Fernsehen ist in fünf Jahren tot. Bill Gates prophezeite das. Und zwar vor genau fünf Jahren. Der Software-Milliardär meinte, das Internet würde die alte Flimmerkiste ins Jenseits befördern. Wie falsch er damit lag, zeigt ein kurzer Blick in die TV-Statistik: 222 Minuten saß der Durchschnittsdeutsche 2012 täglich vor dem Fernseher. Ein Plus von fast 11 Prozent gegenüber 2002.
"Fernsehen wird auch in Zukunft noch das Leitmedium sein", glaubt Jürgen Hörner, TV-Chef bei ProSiebenSat.1. Und ARD-Programmdirektor Volker Herres ist sich sicher: "Internet und Mediatheken werden das klassische Fernsehprogramm nicht ersetzen, sondern ergänzen." Wir wagen einen Blick ins nächste Jahrzehnt und zeigen, wie unser TV-Alltag im Jahr 2030 aussehen könnte.
Jan ist Jahrgang 1995. Zu seinem 35. Geburtstag hat ihm seine Freundin Anna einen neuen Fernseher geschenkt - einen Apparat mit Standardausstattung, also Internet, TV-Cam und Second Screen. "Smart-TV" nannte man die Dinger, als sie vor 20 Jahren aufkamen. Im vergangenen Jahr fiel bereits jedes zweite verkaufte Gerät in diese Kategorie.
Fernsehen im Badezimmerspiegel
Jans Fernsehtag beginnt jedoch vor dem Badezimmerspiegel. "News" sagt er, während er sich Rasierschaum ins Gesicht pinselt. Im Spiegel springt ein Fenster mit dem "Tagesschau"-Logo auf. "Fernsehinhalte werden linear und non-linear auf verschiedensten Endgeräten verfügbar sein, von mobilen Screens bis zum 2-Meter-Bildschirm, was wir allerdings auch schon heute anbieten", sagt Frank Hoffmann, Programm-Geschäftsführer bei RTL.
Nach Feierabend sind Anna und Jan verabredet, um ihren Urlaub zu planen - an Jans neuem Fernseher. Hier kommen die 3D-Ansichten der Hotelzimmer am besten zur Geltung. "Lean-Back Internet" nennt eine Studie des Medienforschungsinstituts Phaydon den Trend, das Netz nicht am Schreibtisch, sondern auf dem Sofa sitzend zu nutzen. Die Gestensteuerung hat Jan wie immer abgeschaltet - zu nervig. Jan navigiert mithilfe eines kleinen Tablet-PCs durch die Angebote. Der Second Screen hat die klassische Fernbedienung mit Knöpfen ersetzt.
Die Jacke des TV-Stars, sofort bestellbar
Die Urlaubsbuchung wird vertagt, Jan und Anna wollen fernsehen. Das ist auch im Jahr 2030 immer noch die wichtigste Funktion des Geräts. Doch wie sieht das Programm der Zukunft aus? "Es wird deutlich mehr private Sender geben", sagt Jürgen Hörner. Die großen Sendergruppen haben neben ihren Flaggschiffen Dutzende Spartenkanäle am Start. Videoplattformen wie YouTube mischen mit eigenen TV-Kanälen mit. Und dann sind da noch die Online-Videotheken und Mediatheken, mit denen sich theoretisch jeder sein eigenes Programm zusammenstellen kann. Der härtere Kampf um Aufmerksamkeit treibt grelle Blüten. Jan und Anna sind sich einig, dass Teile des Fernsehens heute trashiger sind als in ihrer Jugend.
Die Vernetzung hat den Sendern aber auch neue Einnahmequellen eröffnet. Klassische Spots sind nur noch eine davon. Mindestens ebenso wichtig sind individualisierte Werbeeinblendungen. Eine neue Form von Product-Placement hat sich entwickelt: Die Jacke des Soapdarstellers, die Espressomaschine des Kommissars - mit einem Fingerwisch liegen sie im persönlichen Warenkorb. Außerdem sind viele Sendungen eng mit kostenpflichtigen Zusatzinhalten verzahnt.
Den Privaten stehen die gebührenfinanzierten Sender gegenüber. Sie haben ihr öffentlich-rechtliches Profil geschärft, sind werbefrei und wissen Publikum mit Qualität an sich zu binden. Außerdem haben sie ihr Angebot gestrafft: Mit dem Rückbau der Digitalkanäle hat das ZDF bereits 2013 begonnen. An ihre Stelle sind im Jahr 2030 Webchannels getreten: thematisch gebündelte Mediatheken für verschiedene Zielgruppen und Interessengebiete.
Den Durchblick im TV-Dschungel behalten Jan und Anna mithilfe der TV SPIELFILM-App. Sie listet auf dem Second Screen Programme auf, bietet intelligente Suchfunktionen an und gibt persönliche Empfehlungen. Sendungen lassen sich direkt aus der App aufrufen. Auf der Liste mit Vorschlägen stehen die erste Folge von "DSDShome" bei RTL interactive und eine neue ARD-Serie.
Mit "DSDShome" reanimiert der Mitmach-Kanal von RTL eine fast vergessene Castingshow. Neu ist, dass die Bewerber nicht ins Studio kommen, sondern zu Hause vor dem Fernseher auftreten. "Die Möglichkeiten einer stärkeren Interaktion mit und parallel zu den Inhalten werden weiter zunehmen", sagt Frank Hoffmann voraus. Dabei kommt auch die Webcam zum Einsatz, über die jedes Gerät verfügt. Vor 17 Jahren wurden nach einer Talkshow Tweets vorgelesen. Heute können Zuschauer von zu Hause aus live an Sendungen teilnehmen.
TV zum Mitmachen? Nicht jeden reizt das
Für die Sender ist Interaktivität ein wichtiges Mittel, um viele Zuschauer simultan ins laufende Programm zu locken. Als sie jünger waren, haben Jan und Anna die Möglichkeiten des Mitmach-Fernsehens ausgiebig genutzt. Mit zunehmendem Alter hat ihr Interesse daran ein wenig nachgelassen. Nur der "Tatort" wird nach wie vor jeden Sonntag live auf der zur Sendung gehörenden Social-TV-Plattform diskutiert. Ist halt Tradition.
"Seltsam, am Abend gucken wir fast genau so fern wie unsere Eltern früher mit ihrer Röhre", sagt Jan, als die Serie zu Ende ist. "Seit Kurzem ertappe ich mich sogar dabei, um 20 Uhr die ,Tagesschau‘ einzuschalten." "Die Technik verändert sich eben schneller als wir Menschen", antwortet Anna und beißt in einen Kartoffelchip.
Christian Holst
"Fernsehen wird auch in Zukunft noch das Leitmedium sein", glaubt Jürgen Hörner, TV-Chef bei ProSiebenSat.1. Und ARD-Programmdirektor Volker Herres ist sich sicher: "Internet und Mediatheken werden das klassische Fernsehprogramm nicht ersetzen, sondern ergänzen." Wir wagen einen Blick ins nächste Jahrzehnt und zeigen, wie unser TV-Alltag im Jahr 2030 aussehen könnte.
Jan ist Jahrgang 1995. Zu seinem 35. Geburtstag hat ihm seine Freundin Anna einen neuen Fernseher geschenkt - einen Apparat mit Standardausstattung, also Internet, TV-Cam und Second Screen. "Smart-TV" nannte man die Dinger, als sie vor 20 Jahren aufkamen. Im vergangenen Jahr fiel bereits jedes zweite verkaufte Gerät in diese Kategorie.
Fernsehen im Badezimmerspiegel
Jans Fernsehtag beginnt jedoch vor dem Badezimmerspiegel. "News" sagt er, während er sich Rasierschaum ins Gesicht pinselt. Im Spiegel springt ein Fenster mit dem "Tagesschau"-Logo auf. "Fernsehinhalte werden linear und non-linear auf verschiedensten Endgeräten verfügbar sein, von mobilen Screens bis zum 2-Meter-Bildschirm, was wir allerdings auch schon heute anbieten", sagt Frank Hoffmann, Programm-Geschäftsführer bei RTL.
Nach Feierabend sind Anna und Jan verabredet, um ihren Urlaub zu planen - an Jans neuem Fernseher. Hier kommen die 3D-Ansichten der Hotelzimmer am besten zur Geltung. "Lean-Back Internet" nennt eine Studie des Medienforschungsinstituts Phaydon den Trend, das Netz nicht am Schreibtisch, sondern auf dem Sofa sitzend zu nutzen. Die Gestensteuerung hat Jan wie immer abgeschaltet - zu nervig. Jan navigiert mithilfe eines kleinen Tablet-PCs durch die Angebote. Der Second Screen hat die klassische Fernbedienung mit Knöpfen ersetzt.
Die Jacke des TV-Stars, sofort bestellbar
Die Urlaubsbuchung wird vertagt, Jan und Anna wollen fernsehen. Das ist auch im Jahr 2030 immer noch die wichtigste Funktion des Geräts. Doch wie sieht das Programm der Zukunft aus? "Es wird deutlich mehr private Sender geben", sagt Jürgen Hörner. Die großen Sendergruppen haben neben ihren Flaggschiffen Dutzende Spartenkanäle am Start. Videoplattformen wie YouTube mischen mit eigenen TV-Kanälen mit. Und dann sind da noch die Online-Videotheken und Mediatheken, mit denen sich theoretisch jeder sein eigenes Programm zusammenstellen kann. Der härtere Kampf um Aufmerksamkeit treibt grelle Blüten. Jan und Anna sind sich einig, dass Teile des Fernsehens heute trashiger sind als in ihrer Jugend.
Die Vernetzung hat den Sendern aber auch neue Einnahmequellen eröffnet. Klassische Spots sind nur noch eine davon. Mindestens ebenso wichtig sind individualisierte Werbeeinblendungen. Eine neue Form von Product-Placement hat sich entwickelt: Die Jacke des Soapdarstellers, die Espressomaschine des Kommissars - mit einem Fingerwisch liegen sie im persönlichen Warenkorb. Außerdem sind viele Sendungen eng mit kostenpflichtigen Zusatzinhalten verzahnt.
Den Privaten stehen die gebührenfinanzierten Sender gegenüber. Sie haben ihr öffentlich-rechtliches Profil geschärft, sind werbefrei und wissen Publikum mit Qualität an sich zu binden. Außerdem haben sie ihr Angebot gestrafft: Mit dem Rückbau der Digitalkanäle hat das ZDF bereits 2013 begonnen. An ihre Stelle sind im Jahr 2030 Webchannels getreten: thematisch gebündelte Mediatheken für verschiedene Zielgruppen und Interessengebiete.
Den Durchblick im TV-Dschungel behalten Jan und Anna mithilfe der TV SPIELFILM-App. Sie listet auf dem Second Screen Programme auf, bietet intelligente Suchfunktionen an und gibt persönliche Empfehlungen. Sendungen lassen sich direkt aus der App aufrufen. Auf der Liste mit Vorschlägen stehen die erste Folge von "DSDShome" bei RTL interactive und eine neue ARD-Serie.
Mit "DSDShome" reanimiert der Mitmach-Kanal von RTL eine fast vergessene Castingshow. Neu ist, dass die Bewerber nicht ins Studio kommen, sondern zu Hause vor dem Fernseher auftreten. "Die Möglichkeiten einer stärkeren Interaktion mit und parallel zu den Inhalten werden weiter zunehmen", sagt Frank Hoffmann voraus. Dabei kommt auch die Webcam zum Einsatz, über die jedes Gerät verfügt. Vor 17 Jahren wurden nach einer Talkshow Tweets vorgelesen. Heute können Zuschauer von zu Hause aus live an Sendungen teilnehmen.
TV zum Mitmachen? Nicht jeden reizt das
Für die Sender ist Interaktivität ein wichtiges Mittel, um viele Zuschauer simultan ins laufende Programm zu locken. Als sie jünger waren, haben Jan und Anna die Möglichkeiten des Mitmach-Fernsehens ausgiebig genutzt. Mit zunehmendem Alter hat ihr Interesse daran ein wenig nachgelassen. Nur der "Tatort" wird nach wie vor jeden Sonntag live auf der zur Sendung gehörenden Social-TV-Plattform diskutiert. Ist halt Tradition.
"Seltsam, am Abend gucken wir fast genau so fern wie unsere Eltern früher mit ihrer Röhre", sagt Jan, als die Serie zu Ende ist. "Seit Kurzem ertappe ich mich sogar dabei, um 20 Uhr die ,Tagesschau‘ einzuschalten." "Die Technik verändert sich eben schneller als wir Menschen", antwortet Anna und beißt in einen Kartoffelchip.
Christian Holst