Deutschland ist Geschichte
Als Weltmeister ist man wieder wer in der Weltpolitik. Jetzt, mit dem Pokal in der Hand, ist Deutschland endlich reif für einen ständigen Sitz im Weltsicherheitsrat der Uno, wie ihn Bundespräsident Joachim Gauck seit Langem dringend fordert. Ein Land, dessen Fußball-Auswahl beim 7:1 gegen Brasilien so bescheiden, dabei aber selbstbewusst aufgetreten ist, müsse mehr Verantwortung übernehmen in der Welt, findet Gauck.
Nach dem nervenaufreibenden 1:0-Finalsieg im Maracana-Stadion von Rio de Janeiro suchte der Staatspräsident gemeinsam mit Angela Merkel die Umkleidekabine der deutschen WM-Helden auf, im Schlepptau ein Fotograf des Bundespresseamtes. Das Gruppenbild mit der Mannschaft ging um die Welt. Es zeigt Gauck feixend mit einer Flasche Bier in der Hand.
ARD, Sonntag um 12 Uhr, neun Stunden vor dem Finale. Während im Land das Bangen und Zittern begann, erklärte der "Presseclub" Deutschland bereits zum Weltmeister. In der Talkrunde mit internationalen Journalisten ging es nicht mehr um die richtige Aufstellung oder die taktische Formation der Deutschen, sondern um die historische Einordnung ihres WM-Triumphes. "Die Fußball-WM 1954 stand für den Wiederaufbau", sagte einleitend Moderator Jörg Schönenborn, "die WM 1974 für die offene deutsche Gesellschaft , 1990 für die Wiedervereinigung - und 2014?" Dann schickte er die Pointe gleich hinterher: Sollte unsere Regierung nicht ebenso "bescheiden und charmant, aber auch ehrgeizig und selbstbewusst" auftreten wie unsere deutsche Elf in Brasilien? Steht der vierte Stern womöglich für "Deutschlands neues Selbstbewusstsein"?
Im Spiel der Nationalmannschaft 2014 spiegelten sich "deutsche Tugenden wie Fleiß und Disziplin, kombiniert mit brasilianischer Brillanz und Eleganz", sagte Christoph Schwennicke ("Cicero"). Siege laut und ausgiebig zu feiern, sei im Fußball erlaubt, "aber das Land tut gut daran, politisch zurückhaltend zu bleiben". Sprich: Europa beherrschen, aber dies bitte diskret. Auch die französische Journalistin Cécile Calla ("ParisBerlin") lobte das dezente Verhalten der deutschen Spieler beim 7:1-Kantersieg gegen den Gastgeber, der WM-Sieg sei "gut fürs Image des Landes, mehr aber auch nicht".
Ihre deutsche Kollegin Ines Pohl ("Taz") schleuderte die Metapher vom "Wehrmachtsfußball" in die Runde. Der gehöre der Vergangenheit an, mitsamt seinen "weltmachtsbreitbeinigen" Führungsspielern, die den "Ball ins Tor panzern". Man müsse das moderne Deutschland "als Teamplayer in der Mannschaft Europa" verstehen. Falls Deutschland - ganz bescheiden, aber selbstbewusst - den Titel holt, meinte Pohl, sei auch Schluss mit der Bespitzelung durch die USA. Der Grund: Washington würde in Deutschland endlich einen souveränen Staat sehen - und nicht mehr nur einen Gehilfen. Man stelle sich vor, Mario Götze hätte in der zweiten Halbzeit der Verlängerung nicht das Siegtor erzielt, Deutschland bliebe vielleicht auf ewig ein Brückenkopf der Amerikaner. Wahrlich ein Treffer wie eine Befreiung.
Eine Sendung wie diese sei in Großbritannien unvorstellbar, sagte der Brite Tony Paterson ("The Independent"). Ständig zu fragen, wie kommen wir in der Welt an, sei eine deutsche Marotte und zeuge von nach wie vor mangelndem Selbstbewusstsein. Paterson erbrachte in der für ihn so kuriosen Talkrunde den Beweis: Will man unbedingt Analogien zwischen Fußball und Politik herstellen, sollte dies mit Humor geschehen. Auf die Frage Schönenborns, wofür 2014 denn nun steht, gab er zur Antwort: "Für das beste Deutschland, dass es jemals gegeben hat." Genau zehn Jahre nach seinem Eintritt in den Trainerstab des DFB hat Joachim Löw seine Arbeit mit dem WM-Titel gekrönt. Er hat den deutschen Fußball modernisiert, gegen viele Widerstände im Verband wie in den Vereinen.
Seine jungen Mannschaften spielten erst britischen One-Touch-Fußball (WM 2006), dann mitreißenden Konterfußball (WM 2010), später spanischen Ballbesitzfußball (EM 2012) - jetzt beherrschen sie alle Varianten, schalten ganz pragmatisch auch mal einen Gang runter und treffen sogar aus Standardsituationen. Löw hat eine großartige Mannschaft gebaut aus dem talentierten Trio Lahm, Schweinsteiger und Podolski und der Goldenen Generation der U21-Europameister von 2009 mit Neuer, Boateng, Höwedes, Hummels, Khedira und Özil.
Am Dienstag werden sie in Berlin mit Hunderttausenden Fans den Titel feiern. Ganz souverän - und ohne falsche Bescheidenheit!
Helmut Monkenbusch
ARD, Sonntag um 12 Uhr, neun Stunden vor dem Finale. Während im Land das Bangen und Zittern begann, erklärte der "Presseclub" Deutschland bereits zum Weltmeister. In der Talkrunde mit internationalen Journalisten ging es nicht mehr um die richtige Aufstellung oder die taktische Formation der Deutschen, sondern um die historische Einordnung ihres WM-Triumphes. "Die Fußball-WM 1954 stand für den Wiederaufbau", sagte einleitend Moderator Jörg Schönenborn, "die WM 1974 für die offene deutsche Gesellschaft , 1990 für die Wiedervereinigung - und 2014?" Dann schickte er die Pointe gleich hinterher: Sollte unsere Regierung nicht ebenso "bescheiden und charmant, aber auch ehrgeizig und selbstbewusst" auftreten wie unsere deutsche Elf in Brasilien? Steht der vierte Stern womöglich für "Deutschlands neues Selbstbewusstsein"?
Im Spiel der Nationalmannschaft 2014 spiegelten sich "deutsche Tugenden wie Fleiß und Disziplin, kombiniert mit brasilianischer Brillanz und Eleganz", sagte Christoph Schwennicke ("Cicero"). Siege laut und ausgiebig zu feiern, sei im Fußball erlaubt, "aber das Land tut gut daran, politisch zurückhaltend zu bleiben". Sprich: Europa beherrschen, aber dies bitte diskret. Auch die französische Journalistin Cécile Calla ("ParisBerlin") lobte das dezente Verhalten der deutschen Spieler beim 7:1-Kantersieg gegen den Gastgeber, der WM-Sieg sei "gut fürs Image des Landes, mehr aber auch nicht".
Ihre deutsche Kollegin Ines Pohl ("Taz") schleuderte die Metapher vom "Wehrmachtsfußball" in die Runde. Der gehöre der Vergangenheit an, mitsamt seinen "weltmachtsbreitbeinigen" Führungsspielern, die den "Ball ins Tor panzern". Man müsse das moderne Deutschland "als Teamplayer in der Mannschaft Europa" verstehen. Falls Deutschland - ganz bescheiden, aber selbstbewusst - den Titel holt, meinte Pohl, sei auch Schluss mit der Bespitzelung durch die USA. Der Grund: Washington würde in Deutschland endlich einen souveränen Staat sehen - und nicht mehr nur einen Gehilfen. Man stelle sich vor, Mario Götze hätte in der zweiten Halbzeit der Verlängerung nicht das Siegtor erzielt, Deutschland bliebe vielleicht auf ewig ein Brückenkopf der Amerikaner. Wahrlich ein Treffer wie eine Befreiung.
Eine Sendung wie diese sei in Großbritannien unvorstellbar, sagte der Brite Tony Paterson ("The Independent"). Ständig zu fragen, wie kommen wir in der Welt an, sei eine deutsche Marotte und zeuge von nach wie vor mangelndem Selbstbewusstsein. Paterson erbrachte in der für ihn so kuriosen Talkrunde den Beweis: Will man unbedingt Analogien zwischen Fußball und Politik herstellen, sollte dies mit Humor geschehen. Auf die Frage Schönenborns, wofür 2014 denn nun steht, gab er zur Antwort: "Für das beste Deutschland, dass es jemals gegeben hat." Genau zehn Jahre nach seinem Eintritt in den Trainerstab des DFB hat Joachim Löw seine Arbeit mit dem WM-Titel gekrönt. Er hat den deutschen Fußball modernisiert, gegen viele Widerstände im Verband wie in den Vereinen.
Seine jungen Mannschaften spielten erst britischen One-Touch-Fußball (WM 2006), dann mitreißenden Konterfußball (WM 2010), später spanischen Ballbesitzfußball (EM 2012) - jetzt beherrschen sie alle Varianten, schalten ganz pragmatisch auch mal einen Gang runter und treffen sogar aus Standardsituationen. Löw hat eine großartige Mannschaft gebaut aus dem talentierten Trio Lahm, Schweinsteiger und Podolski und der Goldenen Generation der U21-Europameister von 2009 mit Neuer, Boateng, Höwedes, Hummels, Khedira und Özil.
Am Dienstag werden sie in Berlin mit Hunderttausenden Fans den Titel feiern. Ganz souverän - und ohne falsche Bescheidenheit!
Helmut Monkenbusch