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Ärzte ohne Grenzen

Free-TV-Premiere: Serie "The Knick" von Steven Soderbergh

Steven Soderberghs Medizinerserie "The Knick" (DI, 18.8.) geht zur Sache: Im New York um 1900 bricht Chirurg Clive Owen Knochen und Tabus

"The Knick" ist wie Schwimmen: 30 Minuten vorher sollte man nichts essen. Denn das Anfang des 20. Jahrhunderts spielende Ärzte­drama stellt mit seinen primitiven medizinischen Methoden selbst hartgesottene Mägen auf die Probe. "Ich hoffe, die Hälfte der Zuschauer hält sich die Augen zu", sagte Macher Steven Soderbergh vor der Ausstrahlung. Diese Quote wird bereits in der ersten Folge sicher übertroffen.

Als eine Schwangere mit Plazentaablösung mittels einer Frühform des Kaiserschnitts operiert wird, läuft aus ihrem Bauch das Blut wie Wasser aus einem Feuerwehrschlauch. Während das Baby mit einem fußbetriebenen Blasebalg ins Leben zurückgeholt werden soll, versuchen die Ärzte um Dr. John Thackery (Clive Owen), das Blut mit handkurbelbetriebenen Saugern abzupumpen.

Die archaischen Methoden schockierten selbst die Anwesenden beim Dreh. Denn erst als die ­Kameras liefen, strömte zum ersten Mal roter Saft aus dem künstlichen Babybauch. Mehrere Personen stürmten aus dem Raum, und "sogar die Schauspieler waren perplex, wie schnell die Sache aus dem Ruder geriet", freute sich der offenbar leicht sadistisch veranlagte Soderbergh.
Medizin, Rassenkonflikte, Klassensystem
Der Oscar-gekrönte "Traffic"-Regisseur brach für die Serie sogar ein Versprechen. Im Januar 2013 verkündete er in einem Interview desillusioniert seinen Abschied von Hollywood. Aber wie vielen (Früh-)Rentnern fiel auch ihm zu Hause schnell die Decke auf den Kopf. Vier Monate später verkündete er mit "The Knick" sein Comeback aus einem Ruhestand, der keiner war.

"Ich war der Erste, der das Drehbuch gelesen hat. Und ich wusste, wenn ich es nicht mache, wird sofort ein anderer zuschlagen", erklärte der 52-Jährige seinen Gesinnungswandel. "Es dreht sich um alles, was mich interessiert: Wissenschaft, Medizin, Rassenkonflikte und das Klassensystem." Vor allem aber gewährte ihm das Projekt völlige künstlerische Freiheit. Für gewöhnlich liegen TV-Serien in den Händen der Autoren. Doch als Regisseur, Kameramann, Cutter und Produzent aller Folgen hielt Soderbergh in diesem Fall alle Fäden in der Hand.

Die Chance, mit ihm zu arbeiten, war einer der Hauptgründe, dass Clive Owen zusagte. Der andere waren die exquisit recherchierten Dreh­bücher von Jack Amiel und Michael Begler. Ihre Hauptfigur Dr. John Thackery ist angelehnt an den Chirurgen William Halsted, der wegweisende Innovationen auf den Weg brachte, während er gleichzeitig mit Kokain als lokalem Betäubungsmittel experimentierte und süchtig wurde.

Ein echtes Knickerbocker Hospital gab es ebenfalls in New York, auch wenn es diesen Namen erst 1913 erhielt. Deshalb lohnt es sich in dieser Serie wirklich einmal, den Second Screen an der Seite zu haben. Nicht um über Twitter Kommentare abzugeben, sondern etwa um Handlungsdetails zu recherchieren und mit heruntergeklappter Kinnlade festzustellen, dass die meisten von ihnen direkt aus der Realität stammen - wie etwa die Episode um "Typhoid Mary" Mallon, ein von der Polizei angeführter Lynchmob gegen die afro­amerikanische Bevölkerung. Oder welch fatale Rolle die Farben­fabrik Friedrich Bayer bei der Behandlung von Süchtigen spielte.

Am Ende der zehn Folgen (eine zweite Staffel folgt demnächst) bleiben dem Zuschauer daher zwei Dinge: große Dankbarkeit, dass wir nicht 100 Jahre früher gelebt haben, und den zweifelnden Gedanken im Hinterkopf, welche heutigen Behandlungsmethoden wohl in 100 Jahren als barbarisch gelten werden.

Rüdiger Meyer

The Knick ... im TV
ab DI, 18.8., ZDF neo, 22:30 Uhr