Eigentlich leben Filmfreunde in goldenen Zeiten. Jede Woche laufen neue Werke über Kinoleinwände und TV-Sender. Auf DVD, Blu-ray und Streamingplattformen - legalen wie ­illegalen - ist das Bewegtbildangebot der ganzen Welt jederzeit verfügbar. Denkt man. Bis man mal wieder einen ganz bestimmten Film sehen möchte, einen Klassiker wie "Der eiskalte Engel" mit Alain Delon, einen alten Fernsehfilm wie "Das tausendund­erste Jahr" von Oliver Storz oder eine Doku wie "Verfluchte Liebe deutscher Film", die man neulich im WDR verpasst hat und die ja sicherlich in der Mediathek steht. Da steht sie aber nicht. Und den TV-Film gibt es auch nicht und Delon nur auf Französisch. Ohne Untertitel. Bestimmte Filme, da­runter auch sehr bekannte, preisgekrönte Titel, sind einfach nicht zu haben. Woran liegt das?

Die verfluchte Rechtefrage
Der Vorspann von "Verfluchte Liebe deutscher Film", einer hervorragenden Doku über den deutschen Genrefilm der 70er- und 80er-Jahre, beginnt mit folgender Texteinblendung: "Die Handhabung der Filmrechte in Deutschland hat uns dazu gezwungen, auf viele Szenen und Fotos zu verzichten." Das klingt genervt.

Meist scheitert eine Wiederveröffentlichung - und sei es auch nur als Schnipsel in einer Doku -daran, dass die notwendigen Verwertungsrechte nicht vorliegen. Irgendjemand hat den Film mal bezahlt und darf entscheiden, wer ihn aufführen darf. Vielleicht hat er diese Rechte aber auch weiterverkauft an eine Firma, die dann pleitegegangen ist... Die Ermittlung der Rechteinhaber ist schwierig, oft aufwendig, manchmal unmöglich. Den Film dann trotzdem zu veröffentlichen ist riskant. "Wir gehen das Risiko aber manchmal ein", sagt Filmproduzent Frieder Schlaich, der mit seiner Produktionsfirma filmgalerie451 auch rare alte Filme wieder zugänglich macht.

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Alain Delon in "Der eiskalte Engel"

Am häufigsten scheitert die ­filmische Wiedergeburt an der verwendeten Musik. Regisseur Matthias Glasner ("Blochin") unterlegte seinen frühen Film "Die Mediocren" (1994) mit Musik von Portishead und Oasis, beide Bands damals kurz vor dem Durchbruch. Die Musikrechte müssten neu erworben werden. Aber sie sind inzwischen unerschwinglich. "Noch schwieriger ist es bei ‚Sexy Sadie‘", sagt Glasner. "Dort wurde ‚Somethin' stupid‘ (Original von Frank und Nancy Sinatra) live auf der Bühne gesungen, man kann es also auch nicht einfach so ersetzen. Das macht die Wiederveröffent­lichung dieses Films, nach der es eine rege Nachfrage gibt, leider sehr kompliziert."

Die nächste Hürde ist das Quellmaterial. Woher bekommt man Filmrollen, Masterbänder, Negative in ausreichender Qualität, um davon eine hochaufgelöste Blu-ray zu produzieren?

Tino Zimmermann ist Inhaber des kleinen Videolabels Subkultur Entertainment, das auf Bahnhofskinoreißer der 70er-Jahre spezialisiert ist. Ein Film wie "Mädchen mit Gewalt" konnte so auch erstmals im TV (WDR) aufgeführt werden. Zimmermann wird manchmal in Filmarchiven wie dem der Murnau-Stiftung fündig. Doch dort wartet schon das nächste Problem: Lagerungsgebühren. Durchschnittlich muss Zimmermann 20 000 Euro Produktionskosten tragen, davon allein 5000 bis 7000 Euro für Abtastung und Restauration. Wird ein Film nach 40 Jahren aus dem Archiv angefordert, fallen 8000 Euro Gebühren an - was das Geschäft für ihn unmöglich macht.

Die Rolle von ARD und ZDF

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Verschwindet "Sexy sadie" für immer von der Bildfläche?

Auch bei einem anderen Projekt beißt sich Zimmermann gerade die Zähne aus: der Wiederver­öffentlichung eines alten ZDF-Films. Den Titel will er lieber nicht abgedruckt sehen, damit kein anderer Wiederveröffent­licher auf dieselbe Idee kommt.

Wer glaubt, dass ein öffentlich-rechtlicher Sender mit gesetzlich verbrieftem "Kulturauftrag" so ein Vorhaben bedingungslos unterstützt, wird sich wundern. Denn neben dem Anspruch, mit Gebührengeldern künstlerisch und gesellschaftlich relevante Filme zu produzieren, haben die Sender auch Dutzende Tochterfirmen, die mit der wirtschaftlichen Auswertung der Filme beauftragt sind. Und die haben keinen Kulturauftrag, sondern sollen möglichst viel Geld verdienen.

"Seit einem Jahr versuche ich in Erfahrung zu bringen, ob das ZDF Quellmaterial hat, von denen man ein neues Master ziehen könnte", sagt Zimmermann. Bis auf automatisierte ­E-Mails hat er noch keine Antwort erhalten. Zu viel Arbeit für zu wenig Geld, vermutet der Film­enthusiast. Er fühlt sich abgewimmelt.

Frieder Schlaich kennt diese bequeme Haltung nur zu gut. "Ein Filmproduzent hat mir mal gesagt: Unter 5000 Euro gehe ich gar nicht erst in den Keller." Auch er hat schon schlechte Erfahrungen mit den Verwertungstöchtern gemacht. "Wir haben uns schon häufig gestritten", sagt Schlaich. Jüngst sollte er für den RBB eine Doku produzieren, in der auch Ausschnitte aus seinen Wiederveröffentlichungen auftauchen sollten. Dieses Material sollte er gratis beisteuern. Die hauseigene Verwertungsfirma RBB Media GmbH verlangt auf der anderen Seite für Filmausschnitte von RBB-Produktionen so unverschämt viel Geld, dass Projekte nicht zustande kommen können. Schlaich sagte ab.

Hürden, Hürden, Hürden. Nirgends Hilfe? Doch. Die Filmförderanstalt FFA unterstützt eine Wiederveröffentlichung mit bis zu 15 000 Euro. Voraussetzung: Der Film muss auf einem bekannten Fes­tival gewonnen haben oder auf der sogenannten 500er-Liste mit "filmhistorisch wert­vollen" Werken auftauchen. "Mädchen mit Gewalt" scheidet also aus. Aber auch Roland Klicks "White Star", der als Bundesfilmpreisträger alle Voraussetzungen erfüllte, wurde erst mal abgelehnt, ehe er nach Widerspruch restauriert bei Schlaichs filmgalerie451 erschien.

Insgesamt 3,3 Millionen Euro stehen für die Digitalisierung des filmischen Erbes jährlich zur ­Verfügung. Angesichts eines von der FFA berechneten Bedarfs von nahezu 500 Millionen Euro für 170.000 Filme eine erschreckend kleine Summe. Zum Vergleich: Frankreich stellte für den Erhalt seiner Filme 400 Millionen Euro zur Verfügung - für einen Zeitraum von sechs Jahren.

So wird es lange dauern, bis Deutschlands filmisches Erbe zukunftssicher gemacht ist. Dabei drängt die Zeit. Denn das alte Filmmaterial ist je nach Hersteller nur ungefähr 50 Jahre farbecht, dann werden die Bilder rotstichig. Auch Videobänder verlieren durch schleichende Entmagnetisierung rapide an Bildqualität. Goldenes Zeitalter? Es gibt noch einiges zu tun.

Diese Filme würde TV SPIELFILM sehr gern wiedersehen. Es gibt sie aber entweder gar nicht mehr oder nicht mit ­deutschen Untertiteln. Wagt sich jemand an die Wiederveröffentlichung?

Der eiskalte Engel (Le Samurai, FR, IT 1967) Das Meisterwerk von Jean-Pierre Melville mit Alain Delon als Profikiller gibt es nur auf Französisch.

Unter der Milchstraße (BRD 1994) Wunderbares (Rail-)Road-Movie mit Fabian Busch als Schaffner und Detlev Buck als sein Ausbilder, völlig zu Unrecht vergessen.

Die Mama und die Hure (La maman et la putain, FR 1973) Das Erotikdrama mit Jean-Pierre Léaud gewann mal in Cannes. Der Sohn von Regisseur Jean Eustache verbietet eine Veröffentlichung auf DVD.

Seesterne (Österreich 1952) Anna will eine Wasserrevue inszenieren - ein Kleinod des naturnahen Musikfilms, auf DVD nicht erhältlich.

Der Cowboy (J. W. Coop, USA 1972) Rodeoreiter mit schwarzem Kumpel und Hippie­freundin gegen Rednecks - eine der wenigen Regie­arbeiten von Cliff Robertson, der auch die Hauptrolle spielt. Nur als Region-1-US-DVD.

Lebe das Leben (Vivre pour vivre, FR, IT 1967) Claude ­Lelouchs wunderbares ­Liebesdrama um einen TV-­Reporter zwischen zwei Frauen war mal für einen Oscar ­nominiert. Gibt's nur noch auf Französisch ohne Untertitel.

Judex (FR 1963) Der Regisseur und Gründer der Cinémathèque française, Georges Franju ("Augen ohne Gesicht"), schuf 1963 eine bizarre Hommage an die französischen Mysteryserien der Stummfilmzeit. Leider nur auf Französisch verfügbar.

2071 - Mutan-Bestien gegen Roboter (The Time Travelers, USA 1964) Kinovorbild für die TV-Serie "The Time Tunnel". - In der Zukunft warten Monster und Zeitschleifen auf Zeit­reisende und Zuschauer. Nur als britische DVD.

Rosen blühen auf dem ­Heidegrab (BRD 1952) Heimat-Schauermärchen aus der jungen Bundesrepublik. Junge Frau wird von einem Verbrechen aus der Vergangenheit heimgesucht.

Let It Be (GB 1970) Der Dokumentarfilm über das letzte ­Album der Beatles bekam mal einen Oscar. Er darf nicht mehr veröffentlicht werden, weil er die Streitigkeiten unter den Musikern zu deutlich zeigt. Tipp: archive.org

Die Nacht der Entscheidung (Miracle Mile, USA 1987) Noch 70 Minuten bis zum atomaren Weltuntergang - was tun? Ein vergessenes kleines Meisterwerk des Katastrophenfilms. Nur als britische Blu-ray.

City of Hope (USA 1991) Brillantes, preisgekröntes Sozial- und Kriminaldrama von John Sayles über die Korruption in einer US-Stadt - nur in den USA als Videostream.

Tucker (USA 1988) Coppolas Biopic über den visionären Autobauer gibt es nur noch gebraucht: wegen der Rechte!

Die Unbefriedigten (Les ­bonnes femmes, FR 1960) Claude Chabrol als kühler Chronist des französischen Alltags: Vier Verkäuferinnen jagen verzweifelt nach dem Glück. Nur auf Französisch.

Der Gehetzte von Soho (The Small World of Sammy Lee, GB 1963) Sammy hat nur fünf Stunden, um seine Schulden zu begleichen - tolle Milieubeschreibung des historischen Vergnügungsviertels Soho - leider nur auf Englisch.

Die Superschnüffler (Freebie and the Bean, USA 1974) Car-Crash-Superknaller: Alan ­Arkin und James Caan legen San Francisco in Schutt und Asche. Nur auf Englisch.

Wer erschoss Salvatore G.? (Salvatore Giuliano, IT 1961) Die Geschichte des sizilianischen Banditenkönigs und vermeintlichen Volkshelden Salvatore Giuliano, von Francesco Rosi als Thriller im Dokugewand inszeniert. Nur auf Italienisch.

Die 5000 Finger des Dr. T. (The 5000 Fingers of Dr. T. , USA 1953) Bildgewaltiger ­Musical-Albtraum für die Kleinen nach Vorlage von Kinderbuchikone Dr. Seuss ("Der ­Lorax"), Oscar-nominiert, nur auf Englisch zu haben.

Red Cliff (Chi bi, CN 2008) John Woos monumentalen Historienfilm, mit 80 Millionen Dollar der teuerste Kinofilm Chinas, gibt es für den internationalen Markt in doppelter Länge. Leider nicht bei uns.