"Alles außer Mord" hieß eine humorige Krimiserie auf Pro Sieben Mitte der neunziger Jahre. Heute lockt man gerade mit der Aussicht auf Mord die meisten Zuschauer an.

Im deutschen Fernsehen laufen mehr Krimis als je zuvor und immer erfolgreicher. Und der Zuschauer goutiert offensichtlich die Krimioffensive im deutschen Fernsehen - kein "Tatort" landet am Sonntag unter der 7 Millionen-Marke, wenn's die kultigen Ermittler aus Münster sind, kucken auch gerne mal über zehn Millionen zu, wie zuletzt am 18. September 2011.

Und dabei sind "Tatort" und "Polizeiruf 110" längst nicht mehr die einzigen Programmstellen für Krimi im TV. Wenn das ZDF mal nicht "Wetten, dass..?" zeigt, ermitteln Bella Block, Rosa Roth, Kommissarin Lucas oder das "Unter Verdacht"-Team, das Erste schickt am Samstag gerne Commissario Brunetti durch die feuchten Gassen von Venedig. Der Montag im ZDF gehört oft eigenständigen Kriminalfilmen wie "Mörder auf Amrum", der Freitag schon lang einstündigen Formaten wie "Der Alte", "Ein Fall für zwei" oder "Der Kriminalist". Auch am Donnerstag probiert das ZDF inziwschen gern Krimiware wie "Wilsberg" oder "Marie Brand" aus, skandinavische und britische Filme sind schon lange eine Institution am Sonntag und Montag.
Auch die Privatsender, die immer eher auf internationale Serien wie "C.S.I." oder "Criminal Minds" setzen, versuchen sich wieder an deutschen Krimis. RTL testete gerade "Die Draufgänger" mit Ex-"Tatort"-Mann Jörg Schüttauf, 2012 geht es weiter. Den Start der 19. (!) Staffel ihres Actionlangläufers "Alarm für Cobra 11" sahen im September fünf Millionen Zuschauer. Selbst Pro Sieben ließ seinem "Stromberg"-Helden Christoph Maria Herbst ein Krimiformat stricken: "Kreutzer kommt", demnächst in Serie. Ende Oktober schließlich krempelt die ARD sogar den Vorabend um: mit humorigen Softkrimiserien regionalen Zuschnitts.

Wie ist der stetig wachsende Erfolg zu erklären? Auch deshalb: Eine Bevölkerungsgruppe, die vor 20 Jahren mit dem Genre wenig am Hut hatte, wird immer krimiverrückter. Auch Gebhard Henke, seit vielen Jahren Leiter Fernsehfilm, Kino und Serie beim WDR, hat beobachtet: "Der Krimi wird weiblicher, das merken wir beim ‚Tatort'. Tatsächlich hat Maria Furtwängler als Kommissarin Lindholm jetzt mehr weibliche als männliche Zuschauer." Die Entwicklung spiegelt sich auch in der Zahl der TV-Ermittler wieder: Heute sind von 40 ARD-Sonntagsbeamten zwölf weiblich. Kein Vergleich zur Realität, wo im Verhältnis weit weniger Kripobeamtinnen ermitteln.
Schon das Label "Krimi" wirkt dabei zuweilen als Magnet. Das weiß auch Autor Stephan Brüggenthies, der bislang zwei Krimis (aktuell: "Die tote Schwester", Eichborn), drei "Tatort"-Drehbücher (u.a. zum nächsten Stuttgart-Tatort "Das erste Opfer") und auch für die RTL-Serie "Countdown" schrieb: "Krimi funktioniert als Transportmittel einfach besser". Der Vorteil sei, dass man "fast jede Geschichte in Form eines Krimis erzählen kann, ob Sozial-, Psychodrama oder Komödie."

"Im Tatort," sagt WDR-Mann Henke, "wird die gesamte deutsche Wirklichkeit verhandelt, das ist eigentlich eine Sittengeschichte der Bundesrepublik." Über die Güte des Formats an sich sagt das natürlich nichts aus. Dazu Henke: "Das Genre selbst ist ja weder klug noch dumm."

ARD/WDR

"Am Ende ist die Welt wieder in Ordnung und unsere Kölner stehen an der Wurstbude und trinken Kölsch." Die Kommissar Ballauf (Klaus J. Behrendt, l.) und Schenk (Dietmar Bär) beim Kölsch samt Dom im Hintergrund (aus "Tatort: Liebe am Nachmittag", 2006)

Königsdiziplin "Tatort"

Rund 37 "Tatort"-Produktionen sind für 2011 geplant, gut zehn mehr als noch vor zehn Jahren. Erfinder des "Tatort" und der einzige Mann, auf dessen Visitenkarte das auch tatsächlich steht, ist Gunter Witte, der sich heute schon mal gegen die vielen "Tatort"-Ausstrahlungen in der ARD wendet, weil er die Qualität der Marke bedroht sieht. Eine Verwässerung des Qualitätssiegels "Tatort" durch zuviele Folgen befürchtet manchmal auch Regisseur Christian Zübert, der 2010 den herausragenden Batic/Leitmayr-Tatort "Nie wieder frei sein" und davor fürs ZDF Folgen von "KDD - Kriminaldauerdienst" inszenierte: "Man hat manchmal den Eindruck, jede Stadt hat einen eigenen Tatort." Und tatsächlich sei ein Filmstoff den Sendern leichter zu verkaufen, wenn es ein Krimi ist.

ARD-"Tatort"-Koordinator Gebhard Henke kann sich noch an Zeiten erinnern, als sonntags auch mal ein Fernsehfilm lief und kein Krimi. Die Folge: "Die Leute waren so sauer, dass sie den Film regelrecht abgestraft haben. Da war klar: Am Sonntag muss ‚Tatort',‚Polizeiruf' oder ‚Schimanski' kommen!"

Die Rechnung geht auf, selbst wenn die Folgen mal schlechter sind: "Das ist dann wie bei der Bundesliga: Nächsten Sonntag geht's weiter." Und auf eines, so Henke, kann man sich fast immer verlassen: "Am Ende ist die Welt wieder in Ordnung und unsere Kölner stehen an der Wurstbude und trinken Kölsch."

Die Flut der Verbrechensbekämpfer im TV hat allerdings eine Kehrseite. Im Kino funktioniert deutscher Krimi überhaupt nicht. Die wenigen Filme, die es versuchen, schaffen es kaum über die 50 000 Zuschauergrenze. Selbst eine Bestsellerverfilmung wie "Tannöd" scheitert an der Kasse. Warum das so ist? Vielleicht weil es immer wieder so gute Krimis im Fernsehen gibt...

Volker Bleeck

Der Verfasser ist Redakteur, Krimischreiber und Mitglied im "Syndikat", der Vereinigung deutschsprachiger Krimiautoren