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TV-Kritik

Kinder sind anstrengend

Warum sich niemand über RTLs neue Babysitter-Soap hätte aufregen müssen

ERWACHSEN AUF PROBE  (RTL, Mittwoch, 20.15 Uhr)
Über kostenlose PR konnte sich RTL wahrlich nicht beklagen. Der Kinderschutzbund zeigte sich entsetzt. Die evangelische Kirche auch. Das Landesjugendamt Rheinland forderte neue gesetzliche Regelungen für Baby-Arbeit im TV. Und auch der Deutsche Hausfrauenbund gehörte zu den 60 Organisationen, die noch am Sendetag die ganze Show über das Verwaltungsgericht Köln vom Bildschirm fernhalten wollten. Während der wochenlangen Aufregung fehlte eigentlich nur noch die Kanzlerin.  

Nach Ansicht der ersten Folge am gestrigen Abend darf Entwarnung gegeben werden. Die ganze öffentliche Erregung fußt auf einem großen Missverständnis. Es geht nicht um die Babys. Es geht um die vier Teenie-Pärchen, deren zum Teil unglaubliche soziale und emotionale Inkompetenz - kurz: deren sorgfältig gecastete Unreife. Für die es schwer ist, von Mamas Tisch weg mal eben einen eigenen Haushalt auf die Beine zu stellen. Für die es hammerhart ist, für ihr Geld zu arbeiten. Und die nur über die rudimentäre Fähigkeit verfügen, Konflikte einzuordnen, selbst wenn sie ihnen ins Gesicht springen.

Das gibt es zuhauf im TV, nachmittags zum Beispiel in der RTL-Reihe "Mitten im Leben", wo ebenfalls verschiedene Menschen in mehr oder weniger alltäglichen Situationen nicht zurecht, aber dafür ins Fernsehen kommen. Aber hier war die Fallhöhe eine andere, das Ergebnis umso deutlicher und RTL sicher recht: Der schwere künstliche Babybauch, der zur Einstimmung 24 Stunden zu tragen war, landete erst einmal in der Ecke und störte später nur wenig beim Rauchen. Der Baby-Dummy am nächsten Tag, mit dem unter anderem die Lärmresistenz getestet werden sollte, wurde von allen wenig ernst genommen und hauchte bei einem Pärchen gar sein "Leben" aus. 

Klar, dass die echten Babys nicht ernsthaft in die Obhut der Paare gegeben wurden. Für den Ernstfall schlich eine erwachsene Erzieherin durch den Hintergrund. Und die Mütter saßen wenige Meter entfernt vor dem Monitor. Wie im nachfolgenden "stern tv" bei Günther Jauch enthüllt wurde, griffen diese öfter ein, als die Kamera in den folgenden Wochen zeigen wird. Was "Erziehungsexpertin" Katja Kessler dort allerdings ausrichten soll, wurde mir nicht so ganz klar. Aber wenigstens ist ihr Buch oft im Bild.

Und mal ehrlich, glaubt jemand, das Ende läge nicht jetzt schon klar vor Augen? Nach vier Wochen werden alle Teenies, ob männlich oder weiblich, tränenüberströmt die Mama umarmen und froh sein, endlich wieder Party machen zu können. Vielleicht hätte sich der Kinderschutzbund weniger um die "wehrlosen Säuglinge" als vielmehr um diese Teenies sorgen sollen. Aber dort scheint man wohl auch schon das Fernsehen mit dem Leben zu verwechseln.

Heike Barnitzke