Lesetipp

Die Wolken hängen tief am Horizont. Regen liegt in der Luft. Keine guten Voraussetzungen für den Nachtdreh, der heute auf dem Gelände eines ehemaligen Flughafens in Oldenburg stattfinden soll. Zumal der Film, um den es geht, "München 72 - Das Attentat", während eines Bilderbuchsommers spielt.

Damals, 1972, strahlte der Himmel mit den Sportlern und den rund 80 000 Zuschauern im Stadium um die Wette, als die Olympischen Sommerspiele in München eröffnet wurden. Für eine kurze Zeit schien es so, als würden die "heiteren Spiele" Realität, als erfüllte der Slogan, mit dem sich die bayerische Landeshauptstadt um die Austragung beworben hatte, das, was er versprach.

Angriff im Morgengrauen

Alles ändert sich am 5. September. Im Morgengrauen, kurz nach 4 Uhr, klettern acht mit russischen Sturmgewehren und Handgranaten bewaffnete Palästinenser über den Zaun in das Olympische Dorf. Die Mitglieder der Terrorgruppe Schwarzer September dringen in das Wohnquartier der israelischen Sportler ein. Verzweifelt versucht der Trainer der israelischen Ringermannschaft, Mosche Weinberg, die Terroristen aufzuhalten. Er wird verletzt und wenig später erschossen. Ein weiterer Sportler, der Gewichtheber Josef Romano, verletzt sich bei einem Handgemenge. Er verblutet vor den Augen der neun Geiseln, mit denen sich die Fedajin in einem Apartment verschanzen.

Die Forderung der Terroristen: Freilassung von mehr als 230 Gesinnungsgenossen aus israelischen Gefängnissen sowie der deutschen RAF-Führer Andreas Baader und Ulrike Meinhof. Außerdem freier Abzug in ein arabisches Land. Während des gesamten Tages verhandeln der rasch gebildete deutsche Krisenstab und die Palästinenser miteinander.

Israels Ministerpräsidentin Golda Meir lehnt die Forderung der Terroristen ab. Sie will sich nicht erpressen lassen. Und auch die ägyptische Regierung weigert sich, eine Maschine mit den Terroristen und Geiseln an Bord in Kairo landen zu lassen.

Fernsehen verrät Polizisten

Ein Versuch, die Geiseln im Olympischen Dorf zu befreien, scheitert. Die Polizei hat vergessen, den Terroristen den Strom abzuschalten. So können die Araber live im Fernsehen verfolgen, wie sich am Nachmittag als Sportler getarnte Polizisten ihrem Quartier nähern. Die Aktion muss abgebrochen werden.

Schließlich fassen die Deutschen, allen voran Bayerns Innenminister Bruno Merk und Polizeipräsident Manfred Schreiber, einen neuen Plan: Sie wollen die Terroristen zum Militärflughafen Fürstenfeldbruck bei München locken, wo angeblich eine voll betankte Boeing zum Abflug auf sie wartet. Tatsächlich lauern dort Scharfschützen auf dem Tower. Sie sollen die Palästinenser ausschalten und die Geiseln retten.

Oldenburg wird zu Fürstenfeldbruck

Und hier kommt der Drehort Oldenburg ins Spiel. Während für die Szenen von "München 72 - Das Attentat", die im Olympischen Dorf spielen, vor Ort lediglich einige Schilder abmontiert, Vorhänge ausgetauscht und Bäume umgepflanzt werden mussten, ist Fürstenfeldbruck "baulich derart verändert, dass sich kein authentischer Dreh mehr herstellen ließ", so die Produzentin Ariane Krampe, deren Firma teamWorx den Film für das ZDF produziert. Location Scouts stießen in Norddeutschland auf den ehemaligen Flughafen in Oldenburg, der flugs zu Fürstenfeldbruck deklariert wurde. Wer die Originalaufnahmen von 1972 kennt oder zum Beispiel William A. Grahams Spielfilm "Die 21 Stunden von München" (1976) gesehen hat, der noch in Fürstenfeldbruck gedreht wurde, dem fällt auf, dass der Tower in Oldenburg etwas anders aussieht als sein Pendant in Bayern.

Regen im Olympischen Sommer

Und dann ist da noch die Sache mit dem Regen. Gegen 22 Uhr ist es in Oldenburg zwar noch trocken, aber über der ehemaligen Landebahn werden die Wolken immer finsterer. Regisseur Dror Zahavi entschließt sich zum Wet Down: Ein Löschfahrzeug dreht seine Runden über den Flugplatz und versprüht Wasser, bis sich die Lampen der Filmcrew in den Pfützen spiegeln.

Auf diese Weise erzeugt man einen einheitlich feuchten Look. Andernfalls bekäme der Regisseur spätestens in der Postproduction ein Problem, wenn er die Aufnahmen von der Landebahn vor dem Regen mit den Aufnahmen während des Regens montieren würde.

Um 0:40 ist es dann soweit, ein feiner Nieselregen fällt aus dem Nachthimmel. Aufatmen bei der Filmcrew. Dass es am 5.9.1972 in Fürstenfeldbruck tatsächlich nicht geregnet hat, stört Dror Zahavi nicht: "Ich bin fest davon überzeugt, dass die Authentizität des Films durch den Umstand keineswegs beschädigt wird", sagt der Israeli.

Casting in Israel

Auf Realismus legt der Regisseur großen Wert. Das fing schon beim Casting für die insgesamt 136 Rollen an, das sowohl in Israel als auch in Deutschland stattfand. Die Schauspieler sollten vor allem den realen Personen ähneln. So besetzte der Filmemacher die Rolle des Terroristenanführers Issa mit dem in Israel lebenden Palästinenser Shredi Jabarin, der als Selbstmordattentäter in Zahavis Kinodebüt "Alles für meinen Vater" schon mal Erfahrung mit der Darstellung politisch motivierter Gewalttäter sammeln konnte.

Und dort, wo die Natur nicht mitspielte, war der Maskenbildner zur Stelle: Stephan Grossmann, der Hans-Dietrich Genscher spielt, 1972 Innenminister und Mitglied des Krisenstabs, bekam einen Satz Silikonohren verpasst.

Der Look der Siebziger

Für die Darsteller der Olympischen Sicherheitskräfte, die 1972 markant hellblaue Uniformen trugen, ließ Kostümbildnerin Nicole Fischnaller rund 50 Uniformen schneidern, ganz im Look des französischen Couturiers André Courrèges, dem offiziellen Olympia-Ausstatter von München. Die anderen 100 Uniformen, hauptsächlich für Polizisten, sowie 400 weitere Kleidungsstücke für zivile Komparsen sind weitgehend Originale aus den Siebzigerjahren und stammen aus dem Fundus der Theaterkunst Berlin und der Film- und Theaterausstattung München.

Echt, wenngleich nicht mehr flugtauglich sind auch die beiden Hubschrauber auf dem Rollfeld. Am 5. September 1972 waren die acht Terroristen mit ihren neun Geiseln gegen 22.20 Uhr vom Olympischen Dorf abgehoben und eine knappe Viertelstunde später in Fürstenfeldbruck gelandet. Als die beiden Anführer die von der Bundesregierung bereit gestellte Boeing inspizierten, stellen sie fest, dass keine Besatzung an Bord war.

Pleiten, Pech und Pannen

Ursprünglich hätten sie dort von Polizisten überwältigt werden sollen, die als Piloten und Stewards verkleidet waren. Doch die Beamten hatten sich kurz vor Ankunft der Hubschrauber eigenmächtig aus dem Staube gemacht, weil der Kampf gegen die schwer bewaffneten Terroristen aus ihrer Sicht einem Himmelfahrtskommando glich.

Nicht die einzige Panne. So hatte die Polizeiführung in München schlicht vergessen, den Kollegen in Fürstenfeldbruck mitzuteilen, dass es sich um acht Entführer handelte und nicht, wie zunächst angenommen, nur um fünf. Auf dem Flughafen waren deshalb nur fünf Scharfschützen positioniert. Die Beamten hatten weder Nachtsichtgeräte noch waren sie für ihre Aufgabe vorbereitet.

In der Dokumentation zu "München 72", die im Anschluss an den Spielfilm um 21.45 Uhr läuft, kommt einer der fünf Schützen zu Wort. Er hat entgegen dem Befehl nicht abgedrückt. "Man kann nicht einfach einen Menschen, der mehr oder weniger wehrlos ist, ob gut oder böse, einfach abschießen. Man muss das trainiert haben, und das hatten wir nicht", sagt der Mann, der bis heute Angst vor möglichen Folgen hat und der deshalb nur unkenntlich gemacht und mit verzerrter Stimme im Fernsehen Auskunft gibt.

Zurück in Oldenburg. Zehn Minuten vor Mitternacht flammen Lichter auf. Scheinwerfer suchen die Landebahn nach Terroristen ab. Vom Tower aus eröffnen Polizisten das Feuer auf die Palästinenser. Die Araber werfen sich auf den Boden und schießen zurück. 1972 entstand eine bizarre Pattsituation, weil die von der Polizei angeforderten gepanzerten Fahrzeuge im Stau stecken geblieben waren und nicht rechtzeitig nach Fürstenfeldbruck kamen.

Der Tod der Geiseln

Als die Panzerwagen endlich auftauchten, war den Terroristen klar, dass sie verloren hatten. Einer warf eine Handgranate in einen der beiden Helikopter, der sofort explodierte und vier Geiseln mit in den Tod riss. In Oldenburg hatten Pyrotechniker einen nicht mehr funktionsfähigen Hubschrauber für die Explosion präpariert, der spektakulär in die Luft flog.

Die anderen fünf Israelis im zweiten Hubschrauber wurden durch eine Gewehrsalve getötet. Ein Polizeibeamter verlor bei der Schießerei sein Leben, ebenso fünf der acht Terroristen.

Das Chaos ging 1972 nach dem blutigen Ende der fehl geschlagenen Befreiung weiter. Im Fernsehen verkündete der damalige Regierungssprecher Conrad Ahlers in einem Interview, dass alle Geiseln wohlauf seien. Die Falschmeldung verbreitete sich rasch um den ganzen Globus. Quelle des Irrtums sei ein Wichtigtuer gewesen, so ZDF-Autor Uli Weidenbach, der in offizieller Olympiakleidung an den Zaun des Flugplatzes in Fürstenfeldbruck getreten sei und zwei Reportern gesagt habe: "Alle Geiseln frei! Alle Attentäter tot!" Für Weidenbach der "zynische Höhepunkt eines an Pleiten, Pech und Pannen reichhaltigen Tages".

Die entscheidende Frage, die sich die meisten Deutschen nach dem Olympia-Mord 1972 stellten, lautete: Hätte man das Leben der Geiseln retten können? Der ZDF-Film gibt darauf keine eindeutige Antwort. Sicher ist, dass die Möglichkeit eines Attentats von den Verantwortlichen extrem unterschätzt wurde.

Dabei hatte die radikale Volksfront zur Befreiung Palästinas (PFLP) Ende Mai 1972 demonstriert, wozu sie fähig war: In ihrem Auftrag richteten drei Mitglieder der Japanischen Roten Armee ein Massaker auf dem Flughafen Lod von Tel Aviv an, bei dem 26 Menschen getötet wurden. Außerdem war klar, dass ein Ereignis wie die Olympischen Spiele, das weltweit fast eine Milliarde Menschen im Fernsehen verfolgen würden, eine ideale Bühne für Terroristen darstellte, um ihre Forderungen in die Öffentlichkeit zu tragen.

Insofern war es mehr als ein reines Gedankenspiel, als der Polizeipsychologe Georg Sieber im Vorfeld der Spiele das Szenario eines Anschlags von radikalen Palästinensern in Deutschland entwickelte, das in seinen Grundzügen die realen Ereignisse vom 5. September 1972 auf erstaunliche Weise antizipierte. Der damalige Münchener Polizeipräsident kanzelte Sieber dafür jedoch als Spinner ab.

Angst vor juristischem Nachspiel

Auffällig ist, dass im ZDF-Film der von Heino Ferch gespielte oberste Polizist Münchens anders als etwa Hans-Dietrich Genscher oder der Bayerische Innenminister Bruno Merk nicht mit seinem richtigen Namen auftaucht. Aus Polizeipräsident Manfred Schreiber wird im Fernsehen Dieter Waldner.

Warum? "Um eine juristische Auseinandersetzung zu vermeiden, haben wir einen fiktiven Namen gewählt", sagt teamWorx-Produzentin Ariane Krampe, selbst ausgebildete Juristin, die auf dramaturgische Verdichtungen bei der Gestaltung des Charakters verweist. Tatsächlich kommt der bajuwarische Apparitschik mit seiner Mischung aus Arroganz und Inkompetenz im Film denkbar schlecht weg,

Darum ging alles schief

Für Ulrich K. Wegener, damals Adjudant von Innenminister Genscher, später Gründer der GSG 9 und heute Fachberater des ZDF-Films, lag der Kardinalfehler darin, auf die Bewaffnung der Sicherheitskräfte im Olympischen Dorf zu verzichten. Bundesregierung und bayerische Landesregierung hatten auf jeden Fall vermeiden wollen, dass man die "heiteren Spiele" von München in Verbindung mit den Olympischen Spielen von Berlin 1936 brachte, die der Propaganda des nationalsozialistischen Regimes dienten. Deshalb waren auch die Zäune um das Dorf niedrig, damit sich niemand an ein Lager erinnert fühlte.

Ein weiterer Fehler war es, die Terroristen aus dem Olympischen Dorf zu lassen. Der damalige Mossad-Chef Zvi Zamir, von Golda Meir zur Unterstüztung des Deutschen Krisenstabs nach München entsandt, empfahl den Zugriff in der Tiefgarage, wo der Bus parkte, der die Terroristen mit ihren Geiseln zu den Hubschraubern brachte.

Ulrich K. Wegener hat später mit der GSG 9 die Situation nachgestellt. Mit den Spezialkräften, die es allerdings im September 1972 noch nicht gab, gelang die Geiselbefreiung im Olympischen Dorf. Ob dies auch normale Polizisten geschafft hätten, erscheint zweifelhaft. Vermutlich hätten nicht alle Geiseln überlebt. Aber das wäre immer noch besser gewesen als der grausame Tod aller Israelis auf dem Flughafen von Fürstenfeldbruck.

Der ZDF-Film endet mit der Gründung der GSG 9 und einem Ausblick auf Mogadischu 1977, wo anders als in München alles richtig gemacht wurde und die Geiseln aus der entführten Lufthansa-Maschine "Landshut" befreit wurden. Der versöhnliche Abschluss fällt deutlich anders aus als die im Jahr 2000 mit einem Oscar ausgezeichnete Dokumentation "Ein Tag im September" von Arthur Cohn.

Offene Fragen

Die Doku wirft den deutschen Politikern vor, die erstbeste Gelegenheit genutzt zu haben, um die drei überlebenden arabischen Terroristen loszuwerden. Für Martin Rauhaus, den Drehbuchautor von "München 72 - Das Attentat", hat der Hinweis auf die GSG 9 "die Funktion, den Film nicht ausschließlich auf einer düsteren, fast hoffnungslosen Note enden zu lassen." Und Uli Weidenbach, Autor der Doku "München 72 - Das Attentat", betont, dass es sich bei Cohns Ausblick um eine Spekulation handele.

Das Gleiche gilt wohl auch für dessen These, die DDR habe den Terroristen bei der Vorbereitung des Attentats im Olympischen Dorf geholfen. Dem hatte bereits der Historiker Kay Schiller widersprochen, zusammen mit Christopher Young Autor des Standardwerks "The 1972 Munich Olympics and the Making of Modern Germany" (Berkeley: University of California Press, 2010). Auch in den Stasi-Akten der Birthler-Behörde ist bis heute kein Hinweis aufgetaucht, der dieses Gerücht stützen könnte.

Für die meisten Menschen ist München 1972 eine abgeschlossene Geschichte. Nicht so für die Angehörigen der israelischen Sportler, die damals ermordet wurden. Zwar zahlte die Bundesregierung den Hinterbliebenen eine einmalige Summe in Höhe von 3,2 Millionen Mark, ergänzt durch 1,7 Millionen Mark Spenden des Roten Kreuzes.

Schweigeminute für die Opfer

Aber bis heute wartet Ankie Spitzer, Witwe des in München getöteten Fechttrainers André Spitzer, im ZDF-Film von Pasquale Aleardi gespielt, auf eine Entschuldigung der deutschen Sicherheitsvertreter. Jetzt soll zumindest bei den Olympischen Sommerspielen in London, die am 27. Juli beginnen, der Opfer von München mit einer Schweigeminute gedacht werden. Das zumindest fordert eine von Ankie Spitzer unterstützte Facebook-Kampagne.

Doch in Großbritannien macht man sich zurzeit eher Gedanken um die Gegenwart. Die Angst vor einem erneuten Anschlag bei den Olympischen Spielen ist groß. Ex-GSG 9-Chef Ulrich K. Wegener, der über gute Kontakte zu englischen Sicherheitskräften verfügt, geht von einer ernsthaften Bedrohung aus.

In London hat man das Attentat vom 7. Juli 2005 nicht vergessen. Damals zündeten militante Islamisten Sprengsätze in der U-Bahn und in einem Doppeldeckerbus Bomben. 56 Menschen starben, mehrere Hundert wurden verletzt. Ein gigantisches Aufgebot an Militär und Polizei soll bei den Olympischen Spielen für Sicherheit sorgen. Gerade wurden Boden-Luft-Raketen am Themseufer stationiert.

München 1972 sei "die Stunde Null des Internationalen Terrorismus" gewesen, sagt teamWorx-Produzent Nico Hofmann. Die Gefahr vor Attentaten ist auch nach der Exekution des Al-Qaida-Führers Osama bin Ladens durch ein US-Sonderkommando am 2. Mai 2011 nicht vorbei. Das Terrornetzwerk ist zwar geschwächt, aber weiterhin in vielen Teilen der Welt aktiv, etwa im Irak, in Mali, im Jemen, in Afghanistan und in Syrien. Bleibt zu hoffen, dass auf den arabischen Frühling kein Sommer des Terrors folgt.

Rainer Unruh

München 72 - Das Attentat
MO, 19.3. ZDF 20.15 Uhr
München 72 - Die Doku
MO 19.3. ZDF 21.45 Uhr