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Gedenktag

Filme über die Opfer des Nationalsozialismus

Filme über die Opfer des Nationalsozialismus
Adrien Brody in "Der Pianist"

Zum "Tag des Gedenkens an die Opfer des Nationalsozialismus" (27. Januar): Filme die das Leid der Opfer in Erinnerung halten. Dabei stellt sich die Frage: Kann und darf man die unfassbaren Gräuel der Konzentrationslager überhaupt zeigen?

Am 27. Januar 1945 befreite die Rote Armee das Konzentrationslager Auschwitz. Ein symbolträchtiges Ereignis, das 1996 der damalige Bundespräsident, der jüngst verstorbene Roman Herzog, zum Anlass nahm, einen Gedenktag für die Opfer des Nationalsozialismus einzurichten. "Die Erinnerung darf nicht enden; sie muss auch künftige Generationen zur Wachsamkeit mahnen. Es ist deshalb wichtig, nun eine Form des Erinnerns zu finden, die in die Zukunft wirkt" schrieb Herzog damals.

Einer der Hintergründe für einen Gedenktag war auch die Tatsache, dass immer weniger Zeitzeugen lebten. Die Erinnerung an die Verbrechen der Nationalsozialisten drohte zu verblassen. An die Stelle der Augenzeugen sollte nun die kollektive Erinnerung treten, durch Gedenkfeiern, Ausstellungen - oder durch Kunst. Gerade dem Film kommt dabei eine wichige Rolle zu. Er zwingt uns, den Opfern ins Gesicht zu sehen, sie werden von Zahlen zu Individuen. Das ist wichtiger denn je in Zeiten, in denen das Holocaust-Denkmal in Berlin zu einem Selfie-Hintergrund von Touristen geworden ist und von einem AfD-Politker als "Denkmal der Schande" bezeichnet wird. Eine kleine Auswahl beispielhafter Filme, die das Gedenken an die Opfer bewahren.
Die Mörder sind unter uns (1946)
Foto: DEFA, Die Mörder sind unter uns
Der erste deutsche Spielfilm nach dem Zweiten Weltkrieg ist gleich ein starkes Statement gegen das Verdrängen der deutschen Schuld. Die KZ-Überlebende Susanne (Hildegard Knef) verliebt sich in den Kriegsveteranen Mertens (Ernst Wilhelm Borchert). Aber kann sie ihm seine Rachepläne ausreden? Mertens begegnete zufällig seinem Kompaniechef Brückner (Arno Paulsen), der 1942 über 100 Menschen hinrichten ließ...
Der Klassiker von Wolfgang Staudte, der im Paradebeispiel für die sogenannten Trümmerfilme, die während der Besatzungszeit entstanden und sich kritisch mit dem gerade untergegangenen Dritten Reich auseinandersetzt. In den Fünfziger-Jahren setzte dann mit den Heimatfilmen das große Vergessen ein.
Nackt unter Wölfen (1963)
Foto: DEFA, Die Mörder sind unter uns
In der DDR gehörte die filmische Aufbereitung des Holocaust zur offiziellen Geschichts- und Kulturpolitik. Eindrücklichstes Beispiel der antifaschistischen DEFA-Filme ist das sensible Glanzstück von Frank Beyer ("Jakob der Lügner") nach dem Roman von Bruno Apitz (1958): Drei Häftlinge versuchen im KZ Buchenwald unter Einsatz ihres Lebens, einen jüdischen Jungen vor den Aufsehern zu verstecken. 2015 lief im Ersten eine ebenfalls gelungene Neuverfilmung.
Das Haus in der Karpfengasse (1965)
"Der Film nach dem gleichnamigen Roman des israelischen Schriftstellers Ben-gavriêl ist eines der wenigen deutschen Nachkriegslichtspiele, die sich mit dem Schicksal jüdischer Menschen während der NS-Zeit auseinandersetzen" schrieb der SPIEGEL zum Kinostart. Anhand einer Prager Hausgemeinschaft, bestehend aus Deutschen, Juden und Tschechen, beschreibt Regisseur Kurt Hoffman ("Wir Wunderkinder") die Zerstörung von Frieden und Freiheit durch das brutale Eingreifen einer diktatorischen Macht. Mit dem Einmarsch der deutschen Truppen am 15. März 1939 zieht auch der Ungeist der NS-Ideologie in die Mauern des Hauses in der Karpfengasse ein und wird zum Auslöser einer Kette düsterer Ereignisse... Hoffmann wurde als Nestbeschmutzer und Kommunistenfreund betitelt, weil er es das erste Mal seit dem 1948 entstandenen "Morituri" wagte, die Judenvernichtung zu einem wesentlichen Bestandteil seines Filmes zu machen.
Holocaust (1978)
Foto: Polyband, Holocaust
Auch der von der 68er-Generation geprägte Neue Deutsche Film, angetreten Papas Verdrängungs-Kino zu entstauben, setzte sich kaum mit den Opfern des Nationalsozialismus, sondern eher mit den Tätern auseinander. Es musste erst eine amerikanische Serie kommen, um die Deutschen nachhaltig mit ihrer dunklen Vergangenheit zu konfrontieren. Zunächst überwog bei vielen die Skepsis: Darf man den Mord an den Juden in einem Unterhaltungsmedium als "Seifenoper" (Schriftsteller Elie Wiesel) nachspielen? Jein, entschied damals die ARD und zeigte "Holocaust" 1979 erst einmal nur in den Dritten Programmen. Heute weiß man: Die starbesetzte Miniserie über die jüdische Arztfamilie Weiss (James Woods, Meryl Streep) hat breite Bevölkerungsschichten überhaupt erst für das Tabuthema sensibilisiert. Der Begriff "Holocaust" wurde 1979 zum Wort des Jahres gewählt.
Shoah (1985)
Foto: Absolut Medien, Shoah
Zu den Intellektuellen, die eine Fiktionalisierung des Holocausts kategorisch ablehnen, zählt der französische Filmemacher Claude Lanzmann. In seiner neunstündigen Dokumentation "Shoa" verzichtet er zudem auf Archivmaterial und stützte sich nur auf Interviews mit Zeitzeugen, sowohl mit Opfern als auch mit Tätern. Auch ohne Schockbilder ein erschütterndes Dokument, für viele der einzig gültige Film über den Holocaust.
Schindlers Liste (1993)
Foto: UIP, Schindlers Liste
Seitdem er mit 17 Jahren erfahren hatte, das Familienmitglieder von ihm in Konzentrationslagern umkamen, wollte Steven Spielberg einen Film über den Holocaust drehen. Mit der Geschichte des deutschen Industriellen Oskar Schindler (Liam Neeson), der im Zweiten Weltkrieg 1100 Juden rettete, wollte Spielberg dem Nihilismus der Nazis ein Dokument der Zivilcourage entgegensetzen. Sein Zugang gefiel nicht allen, manche allzu manipulativ eingesetzte Spannungselemente irritieren. "Shoah"-Regisseur Claude Lanzmann kritisierte "Schindlers Liste" als "kitschiges Melodram", Spielberg habe eine Grenze überschritten, "weil ein bestimmtes, absolutes Maß an Greueln nicht übersetzbar" in Bilder sei.
Anders als bei der Serie "Holocaust" wurde bei "Schindlers Liste" aber nicht gestritten, ob er den Deutschen zumutbar wäre. Der Film wurde hierzulande ein großer Erfolg und Pflichtprogramm für Schulklassen. Bei seiner TV-Premiere 1997 verzichtete Pro Sieben sogar größtenteils auf Werbeblöcke um die volle Wirkung des berührenden Werks zu entfalten.
Der Pianist (2002)
Foto: Tobis, Der Pianist
Eigentlich wollte Steven Spielberg die Regie von "Schindlers Liste" Roman Polanski überlassen. Der lehnte aber ab, da ihm die Geschichte zu nah ging: Der polnische Regisseur hatte als Kind im Getto von Krakau gelebt. Erst mit der Verfilmung der Memoiren des jüdischen Klaviervirtuosen Wladyslaw Szpilman, der das Warschauer Getto überlebte, wagte sich Polanski an den Holocaust und drehte einen der realistischsten und bewegendsten Filme zum Thema der sich einen Platz in der Filmgeschichte neben "Schindlers Liste" sicherte.
Sophie Scholl - Die letzten Tage (2005)
Foto: X Verleih, Sophie Scholl - Die letzten Tage
Ein Denkmal für die Widerstandskämpfer: In Flugblättern ruft die Studentengruppe "Die Weiße Rose" zum Widerstand gegen die Nazis auf. Bei der Verbreitung werden die Geschwister Sophie (Jentsch) und Hans Scholl (Fabian Hinrichs) Anfang 1943 gefasst... Der Film basiert auf Protokollen aus DDR-Archiven, die im Westen lange nicht bekannt waren. Der Lohn für die Recherchearbeit war eine Oscar-Nominierung als bester fremdsprachiger Film
Am Ende kommen Touristen (2007)
Foto: X Verleih, Am Ende kommen Touristen
Die Vertreter der Enkelgeneration nähern sich dem Holocaust oft nicht direkt in Historienfilmen, sondern in Geschichten die im hier und jetzt spielen und vom Umgang mit der Vergangenheit und der Erinnerung handeln. In diesem Film geht es um Sven (Alexander Fehling) der im polnischen Oswiecim - zu Deutsch: Auschwitz zivildienst leistet. Er arbeitet in der Begegnungsstätte des Museums, betreut den KZ-Überlebenden Krzeminski und verliebt sich in Fremdenführerin Ania. - Zeitgeschichte ohne Betroffenheitskitsch.
Unsere Mütter, unsere Väter (2013)
Foto: ZDF/David Slama, Unsere Mütter, unsere Väter
Lange nach "Holocaust" gab es wieder einen Mehrteiler über das Dritte Reich, der in Deutschland breit diskutiert wurde. Anhand des Schicksal von fünf Freunden in Berlin (u.a. Tom Schilling, Katharina Schüttler) zeigt der aufwändige Dreiteiler beispielhaften Erfahrungen der Täter- und Opfergeneration des Zweiten Weltkriegs. In Polen sorgten die antisemitischen polnischen Partisanen für Proteste, bei uns wurde die Darstellung des im Herzen toleranten, aber "verführten" Deutschen kritisiert, die auch die Täter zu einfach zu Opfer macht.
Son of Saul (2015)
Foto: Sony Pictures, Son of Saul
Seit "Schindlers Liste" hat kein fiktionales Werk über die Vernichtung der Juden so polarisiert. Denn der ungarische Film taucht tiefer in die Hölle der Konzentrationslager ein als je ein Film zuvor.
Der ungarische Jude Saul führt als Mitglied eines Sonderkommandos die Häftlinge in die Gaskammer. Die Kamera bleibt jederzeit dicht an der Hauptfigur, das Grauen spielt sich (nur) in der Unschärfe ab oder vermittelt sich über die Tonspur. Ein schwer zu ertragender Film, der in Cannes den Großen Preis der Jury gewann und bei den Golden Globes und den Oscars 2016 als bester fremdsprachiger Film ausgezeichnet wurde.
Nebel im August (2016)
Foto: Studiocanal, Nebel im August
Der "Tag des Gedenkens an die Opfer des Nationalsozialismus" erinnert nicht nur an die ermordeten Juden, sondern auch an verfolgte Sinti und Roma, Homosexuelle und Menschen mit Behinderung. "Nebel im August" greift als einer von sehr wenigen Filmen das Tabuthema Euthanasie auf: Der dreizehnjährige Ernst (Ivo Pietzcker) wird während des Nationalsozialismus als "nicht erziehbar" in eine Nervenheilanstalt eingeliefert. Bald macht Ernst die Entdeckung, dass in dem Institut unter Aufsicht von Dr. Walter Veithausen (Sebas­tian Koch) Menschen systematisch umgebracht werden - sie gelten als unwertes Leben, das dem Volkskörper schadet.
Autor: Sebastian Milpetz