Der Henker trat leise von hinten an den Verurteilten, führte die Pistole an den Hinterkopf und drückte ab. 20 Jahre alt war Erwin Hagedorn, als am 15. September 1972 durch den sogenannten unerwarteten Nahschuss das Todesurteil an ihm vollstreckt wurde. Es war die letzte Hinrichtung eines Zivilisten in der DDR.
Vorangegangen war ihr die grausigste Verbrechensserie der ostdeutschen Nachkriegsgeschichte. Die ARD hat den Fall jetzt zu einem TV-Film verarbeitet: Im Mai 1969 verschwinden im brandenburgischen Eberswalde zwei neunjährige Schüler. 13 Tage später entdecken Waldarbeiter die grausam zugerichteten Leichen der Kinder. Schnell ist den Ermittlern klar: Es muss sich um die Tat eines "pädophilen Blutsadisten" handeln.
Der Fall ist politisch brisant. Ein solches Verbrechen passt nicht ins offizielle Bild des friedlichen Arbeiter-und-Bauern-Staates. Anders als in Westdeutschland, wo der Fall des "Kirmesmörders" Jürgen Bartsch durch alle Medien gegangen war, läuft die größte Fahndungsaktion der DDR weitgehend im Geheimen.
Mehr als tausend Spuren werden verfolgt. Der Gerichtspsychiater Dr. Hans Szewczyk erstellt ein Täterprofil - ein Novum in der deutschen Kriminalgeschichte. Stasispione beschaffen aus Westdeutschland Unterlagen zu dem Fall Bartsch. Doch die Suche nach dem Mörder bleibt erfolglos und wird schließlich eingestellt.
Erst als zweieinhalb Jahre nach dem Verbrechen ein dritter Junge aus Eberswalde ermordet wird, laufen sie wieder an. Eine Befragung von Eberswalder Schülern führt endlich auf die richtige Spur - die des 19-jährigen Koch-Lehrlings Erwin Hagedorn.
Schauerliches Dokument
Der junge Mann erweist sich als erstaunlich kooperativ. Nicht nur schildert er seine Taten in aller Ausführlichkeit. Er ist sogar bereit, sie für einen Polizeilehrfilm nachzustellen. Bizarr: Kinder der beteiligten Ermittler spielen die Opfer in dem schauerlichen Dokument.
Im Mai 1971 wird Hagedorn zum Tode verurteilt. Ulbricht lehnte ein Gnadengesuch ab. Erst eine Meldung zur Hinrichtung im "Neuen Deutschland" informierte die breite Öffentlichkeit über den Fall. Ein "Polizeiruf 110" über die Morde von Eberswalde wurde 1975 kurzfristig verboten (siehe Info).
Denn inzwischen hatten die westdeutschen Medien durch das Buch "Der Fall Heckenrose" des Krimiautors Friedhelm Werremeier von dem "ostdeutschen Bartsch" erfahren. Und von dem Todesurteil gegen einen offenbar psychisch gestörten Täter, der zum Zeitpunkt der ersten beiden Morde minderjährig war. So wurde der Fall Hagedorn auch in der Bundesrepublik zum Politikum - als Beleg für die DDR-Unrechtsjustiz. Staranwalt Rolf Bossi überschrieb sein Nachwort zum Buch mit "Plädoyer für einen toten Mörder"
Christian Holst
Mord in Eberswalde
Das Erste, MI, 30.1., 20:15 Uhr
Vorangegangen war ihr die grausigste Verbrechensserie der ostdeutschen Nachkriegsgeschichte. Die ARD hat den Fall jetzt zu einem TV-Film verarbeitet: Im Mai 1969 verschwinden im brandenburgischen Eberswalde zwei neunjährige Schüler. 13 Tage später entdecken Waldarbeiter die grausam zugerichteten Leichen der Kinder. Schnell ist den Ermittlern klar: Es muss sich um die Tat eines "pädophilen Blutsadisten" handeln.
Der Fall ist politisch brisant. Ein solches Verbrechen passt nicht ins offizielle Bild des friedlichen Arbeiter-und-Bauern-Staates. Anders als in Westdeutschland, wo der Fall des "Kirmesmörders" Jürgen Bartsch durch alle Medien gegangen war, läuft die größte Fahndungsaktion der DDR weitgehend im Geheimen.
Mehr als tausend Spuren werden verfolgt. Der Gerichtspsychiater Dr. Hans Szewczyk erstellt ein Täterprofil - ein Novum in der deutschen Kriminalgeschichte. Stasispione beschaffen aus Westdeutschland Unterlagen zu dem Fall Bartsch. Doch die Suche nach dem Mörder bleibt erfolglos und wird schließlich eingestellt.
Erst als zweieinhalb Jahre nach dem Verbrechen ein dritter Junge aus Eberswalde ermordet wird, laufen sie wieder an. Eine Befragung von Eberswalder Schülern führt endlich auf die richtige Spur - die des 19-jährigen Koch-Lehrlings Erwin Hagedorn.
Schauerliches Dokument
Der junge Mann erweist sich als erstaunlich kooperativ. Nicht nur schildert er seine Taten in aller Ausführlichkeit. Er ist sogar bereit, sie für einen Polizeilehrfilm nachzustellen. Bizarr: Kinder der beteiligten Ermittler spielen die Opfer in dem schauerlichen Dokument.
Im Mai 1971 wird Hagedorn zum Tode verurteilt. Ulbricht lehnte ein Gnadengesuch ab. Erst eine Meldung zur Hinrichtung im "Neuen Deutschland" informierte die breite Öffentlichkeit über den Fall. Ein "Polizeiruf 110" über die Morde von Eberswalde wurde 1975 kurzfristig verboten (siehe Info).
Denn inzwischen hatten die westdeutschen Medien durch das Buch "Der Fall Heckenrose" des Krimiautors Friedhelm Werremeier von dem "ostdeutschen Bartsch" erfahren. Und von dem Todesurteil gegen einen offenbar psychisch gestörten Täter, der zum Zeitpunkt der ersten beiden Morde minderjährig war. So wurde der Fall Hagedorn auch in der Bundesrepublik zum Politikum - als Beleg für die DDR-Unrechtsjustiz. Staranwalt Rolf Bossi überschrieb sein Nachwort zum Buch mit "Plädoyer für einen toten Mörder"
Christian Holst
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INFO: Ausstrahlung nach 26 Jahren
1975 fiel die erste Klappe für einen "Polizeiruf", der Motive des Falls Hagedorn aufgreift. Doch kurz vor Ende des Drehs stoppte das DDR-Innenministerium das Projekt. Der Film wurde verboten. Erst 2009 tauchten die vermeintlich vernichteten Negative in einem Archiv wieder auf. Mit diesem Material rekonstruierte der MDR den Film. 2011 kam er unter dem Titel "Polizeiruf 110: Im Alter von..." mit 26 Jahren Verspätung doch noch ins TV.
Mord in Eberswalde
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