Alter macht weise, aber es gibt auch Ausnahmen. Die beiden zankenden Alten aus der Muppet-Show sind so ein Fall, die beiden FDP-Veteranen Gerhart Baum und Burkhard Hirsch, zusammen 170 Jahre alt, ein weiterer. In der "Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung" forderten die Polit-Oldies, die ARD solle auf die für den 17. Oktober geplante Ausstrahlung des Films "Terror" nach Ferdinand von Schirachs Theaterstück verzichten. Der Grund: Das Werk könne die Zuschauer auf verfassungsfeindliche Gedanken bringen. Aber das kann jeder Krimi auch. Und: Ist eine solche Zensur der Verfassung nicht viel abträglicher als das Angebot an den mündigen Zuschauer, seine Haltung zum Umgang mit Terror anhand des TV-Films zu überdenken und mit anderen zu diskutieren? ARD-Programmdirektor Volker Herres hält jedenfalls an dem Ausstrahlungstermin fest.

Eines wurde beim Besuch der "Terror"-Dreharbeiten jedenfalls schon mal deutlich: Alle Beteiligten geben sich die größte Mühe, keine der beiden Seiten im Prozess zu bevorzugen. Lars Eidinger, der als Anwalt den Piloten verteidigt, der die von einem Terroristen gekaperte Maschine abgeschossen hat, wird nicht sympathischer oder unsympathischer dargestellt als die von Martina Gedeck gespielte Staatsanwältin.

Am Set in Berlin

Kaum betritt man den Raum, wird schlagartig klar: Hier hält man sich nicht mit Kleinigkeiten auf, hier werden die ganz großen Fragen von Recht, Moral und Politik gestellt. Statt der üblichen Holzbänke und -stühle stehen in diesem Gerichtssaal kühl-minimalistische Möbel in dunklem Grau. Der Vorsitzende Richter und die Schöffen thronen weit entrückt vom Angeklagten auf einem Podest. Hinter ihnen blickt man durch ein riesiges Fenster auf den Reichstag.

Das Gericht, das im Studio Berlin-Adlershof aufgebaut wurde, ist einer der größten Sets, die jemals für einen TV-Film in Deutschland errichtet wurden. Die Decke hängt voller Lampen und Schirme, am Boden sind Schienen für Kamerafahrten verlegt. Der Aufwand ist enorm. Die Erwartungen sind es auch. Für die ARD und ihre Produktionsfirma Degeto ist die Verfilmung von Ferdinand von Schirachs Theaterstück "Terror" das Fernsehereignis des Jahres.

Es ist auch ein Test, was das Medium zu leisten vermag. Kann Fernsehen über die Unterhaltung und Zerstreuung hinaus eine gesellschaftspolitisch relevante Diskussion anstoßen, wie es sich ARD-Programmdirektor Volker Herres bei einem Werkstattgespräch in Berlin-Adlershof wünschte?

Ferdinand von Schirach bringt in "Terror" eine Gerichtsverhandlung auf die Bühne. Ein Major der Luftwaffe ist angeklagt, weil er eigenmächtig ein entführtes Passagierflugzeug abgeschossen hat. Der Terrorist an Bord hatte gedroht, die Maschine in der mit 70 000 Zuschauern besetzten Münchner Allianz Arena zur Explosion zu bringen. Die Rakete eines Abfangjägers vereitelte diesen Plan, führte aber zum Tod aller 164 Insassen.

Ist der Offizier ein Held oder ein Mörder? Das entscheiden allein die Zuschauer. Im Theater wie im Film. Gezeigt wird nur das Ende, das sich die Mehrheit wünscht: entweder die Verurteilung oder den Freispruch.

Produzent Oliver Berben hatte schon die Absicht, das Theaterstück zu verfilmen, als es noch gar nicht fertig war. Der Autor hatte ihm bei einem Spaziergang über den Ku'damm von seinem Projekt berichtet.

"Mir war sofort klar, dass man daraus mehr als einen normalen Fernsehfilm machen kann", sagt Berben. "Als ich das Manuskript erhielt, hat sich das bestätigt."

Man kann sich leicht vorstellen, wie ein gewöhnlicher TV-Film ausgesehen hätte: Großaufnahmen der Gesichter verängstigter Passagiere im Flugzeug, im Gegenschnitt dann ein Vater, der mit seinem kleinen Sohn im Stadion ahnungslos die Fußballer anfeuert. Genau das wollte Berben nicht. Schon bei "Verbrechen", der ZDF-Miniserie nach Ferdinand von Schirach, hatte er sich gegen eine konventionelle Bebilderung der Handlung entschieden. Stattdessen bereicherte er die realistischen Aufnahmen um technosurrealistische Einsprengsel von durch den Raum schwirrenden Tatwaffen.

Diesmal wählte er den umgekehrten, aber ebenso unorthodoxen Weg. Die Filmadaption von "Terror" wirkt puristisch und klar. Zwar wurde der Text gegenüber der Theaterfassung geändert. Und auch die Inszenierung nutzt das reichere Repertoire des Fernsehens im Vergleich zur Bühne. Aber die grundsätzliche Haltung Ferdinand von Schirachs gegenüber den Figuren seines Stücks blieb gleich. Und die heißt Neutralität.

Es gibt im Film nur einen Raum, in dem sich die Schauspieler zudem kaum bewegen. Und damit der Zuschauer am Ende möglichst vorurteilsfrei abstimmt, darf keiner der Anwesenden in ein günstiges oder schlechtes Licht gerückt werden.

"All die Mittel, derer wir uns beim Film normalerweise bedienen, um eine Figur sympathisch oder unsympathisch erscheinen zu lassen, waren tabu", sagt Kameramann Jens Harant.

Teilweise wurde gleichzeitig mit drei Kameras gedreht, um in kurzer Zeit möglichst viele unterschiedliche Ansichten eines Schauspielers zu erhalten. Normalerweise filmt man so etwas hintereinander. Aber da die Darsteller bis zu zehn Minuten am Stück reden, wollte man ihnen die anstrengenden Wiederholungen ersparen.

Beim Setbesuch konnte man sich einen Eindruck davon verschaffen, was den Stars abverlangt wird. Selbst ein Lars Eidinger, für viele der beste Schauspieler seiner Generation, verhaspelte sich am späten Nachmittag während seines Plädoyers als Anwalt und verwechselte bei einem historischen Vergleich das Jahr 1841 mit 1848.

Visuelles Neuland

Eine Besonderheit des Films sind die Kamerafahrten, die den Gerichtssaal von oben zeigen. Auf dem Monitor von Regisseur Lars Kraume ("Der Staat gegen Fritz Bauer") kann man sehen, wie dieser Perspektivwechsel den Raum noch weiter aufzieht. Das Geschehen wird durch die Äquidistanz zu den Figuren im Gerichtssaal objektiviert. Es ist, als ob Justitia selbst von oben auf den Prozess hinabschaut.

Hier zeigt sich, wie sehr "Terror" visuelles Neuland betritt. "Die zwölf Geschworenen" (1957), einer der großen Klassiker des Justizdramas, hat eine vergleichbare Ausgangsposition, spielt sich das Geschehen doch auch in einem Raum ab. Doch Sydney Lumet macht genau das Gegenteil von Lars Kraume. Er sperrt die Geschworenen in einem Zimmer ein und nutzt die Reibungsenergie, die aus dem Zusammentreffen gegensätzlicher Charaktere resultiert, um die Emotionen zum Kochen zu bringen. Dagegen hat Szenenbildner Olaf Schiefner für "Terror" etwas geschaffen, das er selbst einen "kühlen Rahmen" nennt. Es ist der Ort für ein Experiment. Deshalb ist auch der unrealistische Blick auf den Reichstag zulässig.

Die Hauptlast des Stücks tragen die Schauspieler. Stars wie Martina Gedeck als Staatsanwältin. Sie müssen den Text mit Leben füllen. Die Technik ist nur Hilfsmittel. So erklärt sich auch das Grau der Möbel im Saal. Es stellt sicher, dass die Haut der Darsteller die hellste Farbe im Bild ist.

Die schaffen das, ist der erste Eindruck vom Dreh. Vor allem Burghart Klaußner als Richter ist phänomenal. Schön, dass man als Zuschauer ein so großartiges Sprachrohr hat.

"Terror" auf allen Kanälen

Ferdinand von Schirachs Stück ist der Renner auf der Bühne. In Deutschland haben bereits in 38 Theatern weit mehr als 100 000 Besucher abgestimmt, eine Mehrheit plädiert für Freispruch (Ergebnisse: terror.theater). Als Nächstes kommt das Kino dran. Voraussichtlich Anfang Oktober wird der TV-Film in über 100 ausgewählten Sälen gezeigt.

Am 17. Oktober erfolgt dann die Fernsehpremiere um 20.15 Uhr, und zwar zeitgleich in Deutschland (ARD), Österreich und der Schweiz.

Über Telefon und Internet können die Zuschauer ähnlich wie beim Eurovision Song Contest abstimmen, ob der Angeklagte verurteilt oder freigesprochen werden soll. Anschließend wird in allen drei Ländern das Ergebnis im TV diskutiert, in Deutschland moderiert Frank Plasberg eine Expertenrunde. In Schaltungen zwischen den Studios sollen Besonderheiten der Abstimmung in den jeweiligen Ländern erörtert werden. Und wer immer noch nicht genug hat, kann ab 10. Oktober beim Hörverlag das Hörspiel zum Film erwerben.

Mehr von Schirach gibt es im Dezember, dann zeigt die ARD die bereits angekündigte, aber verschobene Verfilmung der Kurzgeschichte "Der Äthiopier" mit Jürgen Vogel in der Hauptrolle. 2017 kommen vier weitere Verfilmungen aus dem Erzählband "Schuld" ins Fernsehen. Außerdem will Regisseur Detlev Buck in Babelsberg die Geschichte "Gorillas" verfilmen.

R. Unruh