Von Pferdeküssen und Menschenbissen
Die Vorrunde der Fußball-Weltmeisterschaft ist abgeschlossen. Wir sahen viele Tore, hohes Tempo und eine Menge böser Fouls. Tiki-Taka ist passé, Fußball als Kampf Mann gegen Mann erlebt sein Comeback. Eine sportliche Zwischenbilanz.
Lange Bälle
Sie waren im Fußball lange Zeit verpönt: lange Bälle aus der Abwehr in die Spitze. Europa kultivierte das Kurzpassspiel. Den Ball in den eigenen Reihen zu halten, die Gegner mit Tiki-Taka mürbe zu machen, war das Nonplusltra des Fußballs. Nur im britischen Kick-and-Rush blieb es gute Tradition, den Ball auch mal nach vorne zu dreschen. Ansonsten lautete die Vorgabe: immer schön den Ball flach halten. Jetzt, bei der WM, sind die langen Bälle wieder angesagt (Ausnahme: die deutsche Mannschaft). Das liegt daran, dass die eigentlichen Spielgestalter heute oft in der Innenverteidigung stehen. Defensive wie Hummels oder der Brasilianer Luiz sind dafür zuständig, das Spiel zu eröffnen. Hummels darf nur flach und nicht zu weit passen, höchstens bis zur Mittellinie, so verlangt es Löw vom Dortmunder. Luiz dagegen soll mit hohen und sehr weiten Pässen das Mittelfeld überbrücken, so erwartet es Scolari vom Neu-Pariser. Im Sturm lauern spielstarke Stürmer wie Neymar, Robben, van Persie, Benzema, auf die langen Bälle, die sie locker aus der Luft pflücken. Vielen Teams wie Brasilien fehlen inzwischen erstklassige Regisseure im Mittelfeld (Ausnahme: Deutschland und Kolumbiens James). Und sich mit Kurzpässen durchs Mittelfeld zu wühlen, raubt ihnen in der Hitze zu viele Körner.
Üble Fouls
In der Partie Italien gegen Uruguay (0:1) gab es einen Fußball zu bewundern, der schon ausgestorben schien. Kicken als purer Kampf, Mann gegen Mann, immer mit der Absicht, den Gegenspieler in die Knie zu zwingen. Vermutlich ist bei den vorherigen Weltmeisterschaften genauso häufig gefoult worden wie in Brasilien. Doch neben den (klugen) taktischen Fouls, die den Spielfluss des Gegners unterbrechen sollen, sind zunehmend üble beziehungsweise sehr, sehr üble Fouls zu beobachten. Sie dienen vor allem dazu, die Knochen des Gegners zu brechen. Mördergrätschen von hinten in die Beine, Pferdeküsse (Knie rammt Oberschenkel), Kung-Fu-Tritte (in den Unterleib), Ellbogenschläge auf Nasen und Augenhöhlen, giftige Bisse. Es wird hingelangt, bis kein Gras mehr wächst. Im Spiel Ecuador gegen Frankreich legte sich am Mittwochabend der Stürmer Valencia den Ball so weit vor, dass er ihn nicht mehr erreichen konnte, also sprang er mit durchgestrecktem Bein in den französischen Abwehrspieler, der diese Attacke wie durch ein Wunder überlebte. Es ließen sich Dutzende Beispiele groben Spiels bei dieser WM aufführen. Ecuadors Kapitän Valencia sah für sein Foul die rote Karte. Schreckt sein Platzverweis andere Treter ab? Wohl kaum. In Brasilien ziehen die Spieler in den Zweikämpfen voll durch. Und wenn sie unten nicht treffen, kommt oben der Ellbogen zum Einsatz. Frankreichs Innenverteidiger Sakho streckte Ecuadors Minda mit einem gezielten Ellbogenschlag nieder, Frankreichs Stürmer Giroud traf mit einem Doppelfaustschlag Ecuadors Erazo. Beide Fouls blieben ungeahndet. Nur Beißen hat sich bei der WM vorerst erledigt, nachdem die Fifa Stürmer Suárez aus dem Verkehr gezogen hat. Wegen seines Bisses in den Italiener Chiellini wurde Uruguays Stürmer für neun Spiele gesperrt.
Viele Tore
Zum Erstaunen vieler Experten ist die Trefferquote in Brasilien so hoch wie seit 44 Jahren nicht mehr. Man hatte wegen der Hitze und der hohen Luftfeuchtigkeit mit wenig Toren gerechnet. Tatsächlich sind den ersten 36 Vorrundenspielen schon 108 Tore gefallen - das ist ein Schnitt von drei Toren pro Spiel. Die höchste Quote erreichte laut Nachrichtenagenturen die WM 1958 in Schweden (3,60 Tore pro Partie). Bleibt der Torhunger groß, könnten diesmal insgesamt mehr als 200 Tore fallen, bisher ist die WM 1998 in Frankreich Spitze mit 171 Treffern.
Standard statt Samba
"Drei Ecken, ein Tor", hieß es früher unter Komikern in der Kreisklasse, und obwohl diese Quote viel zu hoch gegriffen ist, erleben auch die Standardsituationen bei der WM eine Renaissance. Sogar Bundestrainer Jogi Löw, im Allgemeinen ein Verächter lang geschlagener Bälle, lässt seine Spieler wieder lange Ecken schlagen. Prompt erzielte Mats Hummels das 2:0 gegen Portugal per Kopf nach einer Ecke. Zur Untermauerung dieser These noch einmal ein bisschen Statistik: Von den ersten 49 Toren des Turniers, so errechneten die Agenturen, fielen 16 nach Ecken, Freistößen oder Elfmetern. Das macht 33 Prozent. Vor vier Jahren in Südafrika waren es nur 25 Prozent.
Hohes Tempo
Wegen der Hitze und der hohen Luftfeuchtigkeit musste man davon ausgehen, dass das Spieltempo in Brasilien niedrig sein würde. Das Gegenteil ist der Fall, einige Mannschaften wie Chile, Ecuador und Uruguay sind einfach nicht kaputt zu laufen, andere setzen auf schnelle Gegenangriffe wie Kolumbien oder die Niederlande. Einer der besten Konterstürmer der WM ist Arjen Robben. Vor dem 5:1 gegen Spanien, seinem zweiten Tor des Spiels, beschleunigte der 30-jährge Bayern-Profi auf 37 Stundenkilometer. Weltrekordhalter Usain Bolt erreicht über 100 Meter 44 Stundenkilometer in der Spitze - allerdings ohne Ball am Fuß.
Drei Mann, eine Kette
Die Umstellung von vier auf drei Verteidiger in der Abwehrkette dürfte Hollands Bondscoach Louis van Gaal womöglich als seinen großen persönlichen WM-Coup verkaufen. Dabei spielen in Brasilien auch Mexiko, Chile , Argentinien oder Costa Rica mit einer Dreierkette in der Defensive, die bei gegnerischem Ballbesitz zu einer Fünferkette aufgestockt wird. Zentrumskontrolle, heißt das Zauberwort aus den Taktikschulen. Da im vergangenen DFB-Pokalfinale Bayern-Trainer Pep Guardiola erstmals eine Dreierkette aufbot (3-4-2-1), dürfte Jogi Löw über eine Umstellung in der deutschen Elf grübeln.
Heimvorteil und Good Bye
Während Lateinamerika groß aufspielte, flogen Europas Fußball-Großmächte Spanien, England und Italien schon in der Vorrunde aus dem Turnier. Viele Stars dürften Abschied nehmen von der großen Bühne. Pirlo, Buffon, Xavi, Casillas, Lampard, Gerrard, Drogba, die Gebrüder Touré. Die WM bringt neue, junge Helden hervor: Hector Herrera aus Mexiko, James aus Kolumbien, Bryan Ruiz aus Costa Rica. Der Brasilianer Neymar, schon im Vorfeld zum Spieler des Turniers auserkoren, hält dem Druck stand und übertrifft so manche Erwartung. Der Argentinier Messi trumpft bei einer WM zum ersten Mal groß auf. Auch ein Deutscher spielte sich in den Vordergrund: Toni Kroos. Futebol is coming home. Schön, dass dieses Turnier erst zur Hälfte rum ist!
Helmut Monkenbusch
Sie waren im Fußball lange Zeit verpönt: lange Bälle aus der Abwehr in die Spitze. Europa kultivierte das Kurzpassspiel. Den Ball in den eigenen Reihen zu halten, die Gegner mit Tiki-Taka mürbe zu machen, war das Nonplusltra des Fußballs. Nur im britischen Kick-and-Rush blieb es gute Tradition, den Ball auch mal nach vorne zu dreschen. Ansonsten lautete die Vorgabe: immer schön den Ball flach halten. Jetzt, bei der WM, sind die langen Bälle wieder angesagt (Ausnahme: die deutsche Mannschaft). Das liegt daran, dass die eigentlichen Spielgestalter heute oft in der Innenverteidigung stehen. Defensive wie Hummels oder der Brasilianer Luiz sind dafür zuständig, das Spiel zu eröffnen. Hummels darf nur flach und nicht zu weit passen, höchstens bis zur Mittellinie, so verlangt es Löw vom Dortmunder. Luiz dagegen soll mit hohen und sehr weiten Pässen das Mittelfeld überbrücken, so erwartet es Scolari vom Neu-Pariser. Im Sturm lauern spielstarke Stürmer wie Neymar, Robben, van Persie, Benzema, auf die langen Bälle, die sie locker aus der Luft pflücken. Vielen Teams wie Brasilien fehlen inzwischen erstklassige Regisseure im Mittelfeld (Ausnahme: Deutschland und Kolumbiens James). Und sich mit Kurzpässen durchs Mittelfeld zu wühlen, raubt ihnen in der Hitze zu viele Körner.
Üble Fouls
In der Partie Italien gegen Uruguay (0:1) gab es einen Fußball zu bewundern, der schon ausgestorben schien. Kicken als purer Kampf, Mann gegen Mann, immer mit der Absicht, den Gegenspieler in die Knie zu zwingen. Vermutlich ist bei den vorherigen Weltmeisterschaften genauso häufig gefoult worden wie in Brasilien. Doch neben den (klugen) taktischen Fouls, die den Spielfluss des Gegners unterbrechen sollen, sind zunehmend üble beziehungsweise sehr, sehr üble Fouls zu beobachten. Sie dienen vor allem dazu, die Knochen des Gegners zu brechen. Mördergrätschen von hinten in die Beine, Pferdeküsse (Knie rammt Oberschenkel), Kung-Fu-Tritte (in den Unterleib), Ellbogenschläge auf Nasen und Augenhöhlen, giftige Bisse. Es wird hingelangt, bis kein Gras mehr wächst. Im Spiel Ecuador gegen Frankreich legte sich am Mittwochabend der Stürmer Valencia den Ball so weit vor, dass er ihn nicht mehr erreichen konnte, also sprang er mit durchgestrecktem Bein in den französischen Abwehrspieler, der diese Attacke wie durch ein Wunder überlebte. Es ließen sich Dutzende Beispiele groben Spiels bei dieser WM aufführen. Ecuadors Kapitän Valencia sah für sein Foul die rote Karte. Schreckt sein Platzverweis andere Treter ab? Wohl kaum. In Brasilien ziehen die Spieler in den Zweikämpfen voll durch. Und wenn sie unten nicht treffen, kommt oben der Ellbogen zum Einsatz. Frankreichs Innenverteidiger Sakho streckte Ecuadors Minda mit einem gezielten Ellbogenschlag nieder, Frankreichs Stürmer Giroud traf mit einem Doppelfaustschlag Ecuadors Erazo. Beide Fouls blieben ungeahndet. Nur Beißen hat sich bei der WM vorerst erledigt, nachdem die Fifa Stürmer Suárez aus dem Verkehr gezogen hat. Wegen seines Bisses in den Italiener Chiellini wurde Uruguays Stürmer für neun Spiele gesperrt.
Viele Tore
Zum Erstaunen vieler Experten ist die Trefferquote in Brasilien so hoch wie seit 44 Jahren nicht mehr. Man hatte wegen der Hitze und der hohen Luftfeuchtigkeit mit wenig Toren gerechnet. Tatsächlich sind den ersten 36 Vorrundenspielen schon 108 Tore gefallen - das ist ein Schnitt von drei Toren pro Spiel. Die höchste Quote erreichte laut Nachrichtenagenturen die WM 1958 in Schweden (3,60 Tore pro Partie). Bleibt der Torhunger groß, könnten diesmal insgesamt mehr als 200 Tore fallen, bisher ist die WM 1998 in Frankreich Spitze mit 171 Treffern.
Standard statt Samba
"Drei Ecken, ein Tor", hieß es früher unter Komikern in der Kreisklasse, und obwohl diese Quote viel zu hoch gegriffen ist, erleben auch die Standardsituationen bei der WM eine Renaissance. Sogar Bundestrainer Jogi Löw, im Allgemeinen ein Verächter lang geschlagener Bälle, lässt seine Spieler wieder lange Ecken schlagen. Prompt erzielte Mats Hummels das 2:0 gegen Portugal per Kopf nach einer Ecke. Zur Untermauerung dieser These noch einmal ein bisschen Statistik: Von den ersten 49 Toren des Turniers, so errechneten die Agenturen, fielen 16 nach Ecken, Freistößen oder Elfmetern. Das macht 33 Prozent. Vor vier Jahren in Südafrika waren es nur 25 Prozent.
Hohes Tempo
Wegen der Hitze und der hohen Luftfeuchtigkeit musste man davon ausgehen, dass das Spieltempo in Brasilien niedrig sein würde. Das Gegenteil ist der Fall, einige Mannschaften wie Chile, Ecuador und Uruguay sind einfach nicht kaputt zu laufen, andere setzen auf schnelle Gegenangriffe wie Kolumbien oder die Niederlande. Einer der besten Konterstürmer der WM ist Arjen Robben. Vor dem 5:1 gegen Spanien, seinem zweiten Tor des Spiels, beschleunigte der 30-jährge Bayern-Profi auf 37 Stundenkilometer. Weltrekordhalter Usain Bolt erreicht über 100 Meter 44 Stundenkilometer in der Spitze - allerdings ohne Ball am Fuß.
Drei Mann, eine Kette
Die Umstellung von vier auf drei Verteidiger in der Abwehrkette dürfte Hollands Bondscoach Louis van Gaal womöglich als seinen großen persönlichen WM-Coup verkaufen. Dabei spielen in Brasilien auch Mexiko, Chile , Argentinien oder Costa Rica mit einer Dreierkette in der Defensive, die bei gegnerischem Ballbesitz zu einer Fünferkette aufgestockt wird. Zentrumskontrolle, heißt das Zauberwort aus den Taktikschulen. Da im vergangenen DFB-Pokalfinale Bayern-Trainer Pep Guardiola erstmals eine Dreierkette aufbot (3-4-2-1), dürfte Jogi Löw über eine Umstellung in der deutschen Elf grübeln.
Heimvorteil und Good Bye
Während Lateinamerika groß aufspielte, flogen Europas Fußball-Großmächte Spanien, England und Italien schon in der Vorrunde aus dem Turnier. Viele Stars dürften Abschied nehmen von der großen Bühne. Pirlo, Buffon, Xavi, Casillas, Lampard, Gerrard, Drogba, die Gebrüder Touré. Die WM bringt neue, junge Helden hervor: Hector Herrera aus Mexiko, James aus Kolumbien, Bryan Ruiz aus Costa Rica. Der Brasilianer Neymar, schon im Vorfeld zum Spieler des Turniers auserkoren, hält dem Druck stand und übertrifft so manche Erwartung. Der Argentinier Messi trumpft bei einer WM zum ersten Mal groß auf. Auch ein Deutscher spielte sich in den Vordergrund: Toni Kroos. Futebol is coming home. Schön, dass dieses Turnier erst zur Hälfte rum ist!
Helmut Monkenbusch