Energisch schrubbt Helmut Schmidt den Rasenmäher über das bereits kurz geschorene Gras. Er ist sauer. Ein Misstrauensvotum droht. Aber die FDP wird sich nicht trauen, ihm in den Rücken zu fallen, knurrt er Ehefrau Loki noch zu.

Dann fällt die Klappe und das Filmset in Hamburg-Bergedorf wird umgebaut, springt von Schmidts politischem Ende 1982 an den Karrierestart 1962, als sich der junge Politiker als Krisenmanager der Sturmflut einen Namen machte. Bernhard Schütz wird dann schwarze Haare haben.

Er ist Teil einer Riege renommierter Schauspieler, die in dem Dokumentarspiel "Lebensfragen" Eckpunkte der Biografie des Hamburgers illustrieren.

Helmut Schmidt - Lebensfragen
MO 23.12. Das Erste 21.45 Uhr
Aber so überzeugend die Schauspieler auch sind, an das Charisma des echten Helmut Schmidt reichen sie nicht heran. Am Ausstrahlungstag wird der Ex-Bundeskanzler 95 Jahre alt. Wer so alt ist, spricht völlig offen. So wie Helmut Schmidt in den Interviewpassagen, die den Hauptteil des ungewöhnlich intensiven Films einnehmen. Im Gespräch mit Giovanni di Lorenzo, dem "Zeit"-Kollegen, der nach zwei Büchern mit Interviews eine Art Chronist Schmidts ist, beantwortet dieser auch sehr private Fragen. Für den kühlen Kopfmenschen ist das ein Novum. So gesteht er etwa die Angst vor dem prügelnden Vater und dass er als Jugendlicher unbedingt in die Hitlerjugend wollte - aber nicht durfte.

Visuell unterstützt werden diese Erinnerungen von alten Privatfotos, die Produzentin Katharina Trebitsch nach vielen vertrauensbildenden Maßnahmen erstmals verwenden durfte. Deutlich wird noch einmal, wie eng die Geschichte von Helmut Schmidt mit der seiner Frau Loki verbunden ist, wie sehr sie auch Liebesgeschichte ist.

Sentimentalität wird man bei Schmidt aber nicht entdecken. Bei den morgendlichen Interviews habe er stets als erstes eine aktuelle Zeitung gefordert, sagt Trebitsch. Im Kopf sei der alte Mann noch immer "blitzblank".
Als Giovanni di Lorenzo zu Beginn des Films fragt, was das Wichtigste im Leben sei, sagt Schmidt, "seine Aufgaben zu erkennen." Und nach einem Zug an der Zigarette: "Und diese bestmöglich zu erfüllen." Wann, fragt man sich, macht dieser Mann eigentlich mal Feierabend? Hoffentlich noch lange nicht.

Frank I. Aures

Helmut Schmidt - Lebensfragen
MO 23.12. Das Erste 21.45 Uhr
Helmut Schmidts Image im Wandel der Zeiten

1962 Der Macher: Während der großen Sturmflut punktet Hamburgs Polizeisentator Schmidt als Krisenmanager.

1974 Der Kanzler: Für die
Nachfolge Willy Brandts kommt nur er infrage.

1977 Einsamer Entscheider: Die Bundesregierung lässt sich nicht erpressen! Die RAF ermordet den entführten Arbeitgeberpräsidenten Schleyer.

1982 Der Gefallene: Ein Misstrauensvotum stürzt Schmidt, weil Koalitionspartner FDP auch gegen ihn stimmt. Die Ära Helmut Kohl beginnt.

2000 Der weise alte Mann: Der Herausgeber der "Zeit" (seit 1983) äußert sich vermehrt zum Zeitgeschehen, ist unangreifbar moralisches Vorbild.