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Emma Thompson Interview

"Ich erlitt eine Angstattacke"

Als "zauberhafte Nanny" bewies die Oscar-Preisträgerin 2005 Mut zur Hässlichkeit. Zum Start der Fortsetzung (Kinostart: 1.4.2010) verrät die britische Kino-Ikone, warum ihr die Rolle dennoch so am Herzen liegt.

Was gefällt Ihnen besonders an Nanny McPhee, die ja Ihre Erfindung ist?

EMMA THOMPSON: Ich liebe die Rolle einfach und bewundere, wofür die Figur steht. Ich schreibe gerne Geschichten, in denen sich auf bizarre, aber auch revolutionäre Art menschliches Verhalten ändert und Konflikte gelöst werden. Die Handlungen vieler Kinderfilme sind oft sehr vereinfacht dargestellt und überzeugen mich nicht. Besonders das Reality TV, das viele Kinder anschauen, ist schrecklich. Ich möchte etwas Gutes zur Kultur beitragen, die Kinder mit Filmen aufsaugen. Kunst beeinflusst die Menschlichkeit, was sich jetzt nicht überzogen anhören soll. Es geht darum, Geschichten zu erzählen, die Menschen so beeinflussen, dass sie sich nicht mehr gegenseitig verletzen.

Mein Vater schrieb die Drehbücher zur britischen Kindersendung The Magic Roundabout. Er sagte immer: 'Kinder sind Menschen, die einfach noch nicht so lange gelebt haben wie ich. Warum sollte ich zu ihnen in einer anderen Sprache sprechen?' Nanny McPhee ist zum Teil auch eine Hommage an meinen Vater, ich versuche Geschichten zu schreiben, die sowohl Kinder als auch Erwachsene ansprechen.

Sie haben neun Jahre am Drehbuch des ersten Nanny McPhee Films geschrieben. Wie lange brauchten Sie für die Fortsetzung?

EMMA THOMPSON: Diesmal nur viereinhalb Jahre. Ich habe beim ersten Mal viel dazugelernt. Ich sehe diesen Film allerdings nicht als Fortsetzung, denn die Geschichte ist eine völlig andere und spielt in einer anderen Zeit. Das einzige, was gleich bleibt, ist meine eigene Rolle, die ich aber auch weiter entwickelt habe.

Jetzt hat Nanny McPhee nicht nur eine Beziehung zu den Kindern und Erwachsenen, denen sie helfen will, sondern auch eine enge Verbindung zu einer Dohle. Dieser Vogel möchte nichts lieber, als wieder auf ihrer Schulter zu sitzen, doch sie hatte ihn aus ihrem Leben verbannt. Jetzt ist die Dohle zurückgekehrt, aber Nanny McPhee reagiert sehr genervt auf den Vogel, ein neuer Charakterzug an ihr.

Am Ende des Film richtet sich die letzte Lektion an Nanny McPhee selbst. Ansonsten geht es wieder um einen fehlenden Elternteil, diesmal den Vater, der im Zweiten Weltkrieg an der Front kämpft. Ich würde auch gerne eine Geschichte schreiben, in der beide Elternteile sich nicht richtig um ihre Kinder kümmern können, weil sie zuviel arbeiten müssen - was ja heute in vielen Familien vorkommt.

Sie arbeiteten also schon an einem dritten Teil?

EMMA THOMPSON: Warten wir mal ab, wie dieser Film laufen wird. Ich bin da etwas abergläubisch.

Sie selbst sind eine Mutter, die arbeitet. Wie gehen Sie damit um?

EMMA THOMPSON: Ich habe das Glück, genug Geld zu verdienen, um ein oder zwei Jahre zu Hause zu bleiben. Aber ich sehe auch, wie meine Schwester und mein Schwager täglich Wege finden müssen , um ihre Jobs mit dem Familienleben unter einen Hut zu bringen.

Sie übernehmen nicht nur die Hauptrolle, sondern sind auch Produzentin ...

EMMA THOMPSON: ... und ich habe mich um die Essenausgabe gekümmert. Nein, die Produzentenrolle besteht eigentlich eher auf dem Papier. Es ist ein sehr anstrengender Job, nicht nur für mich. Es passiert immer etwas, das nicht auf dem Plan steht. Die fünf Kinder , die in diesem Film mitspielen wollen motiviert werden.

Zum Glück hatten wir Maggie Gyllenhaal und Rhys Ifans dabei, die mit Kindern gut umgehen können und sich viel mit ihnen beschäftigten. Man muss ständig am Ball sein, auf dem Set laufen Tiere herum, wir drehen mit zwei bis drei Kameras. Am Ende eines Drehtags waren wir alle völlig erledigt.

Wie verstanden Sie sich diesmal mit den Tieren? Im ersten Film kamen Sie ja nicht so gut mit dem Esel zurecht.

EMMA THOMPSON: Ich hasste diesen Esel, er wollte sich einfach nicht bewegen. Das Tier konnte einfach nicht schauspielern.

Mit den Ferkeln ging es jetzt besser?

EMMA THOMPSON: Die Ferkel waren einfach himmlisch, toll dressiert. Schweinchen beruhigen war übrigens auch eine meiner Aufgaben beim Dreh.

Gönnen Sie sich nach dem ganzen Stress erstmal eine Auszeit?

EMMA THOMPSON: Leider nein, im nächsten Jahr steht das Remake von My Fair Lady an. Dann werde ich neue Drehbücher schreiben, in der Hoffnung, dass die Filmindustrie wieder gesundet, und wir wieder richtige Filme drehen können.

Im Moment werden keine neuen Dramen mehr produziert. Nanny McPhee ist dagegen ein Familienfilm, und die werden auch weiterhin laufen. Bei Orginal- Dramen haben selbst Leute wie Steven Soderbergh derzeit Probleme, Geld für ihre Film aufzutreiben.

Was macht Ihnen mehr Spaß, Drehbücher zu schreiben oder die Schauspielerei?

EMMA THOMPSON: Am besten gefällt mir die Kombination von beidem. Das Schreiben lässt sich einfacher mit meiner Rolle als Mutter vereinbaren. Selbst bei Filmen wie Nanny McPhee, der ja in England gedreht wurde, ist meine Tochter Gaya nach drei Monaten langsam genervt, weil ich wenig Zeit für sie habe, obwohl ihr Vater die ganze Zeit zu Hause blieb.

Die letzten Wochen der Dreharbeiten verbrachte sie dann am Set, weil sie Sommerferien hatte. Sie stand im Catering Wagen und schenkte Drinks aus.

Wie lief es diesmal mit Ihrem Make-Up?

EMMA THOMPSON: Etwas besser. Beim ersten Mal musste ich für eine Maske aufsetzen, um einen Abdruck von meinem Gesicht machen zu lassen. Das war sehr unangenehm, ich erlitt eine Angstattacke unter der Maske. Dieses Gefühl habe ich jetzt jedes Mal, wenn ich eine Taucherbrille aufsetzte. Ich kann nicht mehr unter Wasser tauchen.

Sind Sie manchmal selbst schockiert, wie hässlich Sie als Nanny McPhee aussehen?

EMMA THOMPSON: Klar. Aber ich gehe auch in vollem Make-Up auf die Strasse. Wir drehten gerade in London, und ich hatte Besuch von Freunden aus Frankreich. Wir beschlossen, essen zu gehen, aber ich hatte keine Zeit mehr, mich umzuziehen. Also ging ich in voller Montur in eine Tapas Bar in Baker Street. Keiner der Gäste hat auch nur mit der Wimper gezuckt.

Ab und zu schauten mal Leute her, um dann ganz schnell wieder auf ihre Teller zu gucken, weil es ihnen peinlich war, dabei ertappt zu werden, wie sie diese alte Frau mit der Warze anstarrten. Es war sehr lustig.

Bei Schauspielerinnen wird viel Wert auf das Aussehen gelegt. Wie gehen Sie damit um?

EMMA THOMPSON: Naja, soviel Aufmerksamkeit bekomme ich nicht. Manchmal ist der Tenor eher negativ, was der Beruf eben so mit sich bringt. Aber ich glaube nicht, dass sich die Leute wirklich dafür interessieren, wie ich aussehe. Die Presse ist zumindest nicht sonderlich daran interessiert. Ich bin ja nicht Sharon Stone.

Trotzdem haben Sie einmal versucht, sich glamouröser zu stylen?

EMMA THOMPSON: Ach ja, mein kurzer Flirt mit dem Glamour, den ich ganz schnell wieder beendete, weil es einfach zuviel Aufwand bedeutete. Muss ich etwa schon wieder ein Spray Tan haben? Oh nein, ich kann es nicht ertragen.

Es klingt, als seien Sie unglaublich erleichtert, dass diese Phase vorbei ist?

EMMA THOMPSON: Ja, ich kann Glamour einfach nicht durchhalten. Wenn wir mit Nanny McPhee auf Tour sind, dann style ich mich ein bisschen. Aber im täglichen Leben bin ich eher wie ein Schaf. Ich trage jeden Tag etwas Altes aus Wolle. Klingt furchtbar, ist aber wahr.

Wie war es für Sie, 50 Jahre alt zu werden?

EMMA THOMPSON: Ich fand es sehr schwierig. Nicht weil das Älterwerden so deprimierend ist, sondern weil einem plötzlich bewusst wird, dass man nicht mehr so viel vom Leben vor wie hinter sich hat. Mit 45 Jahren konnte ich mir vielleicht noch vormachen, dass ich 90 Jahre alt werde, aber 100 Jahre?

Ich sorge mich, weil ich nicht mehr soviel Zeit habe, all das zu machen, was ich noch machen will. Außerdem werde ich schneller müde. Ich muss mich ein wenig schonen, was an sich schon deprimierend ist. Mir macht es allerdings nichts aus, älter auszusehen. Ich glaube auch nicht, dass es sonderlichen Einfluss auf meine Arbeit hat.

Haben Sie aufgrund Ihres Alters Probleme Rollen zu finden?

EMMA THOMPSON: Nein, das ist mir bisher nicht aufgefallen, aber ich habe in letzter Zeit auch weniger Filme gedreht. In den vergangenen fünf Jahren habe ich einige der besten Rollen meines Lebens gespielt, wie beispielsweise in 'Schräger als Fiktion'(‚Stranger Than Fiction') und 'Last Chance Harvey'.

Ich beschwere mich nicht, aber trotzdem gibt es das Problem natürlich. Helen Mirren ist sehr erfolgreich, Meryl [Streep] rockt, das ist super, aber trotzdem haben es ältere Schauspielerinnen oft schwerer. Deshalb rate ich allen Schauspielern immer, selbst Drehbücher zu schreiben, dann hat man etwas, auf das man zurückgreifen kann. Für mich selbst habe jetzt schon wieder zwei Rollen im Kopf.

Interview: Andrea Daschner