Vor vier Jahren beeindruckte Vancouver die Welt mit Winterspielen, die man nach westlichen Maßstäben durchaus als zeitgemäß bezeichnen kann. Das örtliche Organisationskomitee (Vanoc) sprach von "neuen Wegen" in der olympischen Geschichte, die in Kanada beschritten wurden - ökologisch, wirtschaftlich und sozial.

Dass diese neuen Wege sich ganz schnell im Niemandsland olympischer Gier verlieren können, zeigt der Blick nach Sotschi. Zwar ließe sich das Vancouver-Motto "Sea to Sky" ("Vom Meer zum Himmel") auch auf die Stadt am Schwarzen Meer mit ihren rund 40 Kilometer entfernt im Kaukasus stattfindenden alpinen Wettbewerben übertragen - weitere Gemeinsamkeiten sind aber selbst mit der Lupe nicht zu entdecken: Das Prestigeprojekt von Russlands Präsident Wladimir Putin steht für einen Gigantismus neuer Qualität und ist mit (bislang) 37 Milliarden Euro teurer als alle bisherigen Winterspiele zusammen.
Die anfängliche Euphorie über die Vergabe nach Russland ist vor Ort längst verflogen. Nicht Vorfreude auf das Großereignis (7.-23. Februar 2014) breitet sich dort aus, sondern jede Menge Skepsis. "Die Leute, die in der Region leben, sind schon schwer gebeutelt", sagt Anne Gellinek. Die ZDF-Korrespondentin kann die Lage einschätzen: Sie war im zurückliegenden Jahr immer wieder vor Ort, um für ihre Doku "Durch den wilden Kaukasus" zu recherchieren, und kritisiert, dass die Bevölkerung nicht in das Riesenprojekt einbezogen worden ist. "Seit drei Jahren leben die Menschen dort inmitten einer gigantischen Baustelle, gegen die der Potsdamer Platz ein Fliegendreck ist", sagt Gellinek. "Offiziell heißt es, 78 Prozent der Russen seien für die Spiele, aber ich halte das für ein Gerücht."

Umweltzerstörung, Korrup­tion, Ausbeutung von Arbeitsmi­granten: Kritik an Sotschi spielt in den russischen Staatsmedien keine Rolle. Lediglich die Proteste gegen das diskriminierende Homosexuellengesetz zeigten Wirkung. Allerdings nicht in erhoffter Weise, wie Gellinek betont: "Die russische Seite hat die Kritik genutzt, um zu sa­gen: Seht ihr? Der Westen versucht uns seinen verwerflichen Lebens­stil aufzuzwingen. Wir aber halten den Wert der traditionellen Familie hoch." Obwohl Olympia in Sotschi eng mit dem Namen Putin verbunden ist und sich Kritik am Präsidenten verbietet, kann Gel­li­nek ein vielschichtiges Meinungsbild prä­sentieren. Betroffene Einheimische kommen ebenso zu Wort wie die deutsche Snowboarderin Amelie Kober. Sie sieht in den vielen Anlagen, die Putin in den Bergen aus dem Boden stampfen ließ, "ein Mittelding zwischen Dubai und Disneyland, nur mit Schnee". Wenn es davon ausreichend geben sollte, im milden Winter an der russischen Riviera...

Frank Steinberg

Durch den wilden Kaukasus
MO, 30.12., ZDF, 19.25 Uhr