Johanna Wokaleks Premierenfall als Münchener "Polizeiruf 110"-Kommissarin Cris Blohm war im September 2023 nicht jedermanns Sache. Das neue Ermittlerduo - Kollege Dennis Eden (Stephan Zinner) blieb nach dem Abschied von Verena Altenbergers Figur im Boot - agierte im "Polizeiruf 110: Little Boxes" (September 2023) mehr in einer Gesellschaftssatire als in einem Krimi. Zur besten Sendezeit im Ersten wurde damals der "woke" Bildungseliten-Diskurs durch den Kakao gezogen. Was immerhin knapp sieben Millionen Zuschauende interessierte, aber auch wütende Proteste verursachte. Mit Fall zwei, dem "Polizeiruf 110: Funkensommer" (ARD, Sonntag, 26.05., 20:15 Uhr), kehrt der BR nun zum klassischen Krimigeschäft zurück, wenn auch in besonderer Form.
Darum geht's in "Polizeiruf 110: Funkensommer"
Ein längst still gelegtes Verwaltungsgebäude der Münchener Autovermietung Hechtle ist abgebrannt. In den Trümmern hat man eine verkohlte Leiche gefunden. Brand-Experte Hanno Senoner (Golo Euler), den Dennis Eden von früher kennt, und offensichtlich nicht ausstehen kann, unterstützt die Arbeit der Mordkommission. Weil der von arroganten Alphatieren gemanagte Autovermieter vom Brand profitiert - man wollte schon lange abreißen, durfte jedoch nicht -, gerät die Besitzerfamilie um Gioia Hechtle (Marlene Morreis) und ihren cholerischen Bruder Sandro (Frederic Linkemann) unter Verdacht.
Blohm und Eden wollen eigentlich deren Vater, Unternehmens-Patriarch Georg (Johann Schuler) sprechen, der zum Termin mit der Polizei allerdings nicht auftaucht. Besonders mitzunehmen scheint der Brand auch den Wachmann Busch (Gerhard Wittman). Er war es, der die Flammen entdeckte und das Feuer meldete. Hat auch er mit dem eventuellen "warmen Abriss" mehr zu tun, als er sagen möchte?
Drehbuch stammt von einem besonderen Krimi-Macher
Wie im ersten Fall mit Bless Amada als Kommissar Otto Ikwuakwu an der Seite von Blohm und Eden ermittelt auch diesmal ein Trio. Golo Euler spielt als Brand-Experte Hanno sogar die Episoden-Hauptrolle. Ob die Konstellation Blohm, Eden plus X nun zum Dauerzustand der Münchener "Polizeiruf"-Ermittlungen wird? Dies ist nach Fall zwei wohl noch zu früh zu beurteilen. Als hochsensibler, offener, aber vielleicht auch doppelbödiger Kollege und Bewunderer der spröden Schönheit Cris Blohms ist die Golo Euler-Figur des "nerdigen" Feuer-Maniacs Hanno jedenfalls erst mal eine prima Ergänzung.
Erdacht hat sie der erfahrene Macher dieses Krimis, Drehbuchautor und Regisseur Alexander Adolph (58). Der ist nicht nur selbst Münchener, sondern hat in seinem Werk bereits viele außergewöhnliche TV-Krimis und andere Formate erzählt, die fast immer eine besondere Stimmung ausmacht: Adolphs Filme sind gleichzeitig witzig, ein bisschen absurd und auf eine melancholische Art philosophisch. So erfand er unter anderem die ZDF-Krimis "München Mord" und die leider kurzlebige Krimireihe "Schwartz & Schwartz" (ebenfalls ZDF) mit Devid Striesow und ebenfalls Golo Euler als ungleiche (Ermittlungs)-Brüder. Zudem stand Adolph auch immer wieder für herausragende "Tatorte" wie "Der tiefe Schlaf" (2012) oder die 1.000. Folge der Krimi-Kultreihe, "Taxi nach Leipzig" (2016).
Dennis Eden als Vertreter der "alten Krimischule"?
Sein neuer "Polizeiruf" ist vielleicht nicht Adolphs spektakulärster Krimi, aber er ist vor allem in der zweiten Hälfte ungemein wendungsreich und, ja, poetisch. Letzteres hat auch mit der starken Kameraarbeit Alexander Fischerkoesens ("Liebes Kind", "Alice") zu tun, der den Münchener Sommer mit großen "Brandbildern" zum Leuchten bringt. Faszination und die Angst, beide Gefühle bringt Feuer ja im Menschen zum Vorschein, sind oft in der gleichen Szene spürbar. Dazu passt die sich eventuell anbahnende Liebesgeschichte der Kommissarin mit einem ungewöhnlichen Mann, der vom Feuer fasziniert ist.
Und dann gibt es im Münchener "Polizeiruf" eben noch Dennis Eden. Den etwas prolligen, manche würde aber auch sagen "bodenständigen" Urbayern, der mit all dem Gedöns, das hier aufgemacht wird, nichts zu tun haben will. Eine Figur, die all den Überhöhungen, die hier verhandelt werden, mehr als skeptisch gegenübersteht. Mitunter hat man den Eindruck, die Figur Dennis Edens steht, und das tat sie bereits in den oft ambitionierten Altenberger-Fällen, für Körper und Seele konservativer Krimifans am Sonntagabend im Ersten, die einfach nur eine klassische Mordgeschichte mit Kommissaren der alten Schule sehen wollen.
Der "Polizeiruf 110: Funkensommer" geht in jedem Fall sehr viel besser auf als sein Polit- und Gesellschafts-Satiren-Vorgänger "Little Boxes". Warum? Weil es hier viel mehr menschelt und einige sehr anrührende Geschichten erzählt werden. Trotzdem weiß man nach zwei Fällen immer noch nicht so recht, was man von der oft wissend lächelnden und dazu schweigenden Männerhemden-Trägerin Cris Blohm zu halten hat. Dass man sich schwertut, diese Frau zu lesen, mag für manche, die zuschauen, ein Problem darstellen. Man kann es aber auch als interessantes Geheimnis wahrnehmen, auf dessen Auflösung wir wohl noch ein bisschen warten dürfen.
Das Original zu diesem Beitrag "Polizeiruf 110: Wie gut ist der letzte Fall vor der Sommerpause?" stammt von "Teleschau".