Der Reichstagsbrand als Liebesgeschichte, der Beginn der faschistischen Diktatur als ARD-Eventfilm - diese gegensätzlichen Vorgaben seriös zusammenzufügen ist keine leichte Aufgabe. Dass es gelang, liegt vor allem an Regisseur Friedemann Fromm, der schon mit Filmprojekten wie "Die Wölfe" oder "Weissensee" bewiesen hat, dass man historische Themen lebensnah und spannend aufbereiten kann.
Im Gespräch mit seiner Hauptdarstellerin Anna Loos erklärt er das geschichtliche Umfeld seines Films und die ungeahnten Schwierigkeiten, die sich in der Zusammenarbeit mit einem öffentlich-rechtlichen Sender ergeben können.
TV SPIELFILM: Was ist das Ergebnis Ihrer Recherche: Wer hat damals den Reichstag angezündet?
FRIEDEMANN FROMM Das lässt sich historisch nicht mehr eindeutig klären. Ich glaube auch nicht, dass das wirklich relevant ist. Entscheidend ist, wie diese Tat instrumentalisiert wurde.
Kann man aus dem Vorfall etwas für heute lernen?
ANNA LOOS Schon. Deutschland war damals arm. Den Menschen ging es nicht gut. Gleichzeitig gab es keine großen Politiker, die ernst genommen wurden. Wenn diese Komponenten zusammenkommen - wirtschaftliche Not und Politiker, die versagen, eine schwache Demokratie -, dann ist das auch heute noch gefährlich.
FRIEDEMANN FROMM Heute ist die Demokratie natürlich gefestigter als 1933. Damals war sie instabil. Es war nicht nur die Stärke der Nazis, auch die Schwäche der Linken. Die hat sich selbst zerfleischt. Ein klassisches Muster. Würde heute einer den Bundestag anstecken, dann wäre das eine Katastrophe, hätte aber nicht diesen Effekt.
Im Gespräch mit seiner Hauptdarstellerin Anna Loos erklärt er das geschichtliche Umfeld seines Films und die ungeahnten Schwierigkeiten, die sich in der Zusammenarbeit mit einem öffentlich-rechtlichen Sender ergeben können.
TV SPIELFILM: Was ist das Ergebnis Ihrer Recherche: Wer hat damals den Reichstag angezündet?
FRIEDEMANN FROMM Das lässt sich historisch nicht mehr eindeutig klären. Ich glaube auch nicht, dass das wirklich relevant ist. Entscheidend ist, wie diese Tat instrumentalisiert wurde.
Kann man aus dem Vorfall etwas für heute lernen?
ANNA LOOS Schon. Deutschland war damals arm. Den Menschen ging es nicht gut. Gleichzeitig gab es keine großen Politiker, die ernst genommen wurden. Wenn diese Komponenten zusammenkommen - wirtschaftliche Not und Politiker, die versagen, eine schwache Demokratie -, dann ist das auch heute noch gefährlich.
FRIEDEMANN FROMM Heute ist die Demokratie natürlich gefestigter als 1933. Damals war sie instabil. Es war nicht nur die Stärke der Nazis, auch die Schwäche der Linken. Die hat sich selbst zerfleischt. Ein klassisches Muster. Würde heute einer den Bundestag anstecken, dann wäre das eine Katastrophe, hätte aber nicht diesen Effekt.
Warum wird all das mithilfe einer Liebesgeschichte erzählt?
FRIEDEMANN FROMM Wir wollten einen Film über den Zerfall einer Gesellschaft machen, der ganz stark mit der mangelnden Zivilcourage der bürgerlichen Mitte zu tun hatte. Ihrer Verachtung für das System. Annas Figur steht für den Hedonismus, das Unpolitische dieser Schicht. Sie trifft auf Jan Josef Liefers, der als Albert Goldmann aus der jüdischen Kultur kommt. Bringt man beide zusammen, kann man eine große Geschichte erzählen.
Frau Loos, Ihre Figur, Henny, ist erstaunlich emanzipiert.
ANNA LOOS Ja, diese Frauen gab es 1933, selbstbewusst und unabhängig. Mit der Machtergreifung wurde das Frauenideal aber sofort ganz bewusst verändert: Schön und stark sollten sie sein - und zuständig für Kinder und Haushalt. Für uns Frauen war das eine wichtige Zeit. Im negativen Sinne.
FRIEDEMANN FROMM Man kann das sogar an Modezeitschriften sehen. Zwei, drei Wochen nach der Machtergreifung waren die Fotos darin komplett anders. Allzu avantgardistische Redakteure und Fotografen wurden ausgetauscht.
Im Film wird offen über Abtreibung gesprochen. Ist das für 1933 authentisch?
FRIEDEMANN FROMM Deutschland war zu dieser Zeit unglaublich liberal. Auch im Umgang mit Drogen und Homosexualität. Es gab Sexualberatungsstellen, initiiert von Wilhelm Reich. Dort wurde über Abtreibungen beraten. Deutschland hat nach dem Krieg Jahrzehnte gebraucht, um so etwas auch nur ansatzweise wieder aufzubauen.
Deutschland hat in dieser Zeit auch kulturell viel verloren.
FRIEDEMANN FROMM Ja, wenn man sich die Ballhauskultur ansieht. Die jüdische Kultur, die wir auch zeigen, die haben wir unwiederbringlich verloren. Diese Leichtigkeit, diese Lebenslust in der Kultur, die ist vernichtet worden.
Frau Loos, Sie sind auch Sängerin bei der Rockband Silly. War es Ihre Idee, in den Ballhausszenen zu singen?
ANNA LOOS Nö, im Ballhaus hat halt immer jemand gesungen. Und dann haben die Autoren wahrscheinlich gedacht: Mensch, die Anna macht das doch ganz gern, lass die doch da auch mal singen.
Sie hatten ein großes Orchester im Rücken. Gutes Gefühl?
ANNA LOOS Ja, ein Riesenspaß. Das war schließlich das Palastorchester von Max Raabe. Es gibt in Deutschland keine anderen Musiker, die das so überzeugend hätten machen können. Sie atmen wirklich diese Zeit und haben auch die wunderbaren Lieder geschrieben.
War das Ballhaus damals Mainstream oder Underground?
ANNA LOOS Avantgarde. Aber sehr akzeptiert. Es sind nicht nur Leute mit Geld hingegangen. Es war ein liberaler, freier Ort, an dem man seine Sorgen vergessen sollte.
FRIEDEMANN FROMM Berlin war zu der Zeit in Bezug auf Prostitution, was Bangkok heute ist. Aus aller Welt kamen Männer dorthin, um billig deutsche Mädchen zu kaufen. Viele Frauen haben sich aus wirtschaftlicher Not heraus prostituiert. Deshalb gab es in den Ballhäusern Prostituierte und Drogen, entsprechend auch Zuhälter. Das waren nicht nur die braven Operngänger, die da gefeiert haben.
Das Ende des Films ist nicht das typische Happy End eines Eventfilms. War es schwierig, das durchzusetzen?
ANNA LOOS Neun von zehn Regisseuren, die mit so einem Ende kommen, lassen sich nach zwei Runden Diskussion auf einen faulen Kompromiss ein. Es ist eine große Qualität von Friedemann, dass er so sehr für seine Stoffe kämpft.
FRIEDEMANN FROMM Man war schon irritiert. Der Film unterläuft das Strickmuster des deutschen TV-Events sowohl inhaltlich als auch ästhetisch an einigen Stellen. Es gibt beim Sender immer die Angst, den Zuschauer zu verlieren. Man will, dass er mit einer zufriedenen Ermattung von einem Film in den nächsten gleitet. Er soll sich nicht so aufregen, dass er erst mal ausschalten und nachdenken muss. Denn dann ist er ja weg.
Warum wird dann nicht endlich mal die zweite Staffel Ihrer DDR-Serie "Weissensee" gesendet? Die vielen Fans, die das Fernsehpreis-gekrönte Format 2010 hatte, sind mittlerweile vielleicht auch weg.
ANNA LOOS Tja, das ist gedreht und lange sendebereit. (Loos spielt die Ehefrau eines Stasimajors)
FRIEDEMANN FROMM Das ist mehr als bedauerlich. Ich bin wirklich sauer. Der Sendetermin wurde aus, wie man mir sagte, "programmplanerischen Gründen" auf Herbst 2013 geschoben. Schade... Dabei saß bei der Vorführung im Spätsommer 2012 die versammelte ARD-Redaktion da und hat Rotz und Wasser geheult, weil sie es so berührend fand.
Was ist denn das Problem?
FRIEDEMANN FROMM Die Strukturen. Sie sind gefangen darin. Die ARD hat von ihrer Produktionsfirma Degeto schon zu viele Filme fertig produzieren lassen. Die liegen jetzt im Regal, haben aber ein Recht, vorher gesendet zu werden. So hat man mir das erklärt. Und es gibt keinen, der das ändern kann.
ANNA LOOS Keiner möchte anecken oder jemandem auf die Füße treten. Wenn man aber für eine Sache die bestmögliche Lösung haben will, dann muss man dafür kämpfen. Und dann eckt man auch mal an.
FRIEDEMANN FROMM "Weissensee" ist die einzige deutsche Miniserie, die wirklich funktioniert hat. Es wäre eine Gelegenheit gewesen, mit diesem Format, das es nur im Fernsehen gibt, das Monopol der Angelsachsen und Dänen zu brechen. Und zu zeigen, wir sind erfolgreich, wir bauen für den Zuschauer eine Kontinuität auf, die Lust macht, auch die nächste Miniserie einzuschalten.
Was halten Sie von der massiven Kritik, die derzeit an ARD und ZDF wegen der neuen Rundfunkabgabe geübt wird?
ANNA LOOS Ich drehe seit zwanzig Jahren Filme. Und in dieser ganzen Zeit habe ich nur zwei Filme für Sat.1 und zwei für RTL gemacht. Ich lande immer wieder bei ARD und ZDF. Für mich gibt es dort die interessanteren Projekte, die besseren Rollen, die guten Regisseure, die tollen Teams. Man sollte die beiden Sender schon wegen ihrer guten fiktionalen Stoffe wertschätzen.
FRIEDEMANN FROMM Die Diskussion ist völlig überzogen. Man kann kritisieren, wie sie ihr Geld ausgeben. Aber grundsätzlich bekommt man für seine 17,98 Euro einen guten Gegenwert. Allein für drei werbefreie Fernsehfilme im Monat lohnt sich das Geld. Im Kino ist das teurer.
Frank Aures
Nacht über Berlin
MI 20.2. Das Erste 20.15 Uhr
FRIEDEMANN FROMM Wir wollten einen Film über den Zerfall einer Gesellschaft machen, der ganz stark mit der mangelnden Zivilcourage der bürgerlichen Mitte zu tun hatte. Ihrer Verachtung für das System. Annas Figur steht für den Hedonismus, das Unpolitische dieser Schicht. Sie trifft auf Jan Josef Liefers, der als Albert Goldmann aus der jüdischen Kultur kommt. Bringt man beide zusammen, kann man eine große Geschichte erzählen.
Frau Loos, Ihre Figur, Henny, ist erstaunlich emanzipiert.
ANNA LOOS Ja, diese Frauen gab es 1933, selbstbewusst und unabhängig. Mit der Machtergreifung wurde das Frauenideal aber sofort ganz bewusst verändert: Schön und stark sollten sie sein - und zuständig für Kinder und Haushalt. Für uns Frauen war das eine wichtige Zeit. Im negativen Sinne.
FRIEDEMANN FROMM Man kann das sogar an Modezeitschriften sehen. Zwei, drei Wochen nach der Machtergreifung waren die Fotos darin komplett anders. Allzu avantgardistische Redakteure und Fotografen wurden ausgetauscht.
Im Film wird offen über Abtreibung gesprochen. Ist das für 1933 authentisch?
FRIEDEMANN FROMM Deutschland war zu dieser Zeit unglaublich liberal. Auch im Umgang mit Drogen und Homosexualität. Es gab Sexualberatungsstellen, initiiert von Wilhelm Reich. Dort wurde über Abtreibungen beraten. Deutschland hat nach dem Krieg Jahrzehnte gebraucht, um so etwas auch nur ansatzweise wieder aufzubauen.
Deutschland hat in dieser Zeit auch kulturell viel verloren.
FRIEDEMANN FROMM Ja, wenn man sich die Ballhauskultur ansieht. Die jüdische Kultur, die wir auch zeigen, die haben wir unwiederbringlich verloren. Diese Leichtigkeit, diese Lebenslust in der Kultur, die ist vernichtet worden.
Frau Loos, Sie sind auch Sängerin bei der Rockband Silly. War es Ihre Idee, in den Ballhausszenen zu singen?
ANNA LOOS Nö, im Ballhaus hat halt immer jemand gesungen. Und dann haben die Autoren wahrscheinlich gedacht: Mensch, die Anna macht das doch ganz gern, lass die doch da auch mal singen.
Sie hatten ein großes Orchester im Rücken. Gutes Gefühl?
ANNA LOOS Ja, ein Riesenspaß. Das war schließlich das Palastorchester von Max Raabe. Es gibt in Deutschland keine anderen Musiker, die das so überzeugend hätten machen können. Sie atmen wirklich diese Zeit und haben auch die wunderbaren Lieder geschrieben.
War das Ballhaus damals Mainstream oder Underground?
ANNA LOOS Avantgarde. Aber sehr akzeptiert. Es sind nicht nur Leute mit Geld hingegangen. Es war ein liberaler, freier Ort, an dem man seine Sorgen vergessen sollte.
FRIEDEMANN FROMM Berlin war zu der Zeit in Bezug auf Prostitution, was Bangkok heute ist. Aus aller Welt kamen Männer dorthin, um billig deutsche Mädchen zu kaufen. Viele Frauen haben sich aus wirtschaftlicher Not heraus prostituiert. Deshalb gab es in den Ballhäusern Prostituierte und Drogen, entsprechend auch Zuhälter. Das waren nicht nur die braven Operngänger, die da gefeiert haben.
Das Ende des Films ist nicht das typische Happy End eines Eventfilms. War es schwierig, das durchzusetzen?
ANNA LOOS Neun von zehn Regisseuren, die mit so einem Ende kommen, lassen sich nach zwei Runden Diskussion auf einen faulen Kompromiss ein. Es ist eine große Qualität von Friedemann, dass er so sehr für seine Stoffe kämpft.
FRIEDEMANN FROMM Man war schon irritiert. Der Film unterläuft das Strickmuster des deutschen TV-Events sowohl inhaltlich als auch ästhetisch an einigen Stellen. Es gibt beim Sender immer die Angst, den Zuschauer zu verlieren. Man will, dass er mit einer zufriedenen Ermattung von einem Film in den nächsten gleitet. Er soll sich nicht so aufregen, dass er erst mal ausschalten und nachdenken muss. Denn dann ist er ja weg.
Warum wird dann nicht endlich mal die zweite Staffel Ihrer DDR-Serie "Weissensee" gesendet? Die vielen Fans, die das Fernsehpreis-gekrönte Format 2010 hatte, sind mittlerweile vielleicht auch weg.
ANNA LOOS Tja, das ist gedreht und lange sendebereit. (Loos spielt die Ehefrau eines Stasimajors)
FRIEDEMANN FROMM Das ist mehr als bedauerlich. Ich bin wirklich sauer. Der Sendetermin wurde aus, wie man mir sagte, "programmplanerischen Gründen" auf Herbst 2013 geschoben. Schade... Dabei saß bei der Vorführung im Spätsommer 2012 die versammelte ARD-Redaktion da und hat Rotz und Wasser geheult, weil sie es so berührend fand.
Was ist denn das Problem?
FRIEDEMANN FROMM Die Strukturen. Sie sind gefangen darin. Die ARD hat von ihrer Produktionsfirma Degeto schon zu viele Filme fertig produzieren lassen. Die liegen jetzt im Regal, haben aber ein Recht, vorher gesendet zu werden. So hat man mir das erklärt. Und es gibt keinen, der das ändern kann.
ANNA LOOS Keiner möchte anecken oder jemandem auf die Füße treten. Wenn man aber für eine Sache die bestmögliche Lösung haben will, dann muss man dafür kämpfen. Und dann eckt man auch mal an.
FRIEDEMANN FROMM "Weissensee" ist die einzige deutsche Miniserie, die wirklich funktioniert hat. Es wäre eine Gelegenheit gewesen, mit diesem Format, das es nur im Fernsehen gibt, das Monopol der Angelsachsen und Dänen zu brechen. Und zu zeigen, wir sind erfolgreich, wir bauen für den Zuschauer eine Kontinuität auf, die Lust macht, auch die nächste Miniserie einzuschalten.
Was halten Sie von der massiven Kritik, die derzeit an ARD und ZDF wegen der neuen Rundfunkabgabe geübt wird?
ANNA LOOS Ich drehe seit zwanzig Jahren Filme. Und in dieser ganzen Zeit habe ich nur zwei Filme für Sat.1 und zwei für RTL gemacht. Ich lande immer wieder bei ARD und ZDF. Für mich gibt es dort die interessanteren Projekte, die besseren Rollen, die guten Regisseure, die tollen Teams. Man sollte die beiden Sender schon wegen ihrer guten fiktionalen Stoffe wertschätzen.
FRIEDEMANN FROMM Die Diskussion ist völlig überzogen. Man kann kritisieren, wie sie ihr Geld ausgeben. Aber grundsätzlich bekommt man für seine 17,98 Euro einen guten Gegenwert. Allein für drei werbefreie Fernsehfilme im Monat lohnt sich das Geld. Im Kino ist das teurer.
Frank Aures
Nacht über Berlin
MI 20.2. Das Erste 20.15 Uhr
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