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ARD-Doku: "Die Akte Zschäpe"

Wenn doch Zschäpe spräche

Schweigende Angeklagte, Verschwörungstheorien, offene Fragen: Eine ARD-Doku (MO, 2.11.) schlägt die "Die Akte Zschäpe" auf. Spielfilme folgen.

Deutete sich das Ende des wichtigsten deutschen Strafprozesses der Nachwendezeit nicht schon an? "Ja, wir wollten eigentlich eine Art Bilanz ziehen", sagt Marcus Weller, einer von drei Autoren der ARD-Doku "Die Akte Zschäpe". Ein abschließendes Resümee ist es nicht geworden. Das Gericht hat noch bis August 2016 Termine reserviert - für eine Strafsache, die längst fast unbemerkt von der breiten Öffentlichkeit stattfindet.

Tatsächlich ist vielen nicht mehr so recht klar, worum es da eigentlich geht: die Schuld von Beate Zschäpe und vier weiteren Angeklagten an der Mittäterschaft bei der Ermordung von zehn Menschen, die das Münchener Oberlandesgericht verhandelt, oder die Verstrickung von V-Leuten sowie die Vernichtung von Beweismitteln seitens der Behörden, die einen parlamentarichen Untersuchungsausschuss noch Jahre beschäftigen wird? Es ist unübersichtlich.
Dass zuletzt die Nebenklage in Misskredit geriet, weil ein angeblicher Opferanwalt seit Mai 2013 eine Mandantin vertritt, die es offensichtlich gar nicht gibt, macht eine Aufarbeitung der rechtsterroristischen Mordtaten nicht einfacher.

Darum aber geht es Weller und seinen Co-Autoren Philipp Grüll und Ulrich Neumann. Ihr Film bleibt nicht beim Prozessgeschehen, in dem sich die Hauptangeklagte "wie eine Sphinx geriert, die nichts sagt, aber alle Aufmerksamkeit auf sich zieht, sondern richtet den Fokus auf die offenen Fragen", so Weller.

Sie beleuchten unter anderem den weitgehend ungeklärten Mord an der Heilbronner Polizistin Kiesewetter und die Selbstmorde der NSU-Killer Böhnhardt und Mundlos. Die schlampige Polizeiarbeit hat es Verschwörungstheoretikern aus neurechten Kreisen leicht gemacht. "Die streuen im Netz, dass es Mord gewesen sein muss. Wir versuchen, dem Fakten und Expertisen von renommierten Fachleuten entgegenzustellen."

"Die letzten Rätsel des NSU", wie der Untertitel verheißt, wird die Doku nicht aufklären. Und auch das Verfahren nicht, das aus Sicht des Filmers mit seiner Anklage zu kurz greift: "Da sitzen insgesamt fünf Angeklagte - und das soll es gewesen sein?" Unter Prozessbeobachtern ist längst unstrittig, dass es ein Netzwerk gegeben haben muss, das im Rahmen dieser Anklage allerdings nicht ausgeleuchtet werden kann. Es ist Aufgabe der Politik beziehungsweise eines Untersuchungs­ausschusses, sich dieser Aufgabe anzunehmen, ebenso wie die der V-Mann-Problematik.

"Was wusste der Staat vom braunen Terror?", fragte Rainer Fromm bereits im Januar in seiner ZDF-Doku "Der Nationalso­zialistische Untergrund", die zeigt, wie V-Leute die Neonaziszene maßgeblich mit aufgebaut haben - bis hin zum NSU. "Ich will nicht sagen, dass es sich um ‚betreutes Morden‘ gehandelt hat, aber 48 Spitzel im direkten Umfeld zeugen von der besonderen Nähe der Dienste zu diesen Kreisen", konstatiert Weller.

Ein hochkomplexes Thema also, das mit filmischen Mitteln nicht einfach zu bewäl­tigen ist. Ist die Vielzahl der Teilaspekte, wenn auch hochbrisant, ein Grund für das nachlassende öffentliche Interesse? "Es verkauft sich jedenfalls nicht so gut wie der große Wurf." Und der wäre? "Zschäpe spricht! Aber es kommt auch darauf an, was sie sagt."

So lange lässt die Schweigestrategie Freiraum für Spekulationen, den zwei fiktionale Produktio­nen demnächt füllen wollen: 2016 will Oliver Berben das Buch "Heimatschutz - Der Staat und die Mordserie des NSU" von Dirk Laabs und Terrorchronist Stefan Aust ("Der Baader Meinhof Komplex") verfilmen. Bereits im Kasten ist das ZDF-Dokudrama "Letzte Ausfahrt Jena" mit Lisa Wagner, Joachim Król und Axel Milberg. Die Spielszenen der Rahmenhandlung folgen Zschäpe nach Jena, wo sie vor Prozessbeginn noch einmal ihre Oma besucht.

Heiko Schulze

Die Akte Zschäpe - Die letzten Rätsel des NSU
MO 2.11. Das Erste 22.45 Uhr



3sat-Abend "Rechts - extrem - gefährlich"
Mit der Wiederholung der ARD-Doku "Die Akte
Zschäpe" steigt 3sat am 4. November ins Abendprogramm ein und lässt diese folgen:

21.00 V-Mann-Land - Doku über die Frage, auf welcher Seite die Informanten in der
Neonaziszene eigentlich stehen (lief schon im April)
21.45 Kriegerin Wer den Film noch nicht kennt: Alina Levshin und Jella Haase sind herausragend als hass- und selbsthasserfüllte Jugendliche
23.25 Deutsche Pop Zustände - Eine Geschichte rechter Musik, die bis in die 70er-Jahre zurückreicht