Ist er schon wieder ausgetickt? "Nein, er ist einer meiner engsten Freunde, und wir habe eine wunderbare Arbeitsbeziehung", meldet sich Jennifer Lawrence im Frühjahr via Facebook. Anlass der Richtigstellung: ein Augenzeugenbericht im Promi-Portal TMZ, nachdem David O. Russell seine Hauptdarstellerin am Set seines neuen Films "Joy" lautstark zur Sau gemacht haben soll.

Es wäre nicht das erste Mal, schließlich ist der Regisseur in Hollywood mindestens ebenso bekannt für seine cholerischen Ausraster wie für hervorragende Filme. Wandelnde Zeitbombe, gestörte Persönlichkeit? Es gibt jedenfalls so einige, die mit dem 56-Jährigen noch ein Hühnchen zu rupfen hätten. Doch es bleibt bei Getuschel, denn wer in der Filmwelt etwas erreichen will, kommt an Russell kaum vorbei.
Einzig George­ Clooney sprach schon vor Jahren offen aus, was viele heute insgeheim denken. Clooney, der mit dem Filmemacher während der Dreharbeiten zum satirischen Kriegsfilm "Three Kings" mehrmals aneinandergeriet - es soll im Zuge dessen sogar zu einer Prügelei gekommen sein -, hat lange Jahre nicht damit hinter dem Berg gehalten, Russell bei nächster Gelegenheit eine aufs Maul hauen zu wollen. Mittlerweile sollen sich die beiden wieder versöhnt haben, aber Clooney plant weiterhin nicht, noch einmal mit dem Regie-Maniac zusammenzuarbeiten.

Auch bei David O. Russells nächstem Projekt "I Heart Huckabees" kam es wiederholt zu Auseinandersetzungen. Diesmal flogen die Fetzen zwischen dem Macher und der ebenfalls sehr selbstbewussten Schauspielerin Lily Tomlin, wie ein legendäres Video auf YouTube (www.youtube.com/watch?v=7SG 43wa7Alo) dokumentiert.

Film ab? Nee. Fuck! Start! Yeah!

Ob nur verbal übergriffig oder sogar handgreiflich, dass David O. Russell in jedem Fall ein schräger Vogel ist, hat TV-Spielfilm-­Redakteur Volker Bleeck bei einem skurrilen Interview im Jahr 2005 erlebt. Anstatt die Fragen zu seinem aktuellen Film zu beantworten, wollte der Rilke-Liebhaber lieber ­eine Unterrichtsstunde in deutscher Grammatik erteilt bekommen. "Bringen Sie mir etwas bei!", forderte er den Journalisten auf, der ihm daraufhin auseinanderklamüsern sollte, ob und wann im Deutschen das Verb eher vorn oder eher hinten im Satz zu finden ist.

Russell - ein getriebener Ehrgeizling und manischer Kontrollfreak, der dem Erfolg offensichtlich alles unterordnet und seinen Schauspielern bedingungslosen Einsatz abverlangt. Daran hat sich bis heute nichts geändert, und damit das auch allen sofort klar wird, heißt sein "Film ab"-Kommando nicht "Action!", sondern mit­unter "Fuck! Start! Yeah!".

Dass ausgerechnet ein Mann, der am Set nicht mit F-Wörtern gegenüber seinen Akteuren spart, als Meister des neuen Schauspielerkinos gilt, versteht nur, wer seine Filme betrachtet. "Ich drehe jede Szene so, als wäre sie meine letzte", lautet das Mantra des Filmverrückten, der als Sohn einer katholischen Mutter und eines jüdischen Vaters in New York City geboren wurde. Selbiges verlangt er allerdings auch von den Darstellern, denn: "Es gibt nichts Besseres als Schauspieler, die hungrig danach sind, alles von sich zu zeigen."

Fakt ist, dass sich an Russells Filmsets nur die Talentiertesten ihres Fachs treffen, die sich von dem Wahnsinnigen zu immer neuen Höhenflügen triezen lassen. Getreu dem Motto: Okay, er macht es einem vielleicht nicht leicht, aber dafür bringt er dich ganz nach oben.

Tatsächlich erwarten die Darsteller des Regisseurs und Autors, der fünfmal für einen Oscar nominiert war, selbst aber noch keinen gewonnen hat, regelmäßig die allerhöchsten Filmweihen. Allein sieben Schauspielern hat er bereits zu einer Oscar-Nominierungen verholfen, vieren davon gleich zweimal - Christian Bale und Melissa Leo haben die Trophäe für ihre Darstellung im Sportdrama "The Fighter" gewonnen, ebenso Jennifer Lawrence für die Tragikomödie "Silver Linings". Außerdem ist Russell, der in der Regel ein festes Ensemble mit den immer gleichen Akteuren besetzt, der bislang einzige Regisseur, der mit "Silver Linings" und dem grandiosen Ganovenstück "American Hustle" zwei Filme für sich verbuchen kann, die in sämtlichen Schauspielkategorien für die Academy Awards nominiert waren.

Ihren Anfang nahm die Erfolgsgeschichte des David Owen Russell mit Komödien, mitunter stark überzogen und/oder stockfinster. Wie sein Erstling "Spanking the Monkey", mit dem der junge Filmer 1994 einen Indie-Hit landet. Zwei Jahre später dreht er "Flirting with Disaster" mit Ben Stiller in der Hauptrolle und darauf "Three Kings" mit Clooney und Mark Wahlberg, seinem erklärten Lieblingsschauspieler. Erstmals ausreichend Starpower, um nicht nur die Kritik, sondern auch die Zuschauer auf seine Seite zu ziehen - und die Oscar-Juroren.

Heute zählt Russell zu den einflussreichsten und kreativsten Akteuren der Traumfa­brik. Seine Filme sind allesamt Ereignisse, die einen ganz eigenen Stil kultivieren. Lieb gewonnene Markenzeichen: die bewegte Handkamera und der Led-Zeppelin-Song "Good Times Bad Times", die beide immer wieder eingesetzt werden. Dagegen steht seine andere Marotte, die unberechenbaren Ausbrüche, unter denen vor allem Darstellerinnen - beim Dreh zu "American Hustle" traf es Amy Adams - zu leiden haben. Hier liegen Genie und Wahnsinn wie so oft nah beieinander. David O. Russell entschuldigt sich jedenfalls schon mal im Voraus, wenn er sagt: "Starke Frauen sind für mich das Geheimnis von großem Kino."

Heiko Schulze

American Hustle
SO 27.8. Sky Cinema 20.15 Uhr

Interview: David O. Russell

Erfolgsbilanz eines Wahnsinnigen

Flirting with Disaster mit Ben Stiller wird 1997 für fünf Indie-Awards nominiert
Three Kings erreicht 1999 beim Onlinedienst Rotten Tomatoes eine Spitzenbewertung: 93 %
The Fighter gewinnt 2011 zwei Oscars: beste Nebendarstellerin (Melissa Leo) und bester Nebendarsteller (Christian Bale)
Silver Linings Jennifer Lawrence bekommt einen Oscar und gewinnt mit Bradley Cooper bei den MTV Movie Awards "Bester Kuss"
American Hustle ist 2014 für die sogenannten Big Five sowie für fünf weitere Oscars nominiert (und damit sämtliche Schauspielkategorien), erhält jedoch keinen davon