Erst 23 Jahre nach Beginn des Vietnamkriegs wagte das US-Fernsehen mit "Dienst in Vietnam" eine Serie über den Konflikt. Vom Einmarsch der USA im Irak bis zur Ausstrahlung von "Generation Kill" vergingen gerade einmal 64 Monate.

Sah das US-Fernsehen früher einmal seine größte Priorität darin, das ideale amerikanische Familienbild zu prägen, greift es heute immer öfter und im-mer schneller gesellschaftliche Reizthemen auf. Und zwar nicht durch Allegorien in Sci-Fi-Serien wie "Star Trek", sondern direkt und unverblümt.

Kritisch und unbequem

"The Good Wife" (lief bei Pro 7 und Kabel 1) hatte seinen Ursprung im Sexskandal eines US-Gouverneurs, "Newsroom" thematisiert die sinkende Qualität des Journalismus, Sitcoms wie "Modern Family" und "The New Normal" widmen sich dem in den USA noch immer umstrittenen Thema schwule Eltern, und die Unternehmensberater-Satire "House of Lies" greift etliche Themen auf, die die "Occupy Wall Street"-Bewegung auf die Straße brachten.

Die Begründung dafür liefert Kiefer Sutherland, der mit "24" eine öffentliche Diskussion über Folter von Terrorverdächtigen auslöste: "Die Metamorphose des Fernsehens ist eine direkte Folge von dem, was die Filmindustrie gemacht hat: Hollywood hat aufgehört, solche Stoffe zu verfilmen, und das Fernsehen hat dieses Vakuum gefüllt."

House of Lies

Showtime

Don Cheadle und seine Kollegen von "Galweather & Stearn" sind die Anti-"Robin Hoods"

Nur vier Monate nach Occupy Wall Street startete die Serie zum Protest gegen die Finanzindustrie.
"House of Lies" erzählt, wie Unternehmensberater Firmen ein positives Image verschaffen, die kleine Bürger in den Ruin getrieben haben - ohne dass die Manager auf ihre Bonuszahlungen verzichten müssen. Das ist nicht nur zynisch, es ist auch real.

Denn Marty Kaan (Don Cheadle aus "Hotel Ruanda") hat ein echtes Vorbild: Martin Kihn. Der Ex-Unternehmensberater und Autor der gleichnamigen Buchvorlage sorgte dafür, dass die ins Satirische überhöhte Serie ein realistisches Fundament hat. "Es ist ein nomadenhafter, moralisch fragwürdiger Beruf, der von vorgespielter Intimität und Ausflüchten lebt", erzählt Kihn. Nur in einem Punkt widerspricht er seinem Serien-Alter-Ego. "Unternehmensberater haben mit niemandem Sex - einschließlich unserer Frauen. Wir sind einfach zu müde."

Newsroom

HBO

Jeff Daniels spielt in "Newsroom" einen Anchorman, der es wagt tatsächlich über Nachrichten zu berichten

Früher war einfach alles besser. Das ist das Mantra der neuen Serie von "Social Network"-Autor Aaron Sorkin, die den Verfall des TV-Journalismus anprangert. Jeff Daniels spielt darin einen Anchorman, dem es egal ist, welchen Nonsens er als Nachricht präsentiert - bis seine Exflamme (Emily Mortimer) Produzentin wird und ihm die Leviten liest.

"Ich mache lieber eine gute Sendung für 100 Leute als eine schlechte für eine Million", formuliert sie den idealistischen Ansatz der Produktion, die - angefangen mit der Explosion der Ölbohrplattform Deepwater Horizon - immer wieder aktuelle Ereignisse in die Handlung einbindet. Und Sorkin lässt Jeff Daniels anschließend so darüber berichten, wie man es sich von CNN & Co. wünschen würde.

Generation Kill

HBO

Journalist Wright (r.) zieht Seite an Seite mit den Soldaten durch den Irak

Basierend auf den Erlebnissen eines Reporters des "Rolling Stone" erzählt die Miniserie von den ersten 40 Tagen des Irakkriegs 2003. Journalist Evan Wright begleitete das 1st Reconnaissance Battalion auf dem Weg gen Bagdad und erwarb das Vertrauen der Marines: "Wir haben darauf gewartet, dass er seine Sachen packt. Aber trotz 17 Gefechten, bei denen Kugeln in seiner Autotür einschlugen, hielt er durch", erinnert sich Staff Sergeant Eric Kocher.

Wright verarbeitete die Erlebnisse in einem Buch, das den Alltag von US-Marines ungekünstelt wiedergibt - und in den Händen von "The Wire"-Macher David Simon noch realistischer wird. Sein Sieben­teiler verzichtet auf jede Einordnung der Ereignisse, sodass der Zuschauer ebenso orientierungslos in das Geschehen geworfen wird, wie es die Soldaten waren.

Als zentrale Identifikationsfigur dient Sergeant Brad Colbert (Alexander Skarsgård), ein geborener Anführer und eine Art gutes Gewissen der Einheit, der auf die Opfer und die Inkompetenz einiger Vorgesetzter ähnlich schockiert reagiert, wie es der Zuschauer tun wird.
Dennoch ist "Generation Kill" so sehr kritische Kriegschronik wie Entertainment: Abstoßende Bilder und schießwütige Soldaten werden durch menschliche, ur­komische Momente und fein ausgelotete Charaktere gekontert.

Wie gut und differenziert die Serie ist, illustriert eine Anekdote, die Evan Wright erlebte. Bei
einem Wiedersehen ließ ihn ein Offizier in Handschellen von der Basis führen. Als sie außer Sichtweite waren, fragte der Militärpolizist Wright, ob er ihm ein Exemplar seines Buchs signieren könne.