man so aussieht wie die anderen. Es gibt eine Norm, was cool ist und was nicht. Ich war das lange nicht." Nicht cool waren etwa die fehlenden Markenklamotten und besonders die langen Haare, die Rose so trug wie sein Vorbild Kurt Cobain. Schauspieler werden wollte er schon vorher. Schon mit elf hat er das als Berufswunsch - neben Seeräuber oder Astronaut. Das Mitwirken in einem Amateurfilm festigte diesen Wunsch, mit vierzehn drehte er zum ersten Mal für den Kinderkanal Kika. Die -Eltern, der Vater Schlosser, die Mutter Sozialarbeiterin, hatten mit der Filmszene bis dahin keinerlei Berührungspunkte. "Aber nachdem ich die ersten Drehs gemacht hatte, war klar, dass das mein Ding ist. Meine Eltern standen immer hinter mir."

Der Regen lässt nicht nach. Wir setzen uns ins Magendoktor, eine 24-Stunden-Kneipe, in der auch schon mittags das Weltgeschehen am Tresen diskutiert wird.

Mittlerweile ist sich Merlin Rose sicher, dass er nur Schauspieler sein will. Studieren will er das allerdings nicht. "Ich bilde mich lieber autonom weiter, suche mir einen Lehrer, wenn ich einen brauche. Wieder in eine Schule gehen und mich bewerten lassen? Ich weiß, dass ich darüber ganz schnell den Spaß an der Sache verlieren kann."

Kein Smartphone, ganz bewusst
Derzeit ist Rose in der ZDF-Vorabendserie "Die Spezialisten" zu sehen, in der er eine feste Rolle spielt. Abgedreht ist auch der TV-Film "Der Maskenmann" (am 2.5. im ZDF), eine Nebenrolle. Die nächste große Hauptrolle ist momentan noch nicht in Sicht.

Das ist normal, Alltag für Schauspieler. Warten. Dass ein Anruf, ein Drehbuch kommt. Die Ungewissheit aushalten. Ein Alltag, den die meisten aber leugnen. Die antworten auf die Frage nach aktuellen Projekten, wenn es keine gibt: "Es liegen einige sehr interessante Angebote vor, die aber alle noch nicht spruch-reif sind." Merlin Rose hat noch nicht mal ein Smartphone. Bewusste Entscheidung, um nicht ständig E-Mails checken zu können, nicht durchgängig erreichbar zu sein.

Was macht er so den ganzen Tag? "Unterschiedlich. Momentan habe ich viel frei. Ich schlafe, bis ich wach werde, frühstücke, geh in die Bibliothek und lese, rufe einen Kumpel an, und wir machen was." Wahrscheinlich ist dieser legere Verzicht auf Außenwirkung auch ein Kapital. Eine Glamourfassade zu halten kostet viel Kraft. Entspannen, wenn man entspannen kann, um für den nächsten Film richtig Gas geben zu können, ist sicherlich schlauer.

Was würde er denn gern machen? Richtig gepackt hat ihn zuletzt kein Spielfilm, sondern die Netflix-Serie "Narcos" über den kolumbianischen Drogenkönig Pablo Escobar, der sich als Volksheld verstand. Gedreht auf Spanisch. "Auf so was hätte ich Lust. Oder auf was Historisches. Mit Kostümen." Die werden kommen, die Angebote.
Frank I. Aures
Aus der Haut
MI 9.3. Das Erste 20.15 Uhr