Publicity ist vor dem Start einer neuen Serie immer gut. Dass "Supergirl" Melissa Benoist (Interview links) Teil des Präsidentschaftswahlkampfs in den USA geworden ist, war allerdings nicht geplant. Zu verdanken hat sie das dem Republikaner Jeb Bush, der nach seinem Lieblingssuperhelden befragt einen Machospruch zum Besten gab: "Im Fernsehen lief eine Werbung für ,Supergirl‘. Sie sieht ziemlich scharf aus. Darauf freue ich mich." Besser als der Politiker hätte man das Dilemma von Superheldinnen nicht zeigen können. Wo ihre männlichen Kollegen für die Heldentaten bewundert werden, will man bei ihnen nur wissen, wie sie unter ihren Kostümen aussehen: Helen Slater durfte 1984 im "Supergirl"-Kinofilm unter die Dusche hüpfen, und Halle Berrys "Catwoman" musste einen BH tragen und Sätze schnurren wie "Katzen kommen nur, wenn sie wollen".

Mehr als eine sexy Lampe

Tatsächlich gibt es sogar schon feststehende Begriffe dafür, dass Frauen in diesem Genre unterrepräsentiert sind. 1991 definierte die Autorin Katha Pollitt das "Schlumpfinchen-Prinzip", nach dem eine Gruppe von Männern durch exakt eine Frau angereichert wird (etwa die "Avengers"), und vor einigen Jahren erfand Marvel-Autorin Kelly Sue De-Connick den "Sexy Lamp Test": "Wenn man eine weibliche Figur durch eine attraktive Stehlampe ersetzt und die Geschichte immer noch funktioniert, sollte man die Story besser noch einmal überarbeiten."

Es sollte mehr Actionfilme mit Frauen geben

Produzent Greg Berlanti
Über diesen Verdacht ist Melissa Benoist weit erhaben, denn Supergirl ist Dreh- und Angelpunkt der Serie. Jahrelang hat sie als Kara Danvers ein ganz normales Leben geführt und ihre Kräfte versteckt, doch als das Flugzeug ihrer Adoptivschwester Alex (Chyler Leigh) abzustürzen droht, schlägt Karas große Stunde. Sie reißt sich die Brille vom Kopf, nimmt in den Gassen von National City Anlauf, streift sich die Jacke ab und fliegt gen Himmel, um das brennende Flugzeug huckepack zu nehmen, durch eine Brücke zu manövrieren und sicher im Fluss zu landen - ganz wie ihr Cousin Superman.
Eine nur leicht verhüllte Spitze gegen Marvel-Chef Isaac Perlmutter, der im Zuge der Hackerattacke auf Sony durch eine E-Mail blamiert wurde. In ihr legte er dar, warum man keine Filme mit weiblichen Superhelden drehen sollte. Seine simple Begründung: "Elektra", "Catwoman" und "Supergirl" waren Flops.
Wie ihr berühmter Verwandter arbeitet natürlich auch Kara im Medienbereich. Der Unterschied: Ihr Chef Cat Grant (Calista "Ally McBeal" Flockhart) ist weiblich. An starken Frauenfiguren fehlt es in "Supergirl" also nicht. Trotzdem oder gerade deswegen debütierte die Serie mit exzellenten Einschaltquoten. Für Produzent Greg Berlanti eine Bestätigung: "Der Erfolg führt hoffentlich dazu, dass mehr Leute in der Industrie realisieren, es sollte mehr Actionfilme mit Frauen in der Hauptrolle geben."
Ein Argument, das Melissa Rosenberg auf die Palme bringt. "Das ist so ein Mist", echauffierte sich die Macherin der Netflix- Superheldenserie "Jessica Jones" gegenüber dem "Guardian". "Das waren einfach miese Filme. Wie viele schlechte Filme mit Männern in der Hauptrolle floppen? Da sagt keiner, dass es an den weißen Kerlen liegt."

Panem wird Tribut gezollt

Tatsächlich hängt Hollywood immer noch dem Irrglauben an, dass Frauen sich Filme über Männer anschauen, Männer aber absolut nicht dazu zu bewegen sind, Filme über Frauen zu sehen. Die Einschaltquoten für "Supergirl" und Marvel-Heldin "Agent Carter" sprechen eine andere Sprache: Obwohl die Protagonisten Röcke tragen, sind die Hälfte der Zuschauer Männer.
Dass für weibliche Helden Argumente nicht zählen, musste 1975 Lynda Carter erfahren. Obwohl "Wonder Woman" gute Quoten einfuhr, sollte die Serie nach einer Staffel wieder eingestellt werden. Erst ein Senderwechsel brachte ihr drei weitere Jahre ein. Seither durfte sich 40 Jahre lang keine Superheldin mehr auf einem der vier großen US-Sender austoben.

Bei Flops mit Kerlen sagt keiner, dass es an ihnen liegt

Melissa Rosenberg, "Jessica Jones"
Doch warum ausgerechnet jetzt? Der Grund dafür findet sich im Jahr 2013. Damals waren unter den sechs erfolgreichsten Filmen des Jahres mit "Die Tribute von Panem - Catching Fire", "Die Eiskönigin" und "Gravity" gleich drei Filme mit einer Frau im Zentrum. Die Hollywood-Bosse rochen Geld. Plötzlich verkündete DC Comics, dass es nach 20 Jahren in der Entwicklungshölle 2017 endlich einen "Wonder Woman"-Film geben werde (Gal Gadot führt die Figur im März in "Batman v Superman" ein). Marvel zog nach und avisierte für 2019 mit "Captain Marvel" den ersten Film mit einer Superheldin, und J. J. Abrams schuf statt heißer Luft einfach Tatsachen und legte das Schicksal der neuen "Star Wars"-Filme in die Hände der Britin Daisy Ridley. Ganz warm geworden ist "Star Wars"-Hüter Disney mit der Figur Rey allerdings noch nicht: Actionfiguren von ihr kamen erst nach großem öffentlichen Druck auf den Markt.
"Supergirl"-Showrunnerin Ali Adler hätte also jedes Recht, die Serie zur feministischen Anklage zu machen, geht mit dem Thema jedoch eher spielerisch um. Als Kara sich beschwert, dass die Bezeichnung "Supergirl" antifeministisch ist, kontert ihre Chefin Cat Grant mit überlegener Lässigkeit: "Ich bin ein Girl. Und dein Boss. Und mächtig. Und reich. Und heiß. Und klug. Also, wenn du Supergirl für unpassend hältst, liegt das wahre Problem dann nicht... bei dir?" Ein Satz, den man vielen Hollywood-Bossen ins Poesiealbum schreiben möchte.
R. Meyer
Supergirl
DI, 15.3., Pro Sieben, 22.15 Uhr