Das Treffen beim Filmfest Hamburg ­Anfang Oktober ist für die Darsteller ein Heimspiel: Der größte Teil des Kinofilms von Markus Goller wurde in der Hansestadt gedreht. "Simpel" ist die berührende Geschichte der Brüder Ben (Frederick und Barnabas (David Kross). Letzterer ist geistig auf dem Stand eines Dreijährigen stehen geblieben, Spitzname Simpel. Frederick Lau und David Kross haben sich länger nicht gesehen. Das Begrüßungshallo ist entsprechend. Zumal Kollegin Emilia Schüle dazukommt. Sie spielt eine Rettungssanitäterin, bei der die Brüder zeitweise unterkommen.

Sofort verfallen Lau und Kross in den Großer-Bruder-kleiner-Bruder-Modus, was im Zweifelsfall bedeutet, dass ein Blick des einen reicht, um den anderen albern losgiggeln zu lassen. Zwischendrin zückt Lau sein Smartphone, um seine TV SPIELFILM-App zu zeigen ("Da guck ich immer nach!"). Kross trägt ­einen 80er-Jahre-Porno­schnauzer, weil er gerade das DDR-Flucht­drama "Ballon" von Michael "Bully" Herbig dreht.
Was würdet ihr sagen, welches Genre passt am besten zum Film?
Frederick Lau: Roadmovie.
David Kross: Tragikomödie.
Emilia Schüle: Tragikomisches Roadmovie.
Lau: Aber "Tragikomödie" - das würde ich mir nicht angucken. Du hast als Zuschauer ja auch Spaß mit denen, du wirst ja auch unterhalten. Es ist eine klassische Reise, auf die du mitgenommen wirst. Ich finde, der Film ist auch seelisch ein Roadmovie. Die beiden Brüder sind auf der Suche nach einem Vater und nach einem Ort, wo man glücklich wird.

Wer war zuerst an Bord?
Schüle: Ich war die Erste, glaube ich. Aber ich war mit keinem von euch bei einem Casting.
Lau: Wir hatten zusammen eins, David und ich. Ich sollte David Kross spielen... Im Ernst, mir hat das total gefallen zusammen mit ihm. Das ist ein Projekt, bei dem man aufpassen muss, dass es nicht albern wirkt. Gerade Davids Rolle, das ist sehr schwer zu spielen. Und es muss ja auch irgendwie passen zwischen den Brüdern, diese bedingungslose Liebe ­unter ihnen. Mich musste der Schauspieler überzeugen, dass er das so spielen kann, wie ich es gelesen habe.

Der Film beginnt mit einer ziemlich emo­tionalen Szene der Brüder im Watt. Das war sicher ganz schön kalt beim Dreh, oder?
Kross: Ja, und das war auch der erste Drehtag. Im Rückblick find ich's gut, dass wir damit angefangen haben, weil's im Grunde wortwörtlich ein Sprung ins kalte Wasser war. Und einfach eine gute erste Szene.
Lau: Das war auch total schön beim Dreh. Irgendwann hast du das Meer gar nicht mehr gesehen, weil wir komplett in einer Nebelbank standen. Man war geschützt. Das war fast metaphorisch. Der Nebel stand für die ­eigene Welt, in der sich Simpel und auch Ben befinden, irgendwie abgeschottet. Was ja manchmal von Vorteil sein kann, aber ­natürlich nicht für immer geht.
Kross: Ich weiß noch, vorher hatten wir das Warm-up, und Freddy und ich waren ein bisschen aufgeregt, weil's ja auch so sehr um die beiden Brüder geht. Weil die Chemie einfach stimmen muss. Eigentlich war es im Endeffekt richtig gut, dass wir gleich mit so einer großen emotionalen Szene angefangen haben, da waren wir relativ schnell drin.

Eine weitere emotionale, ja dramatische
Szene kommt gegen Ende, als Simpel auf dem Dach steht und abzustürzen droht. Wie gefährlich war's tatsächlich?

Kross: Das ging schon ganz schön tief runter, aber beim Film ist man ja immer sehr vorsichtig, ich war schon richtig gut abgesichert.
Lau: Das war schon heftig. Außerdem war das einer der letzten Drehtage, und wir sind mit der Zeit echt zusammengewachsen, da wird dir schon ganz anders, wenn du deinen
Bruder so nah am Abgrund siehst.
Kross: Es ist schon interessant, was eine Rolle auch menschlich mit einem macht. Hätten Freddie und ich uns nicht als Brüder kennengelernt, sondern vielleicht als Rivalen, wäre das Verhältnis zwischen uns vielleicht ein ganz anderes geworden.

Wie ist es denn, wenn man so drin ist in einer
Figur, einer Szene, bekommt man dann überhaupt noch was mit? Ihr habt ja auch auf der Reeperbahn gedreht, David mit Make-up...

Schüle: Das fällt auf der Reeperbahn gar nicht auf. Da waren viele noch ganz anders drauf!
Lau: Trotzdem ist es jedes Mal eine Überwindung, wenn viele Leute zugucken, mir geht das jedenfalls so. Für die Rolle der Brüder haben David und ich in Berlin geprobt, da sind wir Hand in Hand rumgelaufen, um zu sehen, wie die Leute reagieren. Und noch krasser ist das bei so extremen Szenen wie der auf der
Reeperbahn, mit der Knarre in der Hand und David in seinem Tutu - was übrigens ganz wunderbar aussah. (Lachen)
Kross: Mir war besonders wichtig, dass auch das Filmteam Simpel einen Raum gibt, in dem er existieren kann, und das hat es.

Richtig Drama, Digger!

Ben und Simpel begegnen auf ihrem Weg fast nur hilfsbereiten Menschen, was manchmal ein bisschen unrealistisch wirkt, oder nicht?
Schüle: Na ja, es soll bei allem Drama ja schon auch ein Feel-good-Film sein.
Lau: Es gibt solche Menschen, denen Gutes passiert, das ist so. Kenne ich sogar welche. Simpel ist jemand mit einer unglaublich posi­tiven Ausstrahlung, ich glaube, dass Menschen das empfinden und auch zurückgeben.

An einer Stelle sagt Ben über seine Aufgabe in Bezug auf Simpel: "Ich zeig ihm die Welt."
Lau: Ja, die beiden sind unheimlich wichtig füreinander, Simpel wahrscheinlich noch mehr für Ben als Ben für ihn.

Wer sich in Hamburg auskennt, dem fällt auf, dass die Wege manchmal ungewöhnlich sind, so holt Ben seinen Vater in einem Stadtteil ab und sitzt im nächsten Moment mit ihm im Lokal in einem ganz anderen Stadtteil.
Lau: Wir waren halt sehr lange unterwegs. (Lachen) Und wir wollten unbedingt zu diesem Restaurant! Im Ernst, ich find das nicht schlimm, es ist eben auch Fiktion. Aber es stimmt, wenn man Berlin-Filme guckt, egal welche, ist das immer falsch!
Schüle: Ich habe ja gerade "Berlin Station" ­gedreht (deutsch-amerikanische TV-Serie), und da stimmt alles, bei jeder Verfolgungsjagd. Das zu gucken macht als Berliner schon Spaß. Was auch daran liegt, dass die Stadt wie eine eigene Rolle ist, deshalb sind sie da sehr genau. Es ist aber auch das erste Mal, dass mir das so sehr aufgefallen ist.

Der Film basiert auf dem französischen Roman von Marie-Aude Murail aus dem Jahr 2004, habt ihr den vorher gelesen?
Schüle: Der Roman ist schon ganz anders. Wir haben ihn vorher gelesen, aber ich kannte ihn nicht vor der Einladung zum Casting.
Lau: Der ist sogar Unterrichtsstoff für Französisch, glaub ich. Aber ich hatte ja Latein.

Hätte einen von euch eigentlich auch die Rolle des anderen interessiert?
Kross: Markus Goller, unser Regisseur, hatte mir vor Jahren schon einmal ein Drehbuch geschickt, aber für den Part des älteren Bruders. Dann ist das Ganze wohl im Sande verlaufen. Als er dann später wieder ankam, aber mit der Rolle für Simpel, wollte ich die unbedingt. Und es hat sich total gut gefügt, dass Freddy dazugekommen ist. Sonst wäre das tatsächlich ein ganz anderer Film geworden.
Lau: Richtig Drama, Digger! (Alle lachen)