Eine verschwundene Weinflasche, ein ausgerissener Hemdknopf, ein fremder Schuhabdruck: Die Umstände von Uwe Barschels Tod in der Nacht zum 11. Oktober 1987 geben nach wie vor Rätsel auf. War es Suizid? Oder wurde der ehemalige Ministerpräsident Schleswig-Holsteins ermordet?

Dem Fall Barschel widmet Das Erste am 6. Februar einen ganzen Samstagabend. ­Regisseur Kilian Riedhof ("Homevideo", "Sein letztes Rennen") macht den Stoff zum hoch spannenden Politthriller mit Alexander Fehling und Fabian Hinrichs in den Hauptrollen. Uwe Barschel wird gespielt von Matthias Matschke, der den Politiker mit norddeutschem Akzent täuschend echt imitiert, ohne dass seine Darstellung zur Parodie gerät. Die anschließende Dokumentation von Patrik Baab und Stephan Lamby fasst den aktuellen Stand der Erkenntnisse zusammen.
"Ich habe genau in dem Jahr als Journalist angefangen, als Barschels Tod gemeldet ­wurde", erzählt Lamby. "Dass ein kurz vorher zurückgetretener Ministerpräsident tot in ­einer Badewanne aufgefunden wird, war für mich ein einschneidendes Erlebnis." Kein Wunder also, dass sich Stephan Lamby seit 1987 immer wieder mit dem Fall auseinandersetzt. Schon 2007 hatte er gemeinsam mit Patrik Baab und Andreas Kirsch eine Doku über die historischen Zusammenhänge produziert. "Es ist von großem Vorteil, dass wir so lange an dem Thema dran sind, auch weil viele Personen, mit denen wir damals gesprochen haben, gar nicht mehr leben." Auch Reiner Pfeiffer kam zu Wort, der im August 2015 verstarb und eine wesentliche Rolle in der ­Affäre gespielt hatte.

Am 11. Oktober 1987 fand "Stern"-Reporter Sebastian Knauer die Leiche von Uwe Barschel im Hotel Beau-Rivage in Genf. Kurz zuvor hatte Barschels politische Karriere ein jähes Ende genommen. Als CDU-Ministerpräsident von Schleswig-Holstein drohte ihm bei den bevorstehenden Landtagswahlen eine Niederlage gegen SPD-Kandidat Björn Engholm. Über den Versuch, Engholm mit einer Schmutzkampagne zu diskreditieren, stolperte Barschel letztlich selbst. Der "Spiegel" brachte die Aktionen, zu denen auch das Beschatten des politischen Gegners gehörte, unter dem Titel "Waterkantgate" ans Licht. Am 2. Oktober 1987 trat der Regierungschef von seinem Amt zurück, neun Tage später wurde er tot aufgefunden.
"Es gibt drei mögliche Erklärungen für Barschels Tod: Mord, Selbstmord oder Sterbehilfe. Für jede Version spricht etwas", sagt ­Stephan Lamby. "In unserer Dokumentation stellen wir die Theorien gegeneinander und geben dem Zuschauer Argumente an die Hand, damit er sich selbst ein Urteil bilden kann." Sensationsgier sei dabei ein schlechter Ratgeber: "Die Mordthese ist spektakulär, deshalb muss sie nicht richtig sein."

Doch wie kommen die Mordtheorien überhaupt zustande? Hier spielt vor allem Barschels Doppelleben eine Rolle. Es gibt Hinweise darauf, dass er in Waffengeschäfte verwickelt war. Immer wieder unternahm er dubiose Reisen in die DDR, die nicht mit seinem Parteivorsitzenden Helmut Kohl, damals Bundeskanzler, abgestimmt waren. Er soll einen U-Boot-Verkauf an Südafrika organisiert und Waffendeals zwischen dem Iran und Israel vermittelt haben. Womöglich ­wollte jemand durch den Mord verhindern, dass Barschel nach seinem Rücktritt dunkle Geheimnisse preisgibt. Aber wer? In den ­Jahren nach seinem Tod überschlugen sich die Medien mit Theorien über die "wahren" Täter. Bis heute werden abwechselnd der Mossad, der südafrikanische Geheimdienst oder iranische Agenten für die Geschehnisse in Genf verantwortlich gemacht.
Von derartigen Spekulationen lebt natürlich der Spielfilm, bedient sich aber eines ­erzählerischen Kniffs: Alexander Fehling und Fabian Hinrichs stellen zwei Journalisten dar, von denen der eine (Fehling) sich in die Mordtheorie hineinsteigert, während der ­andere (Hinrichs) an Selbstmord glaubt. Der Film zeigt beide Perspektiven und hält sich ansonsten eng an die historischen Fakten.

Doch auch die Fakten geben Anlass zur Spekulation: Selbst der damalige Oberstaatsanwalt und Chefermittler Heinrich Wille geht bis heute von Mord aus. Bestimmte Spuren sprechen dagegen, dass Barschel die tödlichen Medikamente selbst zu sich genommen hat, und es gibt eindeutige Hinweise auf Kontakt zu einer zweiten Person. Die These, dass ­Barschel nicht allein war, wurde zuletzt 2012 durch einen DNA-Test untermauert: Die Rückstände an Barschels Kleidung können nicht nur von ihm selbst stammen.

Trotz allem wurden die 1998 eingestellten Ermittlungen im Fall Barschel bisher nicht wiederaufgenommen. Die DNA-Spuren seien zu schwach für genauere Untersuchungen. Was müsste passieren, damit die Behörden wieder aktiv werden? "Vorstellbar ist, dass sich ein Zeuge mit konkreten Hinweisen zur Todesursache meldet", sagt Stephan Lamby. Auch Dokumente, die bis heute unter Verschluss sind, könnten neue Erkenntnisse ­liefern, etwa das Archiv des Bundesnachrichtendiensts zum Fall Barschel. "Für unseren ­Dokumentarfilm haben wir eine Anfrage an den BND gestellt und die Antwort bekommen, dass wir zu diesem Bereich keine Informationen erhalten." Auffällig sei außerdem, dass die Akten der Stasiunterlagenbehörde über Uwe Barschel teils große Lücken aufweisen. "Also muss man sich die Frage stellen: Wo sind die restlichen Dokumente? Wenn es die gäbe und der BND sein Archiv öffnen würde, könnte es Erkenntnisse für neue staats­anwaltliche Ermittlungen geben."

Wenn jedoch wahr ist, dass Barschel Suizid begangen hat, könnte eine endgültige Aufklärung laut Stephan Lamby schwierig werden: "Mal angenommen, er hätte sich umgebracht und die Spuren selbst gelegt, um die Todes­ursache zu verschleiern, dann wird sich das nicht durch irgendwelche Zeugenaussagen oder Dokumente irgendeines Geheimdiensts belegen lassen." Der Tod des Mannes bliebe dann für immer ein Rätsel.

Auch jenseits der Frage, wie Barschel ums Leben kam, bleibt der Fall knapp 30 Jahre später immer noch faszinierend und relevant. Das Vertrauen der Bevölkerung in die Politik hat unter den dubiosen Ereignissen von 1987 nachhaltig gelitten. Keine der beteiligten Personen und Parteien kam aus der ­Affäre mit einer weißen Weste heraus. Barschels vergiftetes "Ehrenwort", mit dem er sich damals von allen Vorwürfen freisprechen wollte, hallt in den Köpfen der Deutschen noch immer nach und hat sicher seinen Anteil an der viel zitierten Politikverdrossenheit.

Für ihre Dokumentation sprachen Stephan Lamby und Patrik Baab mit Leuten, die Uwe Barschel persönlich gut kannten. Der Freund Ulrich Matthée erzählt etwas über das Leben vor der politischen Karriere, als der Jurist noch in einem Kieler Notariat tätig war, und über seinen Charakter. Wichtige Aspekte, denn Lamby sieht in der Geschichte ein Lehrstück für übertriebenen Ehrgeiz: "In der Person Barschel wird ein Typ Politiker deutlich, den man nur als abschreckendes Beispiel für heutige Volksvertreter bezeichnen kann. Ein Karrierist, der in die Macht verliebt war, der ein Doppelleben führte und es mit der Wahrheit nicht genau nahm." So wird der Fernsehabend zur Geschichtsstunde mit Nervenkitzelgarantie, denn das Drehbuch, das die ­Realität schrieb, könnte kein Thrillerautor spannender erfinden.

Johannes Noldt

Chronik der Ereignisse

  • 1982 Uwe Barschel (CDU) wird zum Ministerpräsidenten Schleswig-Holsteins gewählt

  • Januar 1987 Reiner Pfeiffer, Journalist vom Axel Springer Verlag, beginnt seine Arbeit als Medienreferent für Uwe Barschel
  • Erstes Halbjahr 1987 Wahlkampf in Schleswig-Holstein: Pfeiffer versucht, den SPD-Spitzenkandidaten Björn Engholm zu diskreditieren, lässt ihn beschatten, erstattet anonym Anzeige gegen ihn wegen vermeintlicher Steuerhinterziehung und konfrontiert ihn telefonisch mit dem Verdacht auf Aids
  • 12.9.1987 Gerüchte über die Aktionen der CDU gegen Engholm verdichten sich
  • 13.9.1987 Landtagswahl in Schleswig-Holstein: Patt zwischen CDU und SPD
  • 14.9.1987 "Spiegel"-Artikel: Pfeiffer gibt seine Aktionen gegen Engholm zu, will aber stets im Auftrag Barschels gehandelt haben
  • 18.9.1987 "Ehrenwort"-Pressekonferenz: Barschel beschwört öffentlich seine Unschuld
  • 25.9.1987 Barschel wird der Lüge überführt, kündigt für den 2.10. seinen Rücktritt an
  • 11.10.1987 Uwe Barschel wird tot im
    Hotel Beau-Rivage in Genf gefunden