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EM war gestern ...

Waterloo (liegt in Belgien)

Sie spielten ohne Verteidiger, ohne Vermaelen, ohne Vertonghen. Verflucht. Aber es wurde trotzdem ein großer Fußballabend, ein geiles Spiel, wie Reporter Werner Hansch einst ins Mikro rief. Für die anderen.

Foto: Imago Sportfotodienst
Die Stimmung war vor dem Anpfiff nicht schecht. 100 000 Belgier waren ins grenznahe Lille eingerückt. Vor der Kamera - man kennt die Bilder - zeigen sich die Fans von der ihrer Meinung nach besten Seite. Ins Nationaltrikot gewandet, geben sie hüpfend einfältige Singlaute von sich. Das Bier schwappt fröhlich im Plastikbecher.

Nicht weniger Alarm auf dem Platz. Wales stürmt mit der Wildheit und den Bärten der Isländer, die Belgier halten anfangs mit teils aberwitzigem Tempo und einem Weitschusshammer des "rauchenden Irokesen" (Reporter Oliver Schmidt) dagegen. Im Strafraum wird das aus dem Rugby bekannte Gedränge geübt, auf der Bank sitzt ein Kampfschwein (Belgiens Trainer Marc Wilmots) und im Hintergrund brüllt der walisische Männerchor auf den Rängen "I want to stay here and drink all that beer". Nach der schmalen Kost in diesem Turnier war das ein Abend für echten, ungestümen Männersport. Zum Zungeschnalzen, wie Gerhard Delling sagen würde. Wales gewinnt, und wieder einmal triumphiert die dritte über die erste Liga des europäischen Fußballs. Die EM hat, wie der Pokal, jetzt auch eigene Gesetze. Oder wie Oliver Welke es nennt: "Ein Zwergenaufstand jagt den nächsten".

Ein Wort zu den Ver...lierern. Belgien, Land der Biere, der Pommes, der EU. Haben die eigentlich auch Sportstars, außer Eddie Merckx? Wer kennt belgische Sprinter, Tennisspieler, Schwimmer? Aber es gibt die aktuellen Kicker, die aufregenden, erstklassigen Fußball spielen. Nur leider gestern allenfalls ansatzweise und, wie gesagt, ohne Verteidiger. Wo muss man die Nachbarn und ihren Rasensport überhaupt fußballhistorisch einsortieren? Die Geschichte der Niederlande, für Fußballfans "Holland", können deutsche Fans ja auswendig hersagen beziehungsweise verspotten: dreimal nur Vizeweltmeister, haha, mehrfach gar nicht qualifiziert, hahaha, einmal Europameister.

Weniger bekannt ist, dass auch Belgien seine große Zeit hatte, auch wenn die schon etwas länger zurückliegt. Es waren die 80er-Jahre, als sich eine Mannschaft aus langhaarigen, wuchtigen, unerschrockenen, cleveren Spielern formte, die 1980 um den EM-Titel kämpfte und nur von Horst Hrubesch im Endspiel bezwungen werden konnte. Bei der WM in Mexiko 1986 musste im Halbfinale schon ein Maradona kommen, um die Roten Teufel zu stoppen. Dabei hätten sie um ein Haar gar nicht am Turnier teilgenommen. Im November 1985 kam es zum Qualifikations-Play-Off gegen den Erzrivalen Holland, das sie eine Minute vor Schluss für sich entscheiden: Belgien drin, Holland mit Gullit, van Basten, Rijkaard draußen. "Alles kaputt", sagte der holländische TV-Reporter. Nie hat ein Mensch tiefer enttäuscht geklungen. Für die Belgier war es der größte Moment ihrer Fußballgeschichte. Jean-Marie Pfaff, Eric Gerets, Georges Grün, Franky Vercauteren, Enzo Scifo, Jan Ceulemans wurden zu Legenden. Gestern waren Axel Witsel, Kevin de Bruyne und Eden Hazard mit ihren Vorgängern nicht auf Augenhöhe, ver...

Andreas Rolf