(TV-News, 6.9.2012) "Man sieht nichts, was baumelt", kommentierte Christoph Maria Herbst ("Stromberg") gestern Abend in Hamburg bei einer Preview gewohnt trocken seine Nacktszene. In "Kreutzer kommt...ins Krankenhaus" klärt Herbst als genial-schräger Ermittler einen Mord auf. Schauplatz ist eine Klinik, in der eine Pharmavertreterin ihren Körper für Onkel-Doktor-Spiele zur Verfügung stellt, damit die Ärzte an Patienten illegale Medikamententests durchführen. Klar, dass Julia Dietze als enthemmte, geld- und sexgeile Göre bei Kreutzer auf Granit beißt, als sie ihm mit dem Mund ein Kondom überstreift.

Der zweite Kreutzer-Krimi strotzt vor skurrilen Einfällen und makabren Scherzen. Da kullern schon mal schockgefrorerene Schweineaugen über den Krankenhausflur, als der Bote mit der Fracht für die Anatomiestudenten auf seinem Skateboard gegen eine Tür knallt. Und wann hat man schon mal in einem deutschen Film das Bein eines in der Tiefgarage frisch überfahrenen Unfallopfers so rhythmisch im Takt zucken sehen? Die musikalische Früherziehung trägt Früchte, würde der Zyniker Stromberg wahrscheinlich dazu sagen.

Der neue "Kreutzer" profitiert auch davon, dass Herbst mit Christina Hecke eine ebenbürtige Antagonistin gegenübersteht, die genauso schnell im Kopf und so flink mit der Zunge ist wie der Kommissar. Die Berlinerin hat eine Härte und Souveränität, die manchmal an die Frankfurter "Tatort"-Kommissarin Nina Kunzendorf erinnert. Diese Frau würden wir gern öfter im TV sehen.

Drehbuchautor Christian Jeltsch, dem wir mit "Polizeiruf 110: Denn sie wissen nicht, was sie tun" den vielleicht besten Krimi des vergangenen Jahres verdanken, rettet die Ehre seiner Zunft. Dialoge und Dramaturgie sind von einer Raffinesse, wie man sie sonst nur von BBC- und HBO-Serien kennt. Der Look ist nicht immer ganz so brillant, was an dem kleineren Budget liegt, aber Regisseur Richard Huber hat die Szenen so klug geschnitten, dass es in Anbetracht der Erklärungswut im 08/15-TV-Film nichts weniger als radikal wirkt. Huber richtet sich an den intelligenten, an Serien wie "Damages" geschulten Zuschauer, dem man das, was man sieht, nicht auch noch zusätzlich durch einen tautologischen Off-Kommentar erzählen muss.

Der Preis für dieses Vertrauen in die Zuschauer-Kompetenz: Dieser Film erlaubt keine Pinkel-Pause. Man muss ganz genau hingucken, sonst versteht man nur die Hälfte. Und das wäre diesmal, anders als bei Talkshows, wirklich ein Verlust.

Auch wenn Pro-Sieben bislang nur alle zwei Jahre einen "Kreuzter"-Krimi zeigt, weiß der Sender, was er an Christoph Maria Herbst hat. Der Schauspieler erhielt gleich zwei Geschenke von seinem Arbeitgeber: grüne Plastikschuhe, wie er sie in seiner Rolle als Kreutzer im Krankenhaus trägt. Und einen Organspendeausweis.

"Ich stelle alle meine Organe zur Verfügung", sagte ein quicklebendiger Christoph Maria Herbst, "und schaue mir das Ganze, wenn die Transplantation ansteht, vermutlich aus einer Hubschrauber-Perspektive an." Vorher würden wir ihn allerdings gern noch in dem geplanten "Stromberg"-Kinofilm sehen, der hoffentlich 2013 gedreht wird.

Rainer Unruh

Kreutzer kommt...in die Klinik
SA 20.10. Pro Sieben 20.15 Uhr