Es ist nur ein Stück Stoff, aber eins, das die Gemüter erhitzt und die Gerichte beschäftigt. Auch die Filmemacherin Buket Alakus, Regisseurin des ZDF-Films "Die Neue", hat ihre Erfahrungen mit dem Kopftuch gemacht. "Ich erinnere mich noch daran, dass der Schulleiter der Hamburger Grundschule, die meine Schwester und ich besuchten, einmal auf meine Mutter zugegangen ist und ihr gesagt hat: ,Wir haben hier so viele türkische Schülerinnen, die alle Kopftücher tragen, wäre es da nicht besser, wenn auch Ihre Töchter die Haare verhüllten, denn dann wüssten sie besser, wo sie hingehören.‘" Bukets Mutter war entsetzt. Für die weltoffene Muslima ist das Kopftuch nicht zentraler Bestandteil der Re ligion. Ihre Tochter sieht das genauso.
Anders die junge Sevda im ZDF-Fernsehfilm der Woche. Die junge Deutschtürkin stößt ihre liberalen Eltern vor den Kopf und fordert die von Iris Berben gespielte Lehrerin heraus. Sie erscheint mit Kopftuch in der Klasse. Und sie richtet heimlich einen Gebetsraum in der Schule ein. Pure Provokation? "Nein, das ist schon mehr", sagt Ava Celik, die das Mädchen spielt. "Sevda lebt in einer Welt, in der sich alles rasend schnell ändert. Die Religion ist eine Konstante, sie gibt ihrem Leben Halt." Manche im Westen verwurzelte Muslimas wie die ehemalige SPD-Bundestagsabgeordnete Lale Akgün oder die Anwältin Seyran Ates sehen im Kopftuch ein Instrument zur Unterdrückung der Frau. Andere, etwa die Soziologin Nilüfer Göle, halten es für ein Zeichen gesunden bürgerlichen Selbstbewusstseins, wenn muslimische Frauen in der Öffentlichkeit zu ihrer Religion stehen. So ist es für die deutsch-türkische Netzaktivistin Kübra Gümüsay, deren Blog "Ein Fremdwörterbuch" 2011 für den Grimme Online Award nominiert war, kein Widerspruch, Kopftuch zu tragen und Feministin zu sein.

"Man muss das Kopftuch einfach akzeptieren"

Ava Celik

Auch "Die Neue" entscheidet sich aus freien Stücken für die Verhüllung. Das ist, zumindest im Fernsehen und auf der Leinwand, eher ungewöhnlich. In Culture-Clash-Filmen wie "Die Fremde" (siehe unten) sind Frauen meist Opfer.

Die Grenzen der Toleranz

"Wir haben uns bewusst für ein Gymnasium und nicht die Rütli-Schule entschieden, weil uns interessierte, wie solche Konflikte in einem Milieu bewältigt werden, das sich selbst für aufgeklärt und tolerant hält", erklärt die Produzentin Katja Herzog. Sie wurde durch die Debatte um die Thesen von Thilo Sarrazin ("Deutschland schafft sich ab") angeregt, sich mit dem Thema zu beschäftigen. Selbst in Akademikerkreisen, so ihre Erfahrung, löse das Kopftuch Angst vor einem aggressiven Islam aus. Umgekehrt haben deutsche Frauen auf Urlaub in der Türkei kein Problem damit, ihre Haare zu verbergen. Das zeigt der zweite neue ZDF-Film zum Thema, die deutsch-türkische Komödie "Ein Fisch namens Liebe" mit Christiane Paul. Gibt es überhaupt eine "richtige" Haltung zur Religion?

In einem Gymnasium in Berlin kam es im November 2007 zum Eklat. Muslimische Jungen hatten sich im Schulflur zum Gebet niedergelassen. Die Direktorin sprach ein Verbot aus. Einer der Väter klagte und bekam vom Berliner Verwaltungsgericht 2009 recht, wobei sich das Gericht auf ein Gutachten des Islamkenners Mathias Rohe stützte: Die Religionsfreiheit sei ein so hohes Gut, dass die Schule einen Raum für das Gebet zur Verfügung stellen müsse. 2010 hob das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg das Urteil auf. Eine wichtige Rolle spielte dabei ein Gegengutachten des Islamforschers Tilman Nagel, dem zufolge Gebete auch verschoben werden können (Teilabdruck in "Angst vor Allah?", Berlin: Duncker & Humblot, 2014).

"Beten in der Schule verboten", titelte nach dem Prozess die "Süddeutsche Zeitung". Doch so einfach ist das nicht, wie Margarete Mühl-Jäckel erläutert. Die Rechtsanwältin vertrat das Land Berlin in dem Verfahren. Und sie beriet das ZDF bei "Die Neue". "Der Konflikt zwischen dem Grundrecht auf Religionsfreiheit und dem Bildungsauftrag der Schule kann nur im Einzelfall gelöst werden", sagt die Anwältin. In dem Berliner Gymnasium gab es deutliche Anzeichen, dass das Ritualgebet Ursache für Spannungen zwischen strenggläubigen Muslimen und weniger strenggläubigen war. In solchen Situationen besteht die Gefahr, dass der Schulfrieden konkret beinträchtigt wird. An anderen Schulen habe sich gezeigt, dass es sehr wohl möglich sei, dass sich die Schulleitung mit Eltern und Schülern auf die Einrichtung eines Gebetsraums verständigt.

Im Alltag braucht man sich nicht so viele Gedanken zu machen. Findet jedenfalls Darstellerin Ava Celik: "Man muss nicht wissen, warum jemand ein Kopftuch tragen will. Man muss es einfach akzeptieren und schauen, wie man damit klarkommt."

Rainer Unruh
Ein Fisch namens Liebe
SO 18.10. ZDF 20.15 Uhr
Die Neue
MO 19.10. ZDF 20.15 Uhr

Culture-Clash-Filme

In vielen Filmen, die vom Zusammenprall der Kulturen in Deutschland handeln, geht es heftig zu. Oft sind Männer, die nichts zu verlieren haben, die Akteure. Die Sprache ist derb, das Milieu rau. Fünf Beispiele:
■ LOLA UND BILIDIKID (1999)
Das Comingout eines türkischen Jugendlichen in der Berliner Schwulen- und Transvestitenszene: Hauptstädtische Homokultur prallt auf den türkischen Mainstream. So etwas hatte man bis dato noch nicht gesehen. Wenn Filme ein Fenster zur Welt sind, die uns bislang verschlossen war: Hier hatte sich eins geöffnet.
■ GEGEN DIE WAND (2004)
Liebe, Drogen, Gewalt: ein Wahnsinnsfilm von Fatih Akin.
■ WUT (2005)
Bildungsbürger verteidigt Familie gegen türkischen Kleinkriminellen: beklemmend realistisch, klasse gespielt.
■ KNALLHART (2006)
David Kross als Schüler, der ins Milieu türkischer Jugendgangs gerät: gnadenlos authentisch.
■ DIE FREMDE (2010)
Drama um Familienehre. Die starke Hauptdarstellerin Sibel Kekilli gewann den Deutschen Filmpreis.