Drei Jahre musste Mark Herbert auf die erlösende Nachricht warten: Der Mann, der sein Leben zerstört hat, sitzt endlich hinter Gittern. Im Jahr 2012 wurde der damals 23-jährige Offenbacher von einem Fremden ohne Grund brutal verprügelt. Seitdem ist der junge Mann vom Hals abwärts gelähmt. Das Unfassbare: Der Name des Täters war in Offenbach jahrelang ein offenes Geheimnis: Es gab mehrere Zeugen, die den Mann, einen polizeibekannten Schläger, hätten identifizieren können. Doch niemand traute sich, eine Aussage zu machen - aus Angst, es selbst mit dem Gewalttäter zu tun zu bekommen.
Im August 2015 griff "Aktenzeichen XY... ungelöst" den Fall auf, appellierte an Zeugen, Zivilcourage zu zeigen. Mit Erfolg: Zwei Wochen nach der Sendung wurde Sven R. dem Haftrichter vorgeführt. "Dafür machen wir unsere Arbeit. Solche Erfolge sind uns wichtiger als jede noch so gute Quote", sagt Ina-Maria Reize-Wildemann. Seit 1997 ist sie Redaktionsleiterin des ZDF-Klassikers, dessen 500. Ausgabe nun ansteht.
Ismaning bei München: eine ruhige Randgemeinde mit S-Bahn-Anschluss. Reihen-hausglück hinter blickdichten Thujahecken, Fenster mit Außenjalousien. In einem kleinen Gewerbepark am Saum der Wohnsiedlung hat die Firma Securitel ihren Sitz. Seit über 40 Jahren produziert das TV-Unternehmen im Auftrag des ZDF die Fernsehsendung. Gegründet wurde Securitel einst von "XY"-Erfinder Eduard Zimmermann (1929-2009), und auch sechs Jahre nach dessen Tod ist der legendäre Fernsehfahnder hier immer noch gegenwärtig: "Redaktion Eduard Zimmermann" steht auf dem Eingangsschild. Im Konferenzraum ziert sein überlebensgroßes Konterfei gleich mehrfach die Wände. Im Flur hängt das originale Studiologo der ersten Sendung aus dem Jahr 1967 - ein Stück Fern-seh-geschichte, das Museumswert besitzt.
"Ganoven-Ede" als Feindbild der Linken
Dreißig Jahre lang moderierte, nein, war Eduard Zimmermann "Aktenzeichen XY". Dass der spröde Moderator in etwa so viel Ausstrahlung wie ein Aktenschrank besaß, machte ihn nur glaubwürdiger. Denn er focht nicht nur den Kampf Gut gegen Böse, sondern verteidigte auch jene Wirtschaftswunder-Wohlanständigkeit, die sich ab 1968 zunehmend durch "Linke und Langhaarige" bedroht wähnte. Kein Wunder, dass der biedere TV-Sheriff zur Hassfigur revoltierender Studenten und Antiautoritärer wurde. Seinem Erfolg tat das indes keinen Abbruch. Bis zu 20 Millionen schalteten in den Siebzigern ein, wenn Ganoven-Ede zur Verbrecherjagd blies. Oder junge Mädchen mit ernstem Blick warnte, bloß nicht per Anhalter zu fahren, wollten sie nicht als grausiger Fund in einem Waldstück bei Koblenz oder Bielefeld enden.
Der Gruselfaktor machte von Beginn an einen Hauptreiz der Sendung aus. Es war kein Zufall, dass sie jahrelang auf dem Krimisendeplatz am Freitagabend lief. Dass die filmischen Rekonstruktionen der Fälle immer ein wenig hüftsteif inszeniert waren und die Darsteller oft laienhaft agierten, steigerte die beunruhigende Wirkung sogar, auch wenn viele Beiträge der Siebziger- und Achtzigerjahre aus heutiger Sicht eher unfreiwillig komisch rüberkommen.
Im August 2015 griff "Aktenzeichen XY... ungelöst" den Fall auf, appellierte an Zeugen, Zivilcourage zu zeigen. Mit Erfolg: Zwei Wochen nach der Sendung wurde Sven R. dem Haftrichter vorgeführt. "Dafür machen wir unsere Arbeit. Solche Erfolge sind uns wichtiger als jede noch so gute Quote", sagt Ina-Maria Reize-Wildemann. Seit 1997 ist sie Redaktionsleiterin des ZDF-Klassikers, dessen 500. Ausgabe nun ansteht.
Ismaning bei München: eine ruhige Randgemeinde mit S-Bahn-Anschluss. Reihen-hausglück hinter blickdichten Thujahecken, Fenster mit Außenjalousien. In einem kleinen Gewerbepark am Saum der Wohnsiedlung hat die Firma Securitel ihren Sitz. Seit über 40 Jahren produziert das TV-Unternehmen im Auftrag des ZDF die Fernsehsendung. Gegründet wurde Securitel einst von "XY"-Erfinder Eduard Zimmermann (1929-2009), und auch sechs Jahre nach dessen Tod ist der legendäre Fernsehfahnder hier immer noch gegenwärtig: "Redaktion Eduard Zimmermann" steht auf dem Eingangsschild. Im Konferenzraum ziert sein überlebensgroßes Konterfei gleich mehrfach die Wände. Im Flur hängt das originale Studiologo der ersten Sendung aus dem Jahr 1967 - ein Stück Fern-seh-geschichte, das Museumswert besitzt.
"Ganoven-Ede" als Feindbild der Linken
Dreißig Jahre lang moderierte, nein, war Eduard Zimmermann "Aktenzeichen XY". Dass der spröde Moderator in etwa so viel Ausstrahlung wie ein Aktenschrank besaß, machte ihn nur glaubwürdiger. Denn er focht nicht nur den Kampf Gut gegen Böse, sondern verteidigte auch jene Wirtschaftswunder-Wohlanständigkeit, die sich ab 1968 zunehmend durch "Linke und Langhaarige" bedroht wähnte. Kein Wunder, dass der biedere TV-Sheriff zur Hassfigur revoltierender Studenten und Antiautoritärer wurde. Seinem Erfolg tat das indes keinen Abbruch. Bis zu 20 Millionen schalteten in den Siebzigern ein, wenn Ganoven-Ede zur Verbrecherjagd blies. Oder junge Mädchen mit ernstem Blick warnte, bloß nicht per Anhalter zu fahren, wollten sie nicht als grausiger Fund in einem Waldstück bei Koblenz oder Bielefeld enden.
Der Gruselfaktor machte von Beginn an einen Hauptreiz der Sendung aus. Es war kein Zufall, dass sie jahrelang auf dem Krimisendeplatz am Freitagabend lief. Dass die filmischen Rekonstruktionen der Fälle immer ein wenig hüftsteif inszeniert waren und die Darsteller oft laienhaft agierten, steigerte die beunruhigende Wirkung sogar, auch wenn viele Beiträge der Siebziger- und Achtzigerjahre aus heutiger Sicht eher unfreiwillig komisch rüberkommen.
Nackt auf dem Seziertisch
"Heute denken wir viel filmischer als damals", sagt Michael Meister, der als Herstellungsleiter bei Securitel die "XY"-Filme realisiert. "Wir legen Wert auf Geschwindigkeit, auf eine spannende Inszenierung und einen ästhetisch ansprechenden Look." Der allerdings mit sehr viel geringeren Mitteln als -vergleichbare TV-Produktionen verwirklicht werden muss. Gerade mal fünf Wochen Zeit hat das Team, um aus einem Drehbuch einen sendefertigen Film zu machen. Aus Termin- und Kostengründen wird grundsätzlich im Münchner Raum gedreht. Da muss dann schon mal Landsberg am Lech als Lüneburg durchgehen. Kürzlich hat Meister für einen Dreh zwei ausrangierte Geldautomaten zum Stückpreis von rund 2000 Euro anschaffen lassen. Das fiel bereits in die Rubrik "besonderer Aufwand". Und rechtfertigte sich nur, weil Geldautomaten auch in künftigen Fällen immer wieder eine Rolle spielen dürften.
Trotz bescheidener Mittel gelingen dem Team durchaus effektvolle und dramatische Filme. Manchem ist es sogar zu viel des Dramas: Immer wieder mal monieren Kritiker, die Macher würden durch eine reißerische Inszenierung aus menschlichem Leid Unterhaltungskapital schlagen. Redaktionsleiterin Ina-Maria Reize-Wildemann widerspricht: "Ziel der Sendung ist es, die Öffentlichkeit zur Mithilfe zu mobilisieren. Das gelingt nur, wenn man auch Emotionen weckt. Aber dabei sind wir so zurückhaltend wie möglich." Trotzdem kann man sich fragen, ob es wirklich nötig ist, ein junges weibliches Mordopfer auf dem Seziertisch zu zeigen, wie jüngst in einer Sendung. Und zwar so, dass die nackten Brüste auch wirklich in jeder Einstellung gut im Bild sind.
Ausschließlich Kapitalverbrechen
Während sich der Look der Sendung modernen Sehgewohnheiten angepasst hat, setzt man hinter den Kulissen auf Bewährtes. Im Zentrum stehen heute wie vor vier Jahrzehnten sogenannte Kapitalverbrechen: Tötungsdelikte, schwerer Raub, Vergewaltigung. Nicht etwa weil diese Fälle besonders spannend wären, sondern weil der Gesetzgeber -eine öffentliche Fahndung nur bei außer-gewöhnlich schweren Straftaten zulässt. In jedem Fall muss die Staatsanwaltschaft ein offizielles Okay geben, bevor die Kripo einen Fall an "XY" weiterreichen darf.
Für die Ermittlungsbehörden ist die Zusammenarbeit mit den TV-Ermittlern eine zweischneidige Angelegenheit. Einerseits können sie wertvolle Hilfe erwarten. Fast 41 Prozent aller Fälle werden nach einer Fahndung im Fernsehen aufgeklärt. Andererseits sorgt sich wohl der eine oder andere Kripobeamte um den Ruf seiner Dienststelle, wenn die nur mit Unterstützung der Fernsehfritzen ihren Job erledigt bekommt, Straftäter dingfest zu machen. "In den meisten Fällen kommen die Ermittlungsbehörden mit der Bitte um Mithilfe auf uns zu. Aber wir wenden uns vereinzelt auch direkt an die Polizei, wenn wir von einem Verbrechen hören oder lesen", erzählt die Redaktionsleiterin.
Erfolge kann "Aktenzeichen XY" nicht nur bei den Aufklärungs-, sondern auch bei den TV-Quoten vorweisen. Mit mehr als fünf Millionen Zuschauern zählt das Magazin zu den erfolgreichsten ZDF-Sendungen. Reize-Wildemann ist in Gedanken schon im Jahr 2017: "Dann ist XY 50 Jahre auf Sendung - ein gewaltiges Jubiläum und relativ einmalig in der Fernsehlandschaft."
Christian Holst
Aktenzeichen XY... ungelöst
Mi 14.10. ZDF 2015 Uhr
"Heute denken wir viel filmischer als damals", sagt Michael Meister, der als Herstellungsleiter bei Securitel die "XY"-Filme realisiert. "Wir legen Wert auf Geschwindigkeit, auf eine spannende Inszenierung und einen ästhetisch ansprechenden Look." Der allerdings mit sehr viel geringeren Mitteln als -vergleichbare TV-Produktionen verwirklicht werden muss. Gerade mal fünf Wochen Zeit hat das Team, um aus einem Drehbuch einen sendefertigen Film zu machen. Aus Termin- und Kostengründen wird grundsätzlich im Münchner Raum gedreht. Da muss dann schon mal Landsberg am Lech als Lüneburg durchgehen. Kürzlich hat Meister für einen Dreh zwei ausrangierte Geldautomaten zum Stückpreis von rund 2000 Euro anschaffen lassen. Das fiel bereits in die Rubrik "besonderer Aufwand". Und rechtfertigte sich nur, weil Geldautomaten auch in künftigen Fällen immer wieder eine Rolle spielen dürften.
Trotz bescheidener Mittel gelingen dem Team durchaus effektvolle und dramatische Filme. Manchem ist es sogar zu viel des Dramas: Immer wieder mal monieren Kritiker, die Macher würden durch eine reißerische Inszenierung aus menschlichem Leid Unterhaltungskapital schlagen. Redaktionsleiterin Ina-Maria Reize-Wildemann widerspricht: "Ziel der Sendung ist es, die Öffentlichkeit zur Mithilfe zu mobilisieren. Das gelingt nur, wenn man auch Emotionen weckt. Aber dabei sind wir so zurückhaltend wie möglich." Trotzdem kann man sich fragen, ob es wirklich nötig ist, ein junges weibliches Mordopfer auf dem Seziertisch zu zeigen, wie jüngst in einer Sendung. Und zwar so, dass die nackten Brüste auch wirklich in jeder Einstellung gut im Bild sind.
Ausschließlich Kapitalverbrechen
Während sich der Look der Sendung modernen Sehgewohnheiten angepasst hat, setzt man hinter den Kulissen auf Bewährtes. Im Zentrum stehen heute wie vor vier Jahrzehnten sogenannte Kapitalverbrechen: Tötungsdelikte, schwerer Raub, Vergewaltigung. Nicht etwa weil diese Fälle besonders spannend wären, sondern weil der Gesetzgeber -eine öffentliche Fahndung nur bei außer-gewöhnlich schweren Straftaten zulässt. In jedem Fall muss die Staatsanwaltschaft ein offizielles Okay geben, bevor die Kripo einen Fall an "XY" weiterreichen darf.
Für die Ermittlungsbehörden ist die Zusammenarbeit mit den TV-Ermittlern eine zweischneidige Angelegenheit. Einerseits können sie wertvolle Hilfe erwarten. Fast 41 Prozent aller Fälle werden nach einer Fahndung im Fernsehen aufgeklärt. Andererseits sorgt sich wohl der eine oder andere Kripobeamte um den Ruf seiner Dienststelle, wenn die nur mit Unterstützung der Fernsehfritzen ihren Job erledigt bekommt, Straftäter dingfest zu machen. "In den meisten Fällen kommen die Ermittlungsbehörden mit der Bitte um Mithilfe auf uns zu. Aber wir wenden uns vereinzelt auch direkt an die Polizei, wenn wir von einem Verbrechen hören oder lesen", erzählt die Redaktionsleiterin.
Erfolge kann "Aktenzeichen XY" nicht nur bei den Aufklärungs-, sondern auch bei den TV-Quoten vorweisen. Mit mehr als fünf Millionen Zuschauern zählt das Magazin zu den erfolgreichsten ZDF-Sendungen. Reize-Wildemann ist in Gedanken schon im Jahr 2017: "Dann ist XY 50 Jahre auf Sendung - ein gewaltiges Jubiläum und relativ einmalig in der Fernsehlandschaft."
Christian Holst
Aktenzeichen XY... ungelöst
Mi 14.10. ZDF 2015 Uhr