.

Patrice Chéreau mit 68 an Lungenkrebs gestorben

Der Kinoträumer ist tot

"Ich träume von einem Kino, das es noch nicht gibt", hat er 2003 in einem Interview mit dem "Nouvel Observateur" gesagt. Gestern ist der große Kinoträumer Patrice Chéreau gestorben.

(TV-News, 8.10.2013) Wer seinen Film "Intimacy" gesehen hat, wird ihn nie vergessen. Die nackten Körper, die sich auf dem Boden wälzen, das welke Fleisch, die von Nikotin gelben Finger - selten wurde das Begehren so drastisch realistisch gezeigt wie in diesem Drama, das 2001 den Goldenen Bären der Berlinale gewann. Jetzt ist sein Schöpfer, der das Leben so ungeschönt auf die Leinwand brachte, gestorben. Mit 68 Jahren hat der französische Regisseur Patrice Chereau den Kampf gegen den Lungenkrebs verloren.

Wie es sich für jemanden gehört, der in Youssef Chahines "Adieu Bonaparte" den französischen Kaiser und obersten Kriegsherrn verkörpert, eroberte Patrice Chéreau Kino, Theater und Oper im Sturm. Bereits mit 20 inszenierte er sein erstes Stück. 1974 folgte sein erster großer Kinofilm. "Das Fleisch der Orchidee" mit Charlotte Rampling zeigt bereits eine künstlerische Handschrift, die sich abseits vom Mainstream bewegt. Die Atmosphäre ist wichtiger als die Krimihandlung, eine auf Chéreaus spätere Karriere als Regisseur von Wagners "Ring" vorwegweisende Künstlichkeit triumphiert über einen platten Realismus, und das souveräne Spiel mit den Hell/Dunkel-Effekten legt nahe, dass er auch in Fußstapfen seines Vaters, eines Malers, hätte treten können.
Sein filmisches Meisterwerk gelang Chéreau 1994 mit "Die Bartholomäusnacht". Der Regisseur setzt den schönen Schein der Kostümen hart gegen das blutige Drama des Massenmordes an den Hugenotten, ein schreiender Kontrast der Farben, getragen von einer großartig aufspielenden Isabelle Adjani, die nie wieder so gut war wie in diesem 162 Minuten langen Kinojuwel, das an die Wucht griechischer Tragödien gemahnt.

Außer als Regisseur hat der Franzose auch immer wieder als Schauspieler gearbeitet, etwa in Andrzej Wajdas "Danton" als Revolutionär Camille Desmoulins und in Michael Manns "Der letzte Mohikaner" als General an der Seite von Daniel Day-Lewis.

Das Drama des Begehrens hat Chéreau bis ans Ende seines Lebens fasziniert. Ob an der Oper, wo ihm 1976 mit Wagners "Ring" in Bayreuth eine Jahrhundertinszenierung gelang, oder im Kino. "Ruhelos" hieß Chéreaus letzter Film, der 2009 bei den Filmfestspielen in Venedig vorgestellt wurde. Es hätte auch der Titel seiner Autobiographie sein können.

Rainer Unruh