Helden sehen anders aus, Schurken auch. Jeder Drehbuchautor, der sich für einen Politthriller eine Figur wie Christian Wulff ausgedacht hätte, wäre abgeblitzt: zu blass, zu bieder. "Oft vergisst man ihn schon, während man ihm zusieht", spottete Kritiker Hans Zippert über Wulffs TV-Präsenz.

Selbst sein Rücktritt als Bundespräsident am 17. Februar 2012 war unspektakulär. Gerüchte über anrüchige Geschäfte mit Freunden und eine umstrittene Aussage vor dem Parlament - das ist normalerweise Stoff für Juristen, nicht fürs Fernsehen.

"Die Wulff-Posse ist einer guten Komödie unwürdig", sagte denn auch "Kir Royal"-Regisseur Helmut Dietl. "So was kann man nur im Bauerntheater aufführen." Produzent Nico Hofmann und Sat.1 sind deshalb einen anderen Weg gegangen.

Sie haben den Stoff nicht wie bei der Guttenberg-Satire "Der Minister" als grelle Parodie aufbereitet, sondern als ein ernsthaftes Dokudrama über Wulffs letzte 68 Tage im Amt. Ein Genre, das man sonst eher bei den Öffentlich-Rechtlichen zu sehen bekommt. Die aber wollten den Film nicht. War ihnen der Stoff zu heiß?
Christian Wulff steht wegen des Verdachts der Vorteilsnahme vor Gericht, sein früher Berater Olaf Glaeseker ist der Korruption angeklagt. Weder Glaeseker, der übrigens das live im TV übertragene Treffen von Lena und Wulff am Flughafen von Hannover nach ihrem ESC-Sieg arrangiert hatte, noch der Politiker haben an dem Film mitgewirkt. Beide kämpfen um ihren Ruf. Und beide könnten juristisch gegen den Film vorgehen, falls er gravierende Fehler enthielte.

Wie ernst die Verantwortlichen diese Gefahr nehmen, erhellt eine Episode am Rande der Pressekonferenz in Hamburg. Erst erklärte Produzent Hofmann den versammelten Journalisten, er habe keinerlei Angst vor etwaigen rechtlichen Auseinandersetzungen. Später aber, im Kreis seiner Mitarbeiter, hörte man ihn fragen: "Habt ihr die Sache mit Dieckmann gecheckt?"

Gemeint ist das berüchtigte Telefonat vom 12. Dezember 2011, bei dem Christian Wulf dem "Bild"-Chefredakteur auf die Mailbox sprach und ihm für den Fall weiterer Recherchen Krieg androhte. Der Vorfall ist in dem Buch "Affäre Wulff" der beiden "Bild"-Reporter Martin Heidemanns und Nikolaus Harbusch dokumentiert, die, von Schauspielern verkörpert, auch im Film auftauchen.

Das Duo fand nicht nur heraus, dass Christian Wulff in seiner Zeit als niedersächsischer Ministerpräsident gern in den Häusern reicher Unternehmerfamilien seine Ferien verbrachte und dass aus ihren Kreisen auch der Kredit für sein Eigenheim in Großburgwedel kam. "Bild" berichtete am 8.2.2012 auch von dem Vorfall, der nach Auffassung von "Spiegel"-Redakteur Jan Fleischhauer, Coautor des Drehbuchs, Wulffs politisches Ende besiegelte. Im Herbst 2007 hatte der Ministerpräsident mit seiner späteren Frau Bettina Urlaub auf Sylt verbracht. Dritter im Bunde war der Filmproduzent David Groenewold, der auch die Hotelrechnung beglich. Derselbe Mann, der vom Land Niedersachsen eine Kreditbürgschaft erhalten hatte. Am 16.2.2012 beantragte die Staatsanwaltschaft Hannover die Aufhebung der Immunität Wulffs, um ein Ermittlungsverfahren einzuleiten.

Einen Monat zuvor hatte bereits ein ARD/ZDF-Interview des Politikers mit Ulrich Deppendorf und Bettina Schausten, das 11,5 Millionen Bürger sahen, Zweifel genährt, ob Wulff der richtige Mann für das höchste Amt im Staat sei; das Medienecho am nächsten Tag war verheerend.

Regisseur Thomas Schadt ("Der Mann aus der Pfalz" ) geht es in seinem ersten Film für einen Privatsender nicht um Schuld und Sühne. Die an 17 Drehtagen nachgespielten Szenen, die durch Dokumentaraufnahmen ergänzt werden, bringen uns die Personen sehr nah und wirken wie aus einem Guss. Das liegt nicht nur an den guten Schauspielern, sondern auch an der Art, wie Schadt filmt. Normalerweise machen Regisseure, wenn ihnen an einer Szene etwa ein Satz nicht gefällt, ein sogenanntes Pick-up, das heißt, sie lassen nur diesen einen Satz noch einmal neu sprechen. Schadt lässt dagegen die Szenen durchspielen und sie bis zu dreißigmal wiederholen. Dadurch wirken sie intensiver.

Selbst eine farblose Figur wie Wulff gewinnt auf diese Weise an Kontur. Kai Wiesinger spielt ihn mit untergründiger Spannung. Man spürt, dass da für jemanden eine Welt untergeht. Trotzdem waren die meisten froh, dass an diesem 17.2.2012 der Schrecken ein Ende fand.

Rainer Unruh

Der Rücktritt
DI 25.2. Sat.1 20.15 Uhr
Der Fall Christian Wulff
DI 25.2. Sat.1 22.15 Uhr