Für Stephan Thome war der Roman "Grenzgang" von 2009 ein Debüt nach Maß. "Die Zeit" schrieb, seit Martin Walser habe kein Autor mehr derart einfühlsam über den deutschen Mittelstand und seine liebenswürdigen Begrenztheiten geschrieben. Der Held des Buchs, Thomas, Philosoph, kehrt nach gescheitertem Karriereversuch an einer Berliner Uni kleinmütig und selbstmitleidig zurück in seinen Heimatort, das hessische Bergenstadt, und wird dort Lehrer. Er trifft auf die geschiedene Kerstin, die sich mit ihrem pubertierenden Sohn und der dementen Mutter abmüht.

Grenzgang
MI, 27.11., Das Erste, 20:15 Uhr
Funktioniert der "Grenzgang", der auf 450 Seiten so viele unendlich präzise Alltagsbeobachtungen liefert, auch noch beim Transfer auf ein 90-minütiges TV-Drama? Film ab:

Menschenmassen wandern durch eine Waldlandschaft, darunter Männer in Uniformen mit Säbeln, teilweise mit schwarzem Gesicht. Einzelne werden jubelnd in die Luft geworfen.

"Das sind Originalaufnahmen vom Grenzgang in Biedenkopf", erklärt Stephan Thome. "Als dort gedreht wurde, habe ich auch das Filmteam kennengelernt." Thomes Heimatort wurde im Roman zu Bergenstadt, mit dem komplizierten Volksfest Grenzgang wuchs er auf. Drei Tage lang wandern und trinken.
"Das Besondere ist der Rhythmus, alle sieben Jahre, erklärt der Schriftsteller. "Das strukturiert das Leben der Leute, man kann sich gut daran erinnern. Wie war das vor sieben Jahren? Vor 14?" Auch seinen Roman erzählt er in Siebenjahresschritten.
Mit der sensiblen Verfilmung von Brigitte Bertele ist Thome sehr zufrieden. Wäre sie missglückt, hätte ihn das aber auch nicht groß gestört. Er sei dafür schließlich nicht verantwortlich. "Die Besetzung ist perfekt. Lars Eidinger spielt großartig. Hanns Zischler sieht als Schuldirektor zwar ganz anders aus, als ich ihn beschrieben habe, hat die Essenz der Figur aber trotzdem genau getroffen.

"Viele Rezensionen haben auf die Provinz abgehoben. Den großen Gegensatz zur Metropole gibt es doch aber gar nicht mehr. Es gibt eine Durchlässigkeit. Man kann einfach so in die Stadt ziehen. Auch Provinzler fahren mal nach New York und haben das gleiche Internet."

Lars Eidinger und Claudia Michelsen kommen sich auf einer nächtlichen Fußgängerbrücke näher. Nach langer Annäherung ein einziger, sehr schöner Kuss.

Claudia Michelsen hat genau die richtige Mischung aus Stolz und Verletzlichkeit." Als Kerstin muss sie sich damit abfinden, allein in der Provinz gestrandet zu sein. Ihre Ehe erhielt den Todesstoß - natürlich - bei einem Grenzgang. Wie im Buch springt auch der Film zurück zu Siebenjahresgelagen der Vergangenheit.

"Als Austauschstudent in Taiwan war ich unglücklich", sagt Thome. "Ich war nicht in der Provinz, aber in einer asiatischen Metropole gefangen. Werde ich hier Professor? Lebensentwürfe und Umgang mit dem Scheitern waren als Themen sehr präsent."
Die akademische Laufbahn hat Thome längst für das Schreiben an den Nagel gehängt.
Sein zweiter Roman "Fliehkräfte" wurde im vergangenen Jahr ähnlich gefeiert wie der erste. Stephan Thome (41) lebt und schreibt heute in Lissabon. Minute 20 im Film, ein Mann im schwarzen Polohemd. "Da bin ich", sagt er. "Im Festzelt. Da hatte ich wohl schon ein paar Bier getrunken."

Claudia Michelsen steht an der Theke eines rot ausgeleuchteten Swingerclubs. Im Hintergrund maskierte Damen, halbnackte Männer mit Halsband, sich windende Paare.

"Dieser Club ist bei mir trostloser, dörflicher, nicht so bizarr." Buch und Film zeichnen ein realistisches, aber kein tristes Bild des Ländlichen. Thome hat gern dort gelebt. Im Gegensatz zu seinem Protagonisten Thomas leidet er nicht unter seiner Herkunft.

Und: "Man darf seine Figuren nicht verraten. Manche Autoren wollen Abgründe zeigen, andere fühlen sich ihren Figuren überlegen. Dabei kommen keine guten Bücher heraus. Ich finde, man muss sein Personal immer wieder stark machen. Das habe ich beim Schreiben stets im Kopf."

Frank I. Aures

Grenzgang
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