.

Scripted Reality

Fast wie im richtigen Leben

Aber eben nur fast: Immer mehr Dokusoaps arbeiten mit Laiendarstellern und Drehbuch. Mittlerweile beherrscht die Scripted Reality den TV-Nachmittag

Nachmittags ist in deutschen Wohnzimmern die Hölle los. Man geht sich an die Kehle, weint sich die Seele aus dem Leib, sagt sich die Meinung, dass es kracht. Immer dann, wenn Sendungen wie "Verdachtsfälle", "Love Diary" oder auch "Mitten im Leben!" im TV laufen.

Scripted Reality heißt das Genre, das bei RTL, Pro Sieben und Sat.1 den Nachmittag beherrscht: Laiendarsteller spielen nach einem Drehbuch Beziehungsdramen. Die Themen sind schrill, die Darstellung simpel, das Geschehen ist durch erklärende Einblendungen und einen Sprecher auch dann problemlos zu verstehen, wenn man nebenbei bügelt, kurz einnickt oder zwischendurch einkaufen geht.

Es kann so passieren, muss aber nicht

Das ist zunächst nichts Neues. Gerichtsshows wie "Richterin Barbara Salesch", die ähnlich produziert werden, laufen schließlich seit vielen Jahren. Neu ist aber zum einen der mit wackeliger Handkamera erzeugte Dokulook und auch die schiere Fülle der Formate. Nachdem RTL im vergangenen Herbst seinen Nachmittag äußerst erfolgreich mit Scripted-Formaten wie "Verdachtsfälle" oder "Familien im Brennpunkt" aufgepeppt hat - mehr als dreißig Prozent der jungen Zuschauer sehen regelmäßig zu -, zieht Pro Sieben gerade mit einer ganzen Reihe neuer Scripted Soaps nach, die zunächst testweise ausgestrahlt werden.

Wer sich da durchzappt, bekommt Drama satt. Bei RTL das vom Vater, der denkt, sein Sohn sei schwul (es aber nicht ist, er steht auf seine minderjährige Schwester), bei Sat.1 die Desaster eines Mädchens, das ihren Freund betrog und nun schwanger ist (tatsächlich aber unter Drogen von wer weiß wie vielen Männern vergewaltigt wurde).

"Verdichtete Erzählweise"

Oder von der jungen Frau, die von ihrem Ex-freund verfolgt wird, der auch noch behauptet, von ihrem aktuellen Freund zusammengeschlagen worden zu sein ("Love Diary", Pro Sieben). Kann alles tatsächlich passieren. Allerdings wohl kaum in dieser Intensität und Dichte. Das ist Reality Reloaded, wahres Leben auf Steroiden.

Diese "verdichtete Erzählweise" sei der große Vorteil der Scripted-Formate gegenüber Doku-soaps, erklärt Felix Wesseler von der Produktionsfirma Filmpool, die Formate wie "Zwei bei Kallwass", "Familien im Brennpunkt" oder "Niedrig und Kuhnt" produziert. "Wir können so eine Dramaturgie aufbauen, können Wendepunkte, Konflikte und Lösungen selbst bestimmen."

Das Fiktive läuft besser als das Reale

Im Unterschied zu den Dokusoaps behaupten diese gescripteten Sendungen nicht, tatsächliche Begebenheiten nachzuerzählen. Wer sich allerdings in die laufende Show einschaltet und nicht bis zum Abspann wartet, wird den Unterschied zur realen Dokusoap nicht bemerken. Besonders dann nicht, wenn ein Format wie "Mitten im Leben!" von RTL in einer Episode einen wahren Fall nachstellt und in der nächsten frei Erfundenes auftischt.

Konservative Medienwächter stört diese Uneindeutigkeit gewaltig. Anlässlich der von Pro 7 angekündigten fiktiven Soap "50 pro Semester", in der Studenten Frauen um die Wette flachlegen sollen, sprach Bayerns Familienministerin Christine Haderthauer von "moderner Kopfgeldjagd" und einer "verheerenden Botschaft". Ohne eine Folge gesehen zu haben, versteht sich. Ein Teenie-Kinofilm gleichen Inhalts wäre ihr vermutlich nicht weiter aufgefallen.

Dem Zuschauer ist der Wahrheitsgehalt der Konfliktshows nicht wichtig. "Nach unseren Erkenntnissen interessiert den Zuschauer nicht, ob es sich um Real-Dokusoaps oder um gescriptete mit Laiendarstellern handelt. Sie wollen interessante Geschichten sehen, die Machart ist nicht entscheidend", sagt Tom Sänger, Unterhaltungschef bei RTL.

Tatsächlich haben sich Sendungen wie "Richterin Barbara Salesch" oder "Zwei bei Kallwass", die mit realen Fällen und echten Menschen begannen, durch den Übergang zu Drehbüchern quotentechnisch stets verbessert. Auch die fiktiven "Mitten im Leben!"-Folgen laufen in der Regel besser als die realen.

Niveaulos, aber harmlos

Man kann diese Sendungen mit ihren überzogenen, verdichteten Handlungen getrost als niveaulos, vielleicht sogar verdummend abtun. Das würde das aus Hausfrauen, Schülern und Studenten bestehende Publikum wahrscheinlich sogar bestätigen.

Zumindest aber kommt bei ihrer Herstellung niemand zu Schaden, wie das bei vielen Doku-soaps der Fall ist. Deren Real-Aufnahmen müssen nämlich auch einer Dramaturgie folgen, brauchen starke Charaktere, eine Auflösung und einen Konflikt. Und wenn sich der bei den Dreharbeiten nicht von allein ergibt, wird er eben vom Filmteam erzeugt. Mit echten Menschen, die sich dann, als Dummkopf oder Zicke inszeniert, tatsächlich streiten - und hinterher mit den Folgen leben müssen.

Ist Scripted Reality wie Fast Food?

Der Siegeszug der Scripted Reality ist ohnehin nicht mehr aufzuhalten. Längst ist sie auch im Abendprogramm angekommen. Natürlich macht es Spaß, einem Dieter Bohlen nachzuweisen, dass er geschummelt hat. Dass der Spruch, den er einem Kandidaten in der DSDS-Show an den Kopf wirft, tatsächlich in einer anderen Situation gefallen ist.

Da die Protagonisten dort aber auch mit Teufelshörnern übermalt und mit Comicgeräuschen unterlegt werden, erwartet hier wohl niemand etwas anderes als inszenierte Unterhaltung. Vielleicht ist Scripted Reality wie Fast Food. Einfach zu konsumieren, manche finden es lecker, auf Dauer wird man fett davon. Ob und wie viel man davon isst, bleibt aber jedem selbst überlassen.

Frank Aures