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Doku-Projekt "16xDeutschland"

Deutschland im Fokus: Zur Lage der Nation

Was denken Sie über Deutschland? Wir fragten vier von 16 Filmschaffenden, die an einem ARD-Experiment teilnahmen ("16xDeutschland" - SO, 6.10.)

Es sollte persönlich sein und sich mit dem jeweiligen Heimatbundesland beschäftigen. Mehr Vorgaben hatten die prominenten TV-Schaffenden nicht, die für das Projekt 16xDeutschland jeweils einen 15-minütigen Dokufilm drehten.

Entsprechend bunt und multikulturell sind die Beiträge geworden, die in zwei Blöcken am Samstag- und Sonntagnachmittag nach dem Tag der Deutschen Einheit im Ersten laufen. Ein eigenartiger Termin, aber tolle Filme von Autoren wie Sandra Maischberger, Produzent Nico Hofmann, den Regisseuren Andreas Dresen, Andres Veiel und Sung-Hyung Cho oder den Schauspielern Charly Hübner und Udo Wachtveitl.
TV SPIELFILM hat mit den vier Letzt-genannten über ihr Deutschlandbild gesprochen.

Wo findet man das wahre Deutsche? In den Städten oder eher in der Provinz?

UDO WACHTVEITL Der Clash der Kulturen findet auch in der hessischen Provinz statt, wie man in Frau Chos Film gesehen hat.
ANDRES VEIEL Das wahre Deutsche? Das Schöne an den sechzehn Beiträgen ist doch: Es passt nichts zusammen. Was ist an diesen Filmen typisch deutsch? Es lässt sich nicht auf ein Klischee herunterbrechen. Das funktioniert ja schon beim bayrischen nicht.

CHARLY HÜBNER Die Klimazone eint uns. Die bedingt, dass wir nicht alle in Badehose rumlaufen. Oder im Fellmantel.

Vielleicht gibt es auch deutsche Tugenden, die uns einen?

SUNG-HYUNG CHO Ich mag an den Deutschen, dass man sich meistens darauf verlassen kann, was man besprochen und vereinbart hat. Sie sind aufrichtig. Meistens. Und pünktlich.

Haben Sie diese Tugenden als neue Deutsche übernommen?

SUNG-HYUNG CHO (lacht) Klar, ich bin pünktlich, ordentlich und zuverlässig.

UDO WACHTVEITL Es gibt schon deutsche Tugenden, die man mögen kann. Mir fällt das immer auf, wenn ich aus dem Ausland zurückkomme. Ich mag es, wenn man das Gefühl hat, der Handwerker, den man gerufen hat, um das Klo zu reparieren, der weiß, was er da tut. Das ist in den USA anders. Dass man für seine Arbeit einsteht, das mag ich.

SUNG-HYUNG CHO Was ich am besten finde an den Deutschen, ist ihr Umgang mit der Vergangenheit. Der kritische Umgang mit sich selbst, davor habe ich großen Respekt.

CHARLY HÜBNER Das war aber auch nicht immer so, das mussten wir uns erarbeiten.

ANDRES VEIEL Wenn man tiefer gräbt, stößt man bei praktisch jedem Thema auf eine spezifische deutsche Beschädigung, durch die Geschichte, durch Auschwitz. Aber es gibt auch die Bereitschaft, sich den daraus erwachsenen Fragen zu stellen. Das ist eine Arbeit, die nie zu Ende geht.

Aber ein Fortschritt ist spürbar?

ANDRES VEIEL Man muss vielleicht von Jahr zu Jahr genauer hinhören, um diesen speziellen Ton zu spüren. Und es ist natürlich auch Scheitern und Verirrung dabei. Die RAF kann man als gigantische Verirrung nehmen, mit dieser Geschichte klarzukommen.
Ihre Filme laufen im Umfeld zum Tag der Deutschen Einheit. Spielt der auch für Sie ein Rolle, Frau Cho?

SUNG-HYUNG CHO Natürlich. Ich bin 1990 nach Deutschland gekommen. Ich habe es miterlebt. Außerdem komme ich aus Korea. Wir sind immer noch geteilt.

Verbindet das Koreaner und Deutsche auf besondere Art?

SUNG-HYUNG CHO Ja. Die meisten Koreaner haben geweint, als in Deutschland die Mauer fiel.

UDO WACHTVEITL (lacht) Vielleicht weil sie dachten: Das blüht uns jetzt auch? Die meisten Koreaner sind doch gar nicht für eine Wiedervereinigung.

SUNG-HYUNG CHO Damals aber schon. Dann hat man gesehen, welche Probleme die Wiedervereinigung mit sich gebracht hat. Wie teuer sie war. Deutschland wird beobachtet. Es werden Studien gemacht.

Und wie denkt man in Südkorea heute über die Situation?

SUNG-HYUNG CHO Mittlerweile ist Deutschland das stärkste Land Europas. Langsam wird wieder über eine Wiedervereinigung nachgedacht. Aber sie sind kritisch.

Braucht man ein Nationalgefühl, um eine Identität zu entwickeln?

UDO WACHTVEITL Ja, ich denke, viele Leute brauchen das. Und die brauchen auch einfache Symbole. Es ist schwieriger, mit einem abstrakten Heimat- oder Patriotismusbegriff zu leben.

Was meinen Sie damit?

UDO WACHTVEITL Die Amerikaner haben den Begriff Verfassungspatriotismus geprägt. So einen Wertekanon finde ich unterschreibenswert. Die Vorstellung von dem guten Land, in dem wir leben wollen, und dass man darum ringen muss.

SUNG-HYUNG CHO Man darf Heimat nicht als etwas Unveränderbares begreifen. Nazis sehen in allem Fremden eine Verunreinigung des Deutschen. Sie begreifen nicht, dass alles in diesem Universum immer im Wandel ist. Sie wollen es aber auch nicht begreifen.
Wie geht man mit solchen Leuten am besten um?

CHARLY HÜBNER Wenn die in den Landtag gewählt werden, muss ich mich auch mit ihnen befassen. Auch wenn das schmerzt.

Muss man deren verquere Weltsicht ernst nehmen?

CHARLY HÜBNER Man darf sich nicht darüber erheben und denen die Relevanz absprechen. Die sind ernst zu nehmen. Die sind in Ostsachsen, in Hessen, in Bayern, in Dortmund, in Anhalt. Also muss ich mich in den Dialog begeben.

ANDRES VEIEL Finde ich auch. Und dann kann die Kraft des besseren Arguments wirken. Die Nazis selbst erreicht man so nicht, aber die Leute, die am Rand stehen und nicht wissen, wo sie hingehen sollen, die sonst ein Opfer der rechten Bauernfängerei werden.

CHARLY HÜBNER Diese Kraft des Arguments ist für mich eine Tugend unserer Kultur. Dass die Kraft der Kommunikation mehr wert ist als ein Faustschlag. Es ist ein Kulturgut, dass körperliche Gewalt nicht das Mittel der Wahl ist. Auch wenn es immer wieder die Sehnsucht danach gibt, die Dinge einfacher zu lösen. Mit einem Attentat, einer Mordserie...

UDO WACHTVEITL Oder auch mit Sprüchen wie: Faschos raus! Was soll denn das heißen? Wohin sollen sie denn?

SUNG-HYUNG CHO Es gibt ja wirklich Probleme mit der Einwanderung. Aber es ist schwierig, Ausländer zu kritisieren, ohne in eine unangenehme Ecke gestellt zu werden. Es ist eine Haltung von bestimmten Intellektuellen, die eine Diskussion einfach unterdrückt haben. Und das fördert die Neonazis. Weil die die Diskussion immer geführt haben.

Was erwarten Sie nach der Wahl von der Bundesregierung? Wird es Veränderungen geben?

ANDRES VEIEL Das Problem ist: Wir haben eine Physikerin als Kanzlerin. Die macht Versuche. Und je nachdem, wie die Messwerte sind, schaut sie noch mal nach den Meinungsumfragen, und am nächsten Tag gelten dann eben neue Werte.
Es mangelt an Weitblick?

ANDRES VEIEL Mir fehlt eine Vorstellung davon, wohin die Reise gehen soll. Merkel beruhigt. Das ist ein Sedierungsvorgang. Die Krisen sind immer woanders, die Abhörskandale kennt sie nur aus der Zeitung. Und damit trifft sie eine Stimmung innerhalb der Bevölkerung.

Das klingt sehr unzufrieden.

ANDRES VEIEL Ich bin ratlos aus tiefstem Herzen. Dieses Land will keine Veränderung. Es ist träge und sediert und schlittert so in eine Krise, die uns dann brutal wachrütteln wird.

UDO WACHTVEITL Ich würde mir wünschen, dass die durch Snowden bekannt gewordenen Abhörskandale eine größere Rolle spielen würden. Man muss nicht lange weiterdenken, was mit diesen Methoden alles möglich ist, wenn es hier mal nicht so hübsch demokratisch zugeht.

Die meisten denken wohl: Egal, ich habe ja nichts zu verbergen.

UDO WACHTVEITL Das ist eine ganz gefährliche Denke. So ist Widerstand später gar nicht mehr organisierbar.

ANDRES VEIEL Die Abhörtechnik ist auch ein Exportschlager. Selbst wenn sie bei uns nur "partiell" angewandt wird, in Ländern wie Ägypten oder der Türkei kommt sie sicher flächendeckend zum Einsatz.

CHARLY HÜBNER Ich stelle auch fest, dass Menschen immer schwieriger aus Krisen herausfinden, sei es im Beruf oder in der Beziehung. Wir sind konsumsatt und träge. Ich vermisse Aktivismus. Ich bekomme nicht mit, dass hier um etwas gerungen wird.

Vielleicht bräuchten wir mal wieder ein so motivierendes Ereignis wie die Fußball-WM 2006.

CHARLY HÜBNER Da merkte man, es gibt wieder eine Generation, die einfach den Moment feiern konnte. In Deutschlandshirts und ohne nationalistischen oder faschistoiden Touch. In keinem Moment.

ANDRES VEIEL Feiern und stolz sein, ohne dass der Gedanke aufkommt, dass wir mehr wert sind als andere - das war damals möglich. Und das macht doch Hoffnung.

SUNG-HYUNG CHO Also, ich bin stolz als Deutsche!

ANDRES VEIEL (lacht) Genau! Auch wenn ich immer noch Probleme habe, das so direkt zu sagen, wie du das kannst.

Frank I. Aures

16 x Deutschland
SA, 5.10./SO 6.10., ARD, 16.00 Uhr