Dass man keinen mehr Sex haben muss, um Eltern zu werden, weiß man, seit am 25. Juli 1978 in England das erste "Retortenbaby" geboren wurde. Mittlerweile ist die Reproduktionsmedizin weltweit ein Riesengeschäft, und der Fortschritt scheint keine Grenzen zu kennen. Nachdem Forscher unlängst künstliche Spermien in einer Vitaminlösung gezüchtet haben, will man demnächst eine komplette Schwangerschaft außerhalb des weiblichen Körpers stattfinden lassen.

"Ektogenese" nennt sich der Vorgang, bei dem sich ein Embryo in einem künstlichen Uterus entwickelt. In den USA wuchs bereits 2002 im Tierversuch eine Maus ausschließlich in einer künstlichen Gebärmutter heran, in Japan experimentiert man derzeit mit synthetischem Fruchtwasser und künstlicher Plazenta - ebenfalls in Tierversuchen, noch.

Klar, dass vielen die futuristische Version einer Schwangerschaft nach Aldous Huxleys Roman Schöne neue Welt, wo Embryonen außerhalb des Mutterleibs in Flaschen heranwachsen, bereits als Schreckgespenst erscheint. Die Forschung kontert pragmatisch: Eine künstliche Gebärmutter wäre unbelastet von biochemischen Schadstoffen wie Alkohol und Nikotin und von daher viel sicherer als eine natürliche. Außerdem mache es aus medizinisch-technischer Sicht wenig Sinn, einen Embryo, der vielleicht bereits in der Petrischale gezeugt wurde, wieder einer Frau einzupflanzen, wenn er auch direkt von einem Kunstorgan ausgetragen werden könnte.

Vater werden ohne Mutter

Tatsächlich steht zu erwarten, dass die künstliche Gebärmutter nicht nur bei entsprechenden Frauenkrankheiten zum Einsatz kommen könnte, sondern bei künstlichen Befruchtungen im Allgemeinen. Aufzuhalten scheint die Entwicklung jedenfalls nicht mehr. Bleibt die Frage, wie es dann in Sachen menschlicher Reproduktion weitergehen könnte.

Schätzungsweise vier Millionen Retortenbabys lassen ahnen, dass auch die künstliche Geburt, wenn erst einmal möglich, kein Einzelfall bleiben wird. Gründe für den Einsatz der künstlichen Gebärmutter finden sich schnell und viele - von der Vermeidung von Risikoschwangerschaften über den Kinderwunsch älterer Paare bis zur Angst vor den Beschwerden einer Schwangerschaft beziehungsweise den Schmerzen der Geburt. Außerdem könnten Männer ein Gleichheitsrecht beanspruchen. Wäre die Mutterschaft keine Frauensache mehr, könnten auch Männer - abgesehen von den weiblichen Eizellen - ganz allein ein Kind bekommen.

Umgekehrt wirft der Gedanke an eine künstliche Gebärmutter auch Fragen auf. Was wäre das Beste für die Kinder? Neurobiologen weisen darauf hin, dass der Fötus nicht nur auf den Herzschlag der Mutter sensibel reagiert, sondern auch auf Stimmungen und Bewegungen. Wie mag es um die emotionale Entwicklung von Kinder bestellt sein, die in einem sterilen Kasten zum Menschen heranwachsen?

Heiko Schulze

Die künstliche Gebärmutter - FR, 15.4., Arte, 21.45 Uhr