Diesem "Terror" kann man kaum entkommen. Noch nie wurde für einen TV-Film im Ersten eine vergleichbare multimediale Kampagne gestartet. Bereits am 14. Oktober, drei Tage vor der Fernsehausstrahlung (auch in ORF und SRF 2), wird die Verfilmung des Theaterstücks von Ferdinand von Schirach in rund hundert Kinos in Deutschland zu sehen sein. Ausgewählte Radiostationen übertragen live die Debatten in den jeweiligen Kinosälen. Die ARD selbst bietet auf www.daserste.de/terror zahlreiche Infos zum Hintergrund des Stücks.
Unser Reporter Rainer Unruh sprach mit Autor Ferdinad von Schirach über sein Stück, in dem ein Kampfjetpilot angeklagt wird, weil er eine Passagiermaschine abgeschossen hat, die ein Terrorist in ein voll besetztes Stadion lenken wollte.
Unser Reporter Rainer Unruh sprach mit Autor Ferdinad von Schirach über sein Stück, in dem ein Kampfjetpilot angeklagt wird, weil er eine Passagiermaschine abgeschossen hat, die ein Terrorist in ein voll besetztes Stadion lenken wollte.
Lesetipp
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Was war für Sie der ursprüngliche Impuls, sich mit dem Thema Terror zu beschäftigen?
Ferdinand von Schirach Ursprünglich wollte ich für den "Spiegel" einen Essay über Terrorismus schreiben. Aber es wurde zu komplex. Es funktionierte einfach besser, wenn ich mit jemandem darüber sprach. Sehen Sie, ein Problem des Journalismus ist, dass Texte kaum je zu einem Gespräch führen. Es wird zwar in den Zeitungen immer von Debatten gesprochen, aber tatsächlich sind es nur drei, vier Journalisten, die etwas über ein Thema schreiben. Das ist kein Gespräch. Es verändert nichts. Demokratie aber braucht die Diskussion, es ist ihr Wesen.
Anders als bei vielen anderen Stücken steht bei Ihnen die Sache und weniger die Form der Inszenierung im Vordergrund.
Sie haben recht, es ist kein Stück für das Regietheater. Das Stück ist ziemlich robust, weil es um Ideen geht. Die Helden des Stücks sind nicht der Angeklagte, der Verteidiger, die Staatsanwältin oder der Richter. Im Gegenteil. Umso besser die Schauspieler sind, umso mehr treten sie hinter ihre Rolle zurück. Auch ich als Autor verschwinde ganz. Als Helden bleiben dann, wenn man so will, nur das Recht und die Moral übrig. Das ist das Ziel. Die Zuschauer abstrahieren von den Schauspielern. Sie unterhalten sich nicht darüber, wer an dem Abend besonders gut gepielt hat, sondern darüber, was der Verteidiger gesagt hat und ob das richtig sein kann.
Ist Schillers "die Schaubühne als eine moralische Anstalt betrachtet" für Sie ein Vorbild?
Ich bin kein Pastor und kein Lehrer, der moralische Zeigefinger ist mir fremd und unangenehm. Ich stelle nur Fragen. Die Antworten gibt sich das Publikum selbst.
Deshalb auch die zwei Enden des Stücks, je nachdem, wie das Publikum entscheidet?
Ja, auch weil wir alle uns intensiver mit einer Sache beschäftigen, wenn wir wissen, dass wir eine Entscheidung treffen müssen. Wir wollen die Dinge richtig machen. In einer der Premieren stellte die Staatsanwältin eine Frage, und ein Zuschauer rief aus dem Publikum: "Die Frage ist unzulässig!" Natürlich wissen die Besucher, dass sie im Theater sind, aber sie nehmen ihre Rolle als Schöffen ernst.
Der Terrorist im Film und im Stück stellt keine Forderungen. Er will nur töten, sich selbst und möglichst viele andere. Liegt da nicht die Reaktion nahe, auf die Gewalt des Terroristen mit Gewalt des Staats zu reagieren?
Es ist wie immer im Leben: Auch wenn etwas naheliegt, muss es nicht richtig sein. Bereits Thomas Hobbes (1588-1679) sagte, der Feind der Gesellschaft sei "vogelfrei". Er habe keinen Rechtsschutz, wir dürften ihn töten. Der Bonner Strafrechtler Günther Jakobs hat diese Position 1985 in einem Aufsatz wieder aufgegriffen. Seine Grundidee: Das Recht muss in Bürgerstrafrecht und Feindstrafrecht geteilt werden. Das Feindstrafrecht richtet sich unter anderem gegen Terroristen, die nicht nur einzelne Gesetze missachten, sondern den Rechtsstaat insgesamt zerstören wollen. Ich halte diese Ideen für vollkommen falsch. Die Wehrhaftigkeit des Rechtsstaats zeigt sich gerade darin, dass sie den Feinden des Rechts mit den Mitteln des Rechts begegnet.
Ferdinand von Schirach Ursprünglich wollte ich für den "Spiegel" einen Essay über Terrorismus schreiben. Aber es wurde zu komplex. Es funktionierte einfach besser, wenn ich mit jemandem darüber sprach. Sehen Sie, ein Problem des Journalismus ist, dass Texte kaum je zu einem Gespräch führen. Es wird zwar in den Zeitungen immer von Debatten gesprochen, aber tatsächlich sind es nur drei, vier Journalisten, die etwas über ein Thema schreiben. Das ist kein Gespräch. Es verändert nichts. Demokratie aber braucht die Diskussion, es ist ihr Wesen.
Anders als bei vielen anderen Stücken steht bei Ihnen die Sache und weniger die Form der Inszenierung im Vordergrund.
Sie haben recht, es ist kein Stück für das Regietheater. Das Stück ist ziemlich robust, weil es um Ideen geht. Die Helden des Stücks sind nicht der Angeklagte, der Verteidiger, die Staatsanwältin oder der Richter. Im Gegenteil. Umso besser die Schauspieler sind, umso mehr treten sie hinter ihre Rolle zurück. Auch ich als Autor verschwinde ganz. Als Helden bleiben dann, wenn man so will, nur das Recht und die Moral übrig. Das ist das Ziel. Die Zuschauer abstrahieren von den Schauspielern. Sie unterhalten sich nicht darüber, wer an dem Abend besonders gut gepielt hat, sondern darüber, was der Verteidiger gesagt hat und ob das richtig sein kann.
Ist Schillers "die Schaubühne als eine moralische Anstalt betrachtet" für Sie ein Vorbild?
Ich bin kein Pastor und kein Lehrer, der moralische Zeigefinger ist mir fremd und unangenehm. Ich stelle nur Fragen. Die Antworten gibt sich das Publikum selbst.
Deshalb auch die zwei Enden des Stücks, je nachdem, wie das Publikum entscheidet?
Ja, auch weil wir alle uns intensiver mit einer Sache beschäftigen, wenn wir wissen, dass wir eine Entscheidung treffen müssen. Wir wollen die Dinge richtig machen. In einer der Premieren stellte die Staatsanwältin eine Frage, und ein Zuschauer rief aus dem Publikum: "Die Frage ist unzulässig!" Natürlich wissen die Besucher, dass sie im Theater sind, aber sie nehmen ihre Rolle als Schöffen ernst.
Der Terrorist im Film und im Stück stellt keine Forderungen. Er will nur töten, sich selbst und möglichst viele andere. Liegt da nicht die Reaktion nahe, auf die Gewalt des Terroristen mit Gewalt des Staats zu reagieren?
Es ist wie immer im Leben: Auch wenn etwas naheliegt, muss es nicht richtig sein. Bereits Thomas Hobbes (1588-1679) sagte, der Feind der Gesellschaft sei "vogelfrei". Er habe keinen Rechtsschutz, wir dürften ihn töten. Der Bonner Strafrechtler Günther Jakobs hat diese Position 1985 in einem Aufsatz wieder aufgegriffen. Seine Grundidee: Das Recht muss in Bürgerstrafrecht und Feindstrafrecht geteilt werden. Das Feindstrafrecht richtet sich unter anderem gegen Terroristen, die nicht nur einzelne Gesetze missachten, sondern den Rechtsstaat insgesamt zerstören wollen. Ich halte diese Ideen für vollkommen falsch. Die Wehrhaftigkeit des Rechtsstaats zeigt sich gerade darin, dass sie den Feinden des Rechts mit den Mitteln des Rechts begegnet.
Ist das nicht eine Kapitulation?
Es ist das Gegenteil. Nicht der Terrorismus verändert die Gesellschaft, das tun wir selbst. Anschläge sind furchtbar, Menschen werden getötet und verletzt. Aber es geht um unsere Reaktion darauf. Die Frage ist, wie wir mit dem Terrorismus als Gesellschaft leben wollen. Nach jedem Anschlag erklärt der Innenminister im Fernsehen, wir müssten die Gesetze verschärfen. Das ist die indirekte Wirkung des Terrorismus, sie bedroht unsere Freiheit, sie bedroht unsere Art zu leben. Und wir, die Bürger dieser Demokratie, müssen uns fragen, ob und in welchem Umfang wir das wollen. Wir müssen uns darüber klar werden, was passiert, wenn wir bei der Bekämpfung des Terrorismus rechtsstaatliche Prinzipien missachten. Diese Fragen stellen das Stück und der Film.
Wir erleben es ja seit einigen Jahren in den USA, wo unter dem Stichwort "Krieg gegen den Terrorismus" vermeintlichen Terroristen elementare Rechte vorenthalten werden, weil sie weder die Rechte von Kriminellen noch die von Kriegsgefangenen erhalten.
Das Kriegsrecht diente ursprünglich dem Schutz der Zivilbevölkerung, auch indem es den Krieg auf bestimmte Regionen begrenzte. Die Tötung von Terroristen mit Drohnen in irgendeinem Dorf, in dem gar kein Kriegsrecht gilt, macht den Krieg im Prinzip grenzenlos. Die ganze Welt wird zum Kriegsgebiet. Das bedeutet aber auch entsprechend geringeren Schutz für die Bürger. Im Krieg brauchen Sie den Feind nicht zu verhaften und über seine Rechte aufzuklären, Sie können ihn sofort erschießen. Und Sie können dann ein Kollateralschaden sein. Diese Entwicklung ist extrem gefährlich.
Terroristen sind Menschen, die ohne Legitimation Unschuldige töten. Just dies trifft auch auf den angeklagten Piloten zu, der die Verkehrsmaschine abschießt...
Deshalb ist er zu verurteilen. Auf der anderen Seite, und das macht die Sache für uns schwierig, kennen wir den Helden aus der griechischen Sage: Er rettet Leben - und opfert sich dafür selbst. Es gibt aber nur den tragischen, den schuldigen Helden, nie den glücklichen. In unserem Fall hieße das: Abschuss und lebenslänglich ins Gefängnis. Das wäre eine Haltung, die ich nachvollziehen kann. Aber die Maschine abzuschießen und sich im Recht zu glauben, ist falsch.
Die Entscheidung zwischen Gefängnis oder Freispruch trifft ja nicht der Pilot, sondern das Gericht.
Es geht um die Art und Weise, wie sich der Pilot verteidigt. Er erklärt, er sei im Recht. Er will seine Handlung zum allgemeinen Gesetz erheben. Denken Sie an den Polizisten Daschner, der dem Mörder Gäfgen Folter androhte (Magnus Gäfgen entführte und tötete 2003 den elfjährigen Jakob von Metzler). Wir alle konnten verstehen, dass Daschner so das Leben des Jungen retten wollte - der in Wahrheit längst tot war. Sein Impuls war menschlich. Aber er handelte, wie der Pilot, nicht als Privatperson, sondern als Polizist, als Teil des Staats. Deshalb war es falsch, dass er vor Gericht behauptete, er habe das Richtige getan. Er tat das Gegenteil. Er verstieß gegen die Gesetze, gegen die Grundlage unserer Gesellschaft. Es war ein Verfassungsbruch und ein Bruch mit unserer Zivilisation. Wenn wir Folter zulassen, geben wir auf, was uns ausmacht. Ebenso bei dem Piloten. Er ist kein Held. Wenn wir ihm folgen, verraten wir uns selbst.
Stellen wir uns einmal vor, der Abschuss hätte wirklich stattgefunden: Wäre dann die öffentliche Diskussion um das Für und Wider nicht ausreichend, um zu verhindern, dass man solche Taten achselzuckend hinnimmt?
Versetzen Sie sich für einen Moment in die Position der Bundeswehr: Wenn der Pilot freigesprochen würde, nachdem er eine Maschine abgeschossen hat, würde im nächsten vergleichbaren Fall das Zögern wesentlich kürzer ausfallen.
Es ist das Gegenteil. Nicht der Terrorismus verändert die Gesellschaft, das tun wir selbst. Anschläge sind furchtbar, Menschen werden getötet und verletzt. Aber es geht um unsere Reaktion darauf. Die Frage ist, wie wir mit dem Terrorismus als Gesellschaft leben wollen. Nach jedem Anschlag erklärt der Innenminister im Fernsehen, wir müssten die Gesetze verschärfen. Das ist die indirekte Wirkung des Terrorismus, sie bedroht unsere Freiheit, sie bedroht unsere Art zu leben. Und wir, die Bürger dieser Demokratie, müssen uns fragen, ob und in welchem Umfang wir das wollen. Wir müssen uns darüber klar werden, was passiert, wenn wir bei der Bekämpfung des Terrorismus rechtsstaatliche Prinzipien missachten. Diese Fragen stellen das Stück und der Film.
Wir erleben es ja seit einigen Jahren in den USA, wo unter dem Stichwort "Krieg gegen den Terrorismus" vermeintlichen Terroristen elementare Rechte vorenthalten werden, weil sie weder die Rechte von Kriminellen noch die von Kriegsgefangenen erhalten.
Das Kriegsrecht diente ursprünglich dem Schutz der Zivilbevölkerung, auch indem es den Krieg auf bestimmte Regionen begrenzte. Die Tötung von Terroristen mit Drohnen in irgendeinem Dorf, in dem gar kein Kriegsrecht gilt, macht den Krieg im Prinzip grenzenlos. Die ganze Welt wird zum Kriegsgebiet. Das bedeutet aber auch entsprechend geringeren Schutz für die Bürger. Im Krieg brauchen Sie den Feind nicht zu verhaften und über seine Rechte aufzuklären, Sie können ihn sofort erschießen. Und Sie können dann ein Kollateralschaden sein. Diese Entwicklung ist extrem gefährlich.
Terroristen sind Menschen, die ohne Legitimation Unschuldige töten. Just dies trifft auch auf den angeklagten Piloten zu, der die Verkehrsmaschine abschießt...
Deshalb ist er zu verurteilen. Auf der anderen Seite, und das macht die Sache für uns schwierig, kennen wir den Helden aus der griechischen Sage: Er rettet Leben - und opfert sich dafür selbst. Es gibt aber nur den tragischen, den schuldigen Helden, nie den glücklichen. In unserem Fall hieße das: Abschuss und lebenslänglich ins Gefängnis. Das wäre eine Haltung, die ich nachvollziehen kann. Aber die Maschine abzuschießen und sich im Recht zu glauben, ist falsch.
Die Entscheidung zwischen Gefängnis oder Freispruch trifft ja nicht der Pilot, sondern das Gericht.
Es geht um die Art und Weise, wie sich der Pilot verteidigt. Er erklärt, er sei im Recht. Er will seine Handlung zum allgemeinen Gesetz erheben. Denken Sie an den Polizisten Daschner, der dem Mörder Gäfgen Folter androhte (Magnus Gäfgen entführte und tötete 2003 den elfjährigen Jakob von Metzler). Wir alle konnten verstehen, dass Daschner so das Leben des Jungen retten wollte - der in Wahrheit längst tot war. Sein Impuls war menschlich. Aber er handelte, wie der Pilot, nicht als Privatperson, sondern als Polizist, als Teil des Staats. Deshalb war es falsch, dass er vor Gericht behauptete, er habe das Richtige getan. Er tat das Gegenteil. Er verstieß gegen die Gesetze, gegen die Grundlage unserer Gesellschaft. Es war ein Verfassungsbruch und ein Bruch mit unserer Zivilisation. Wenn wir Folter zulassen, geben wir auf, was uns ausmacht. Ebenso bei dem Piloten. Er ist kein Held. Wenn wir ihm folgen, verraten wir uns selbst.
Stellen wir uns einmal vor, der Abschuss hätte wirklich stattgefunden: Wäre dann die öffentliche Diskussion um das Für und Wider nicht ausreichend, um zu verhindern, dass man solche Taten achselzuckend hinnimmt?
Versetzen Sie sich für einen Moment in die Position der Bundeswehr: Wenn der Pilot freigesprochen würde, nachdem er eine Maschine abgeschossen hat, würde im nächsten vergleichbaren Fall das Zögern wesentlich kürzer ausfallen.
Nun gibt es ja demokratische Staaten wie Großbritannien und die USA, die den Abschuss einer entführten Maschine als richtig und rechtens ansehen. Warum?
Im angloamerikanischen Recht spielt der Begriff der Würde keine so herausragende Rolle. Dort ist man stärker am Utilitarismus orientiert, an einer Kosten-Nutzen-Abwägung, also daran, das "kleinere Übel" vorzuziehen. Aber natürlich sind die US-Juristen nicht so naiv, allein den Abschuss zu betrachten. Sie würden auch die Folgen eines Freispruchs auf die Gesellschaft abwägen. Dann würden sie vielleicht zu ähnlichen Einschätzungen wie wir kommen, weil die Erschütterung des Rechtssystems durch einen Freispruch ebenfalls ein Übel ist. Schauen Sie sich die anderen Länder an, in denen das Theaterstück gespielt wird. Obwohl es völlig unterschiedliche Rechtssysteme sind, ähneln sich die Ergebnisse. Ich bin jedenfalls sehr gespannt, ob es Oliver Berben gelingt, den Film in die USA zu verkaufen. Dort würden wir vermutlich das Drehbuch etwas an das US-Recht angleichen müssen. Aber im Grunde bleibt die Frage die gleiche.
Wie soll man handeln, wenn ein Terrorist eine Waffe hätte, welche die ganze Welt vernichten könnte?
Nach Kant, auf dessen Begriff von Würde das Grundgesetz zurückgeht, dürfte man den Terroristen nicht töten. Aber das ist ein zu theoretisches Konstrukt.
Man würde die Vernichtung der realen Menschheit akzeptieren, um die Idee der Menschheit zu retten?
Nicht "man", sondern eine philosophische Richtung. Ich bin ja schon froh, wenn das
Stück uns dazu bringt, solche Fragen zu stellen. In der Realität würde der Pilot vermutlich in einem Verfahren zu lebenslänglicher Freiheitsstrafe verurteilt und nach ein oder zwei Jahren begnadigt.
Aber wenn die Passagiere wirklich nur noch eine Viertelstunde zu leben hätten, wie das Stück behauptet, wäre es dann nicht vernünftig zu unterstellen, die Geiseln würden eher auf diese fünfzehn Minuten verzichten und sich abschießen lassen, als den Tod Tausender Zuschauer in dem Stadion in Kauf zu nehmen, auf die das Flugzeug zusteuert?
Das ist Unsinn. Tatsächlich lehrt uns die Erfahrung, dass Menschen in extremen Situationen extrem reagieren können. Es ist nicht ausgeschlossen, dass in diesen fünfzehn Minuten der Pilot den Entführer überwältigt oder der Kopilot dem Terroristen die Waffe aus der Hand schlägt oder es den Passagieren gelingt, in das Cockpit einzudringen. Wenn Sie zwanzig Jahre als Strafverteidiger gearbeitet haben, wissen Sie, dass in solchen Situationen oft Außergewöhnliches möglich wird.
Oder der Pilot lenkt die Maschine vom Stadion weg, aber sie zerschellt trotzdem. Ist es nicht für die Passagiere egal, wie sie sterben?
Das wäre eine dritte Alternative. Es gibt noch hundert weitere Möglichkeiten. Der Kampfjetpilot lässt sie nicht zu. Er beendet das Leben der Passagiere, er nimmt ihnen ihre Würde und ihre Möglichkeit zur Handlung.
Sie muten dem Zuschauer zu, sich mit ausgefeilten rechtsphilosophischen und moralischen Überlegungen zu beschäftigen.
Der Film ist alles andere als eine Zumutung. Die Schauspieler sind wunderbar, das Duell zwischen Martina Gedeck und Lars Eidinger gehört ganz sicher zum Besten und Eindringlichsten in Gerichtsfilmen. Es ist ungeheuer spannend, gerade weil es eine geistige Auseinandersetzung ist. Natürlich, jede Autojagd fehlt, und niemand zieht sich aus. Aber gerade das Reduzierte dürfte für viele eine Erholung sein. Es ist ganz falsch zu glauben, dass Menschen nicht nachdenken wollen und das als Zumutung empfinden.
Was erwarten Sie von der Abstimmung der Menschen vor dem Fernseher?
Das Ergebnis ist nicht so wichtig. Wenn es durch den Film gelingt, dass wir über unseren Staat, über unsere Demokratie und unsere Art zu leben nachdenken, ist alles erreicht.
Im angloamerikanischen Recht spielt der Begriff der Würde keine so herausragende Rolle. Dort ist man stärker am Utilitarismus orientiert, an einer Kosten-Nutzen-Abwägung, also daran, das "kleinere Übel" vorzuziehen. Aber natürlich sind die US-Juristen nicht so naiv, allein den Abschuss zu betrachten. Sie würden auch die Folgen eines Freispruchs auf die Gesellschaft abwägen. Dann würden sie vielleicht zu ähnlichen Einschätzungen wie wir kommen, weil die Erschütterung des Rechtssystems durch einen Freispruch ebenfalls ein Übel ist. Schauen Sie sich die anderen Länder an, in denen das Theaterstück gespielt wird. Obwohl es völlig unterschiedliche Rechtssysteme sind, ähneln sich die Ergebnisse. Ich bin jedenfalls sehr gespannt, ob es Oliver Berben gelingt, den Film in die USA zu verkaufen. Dort würden wir vermutlich das Drehbuch etwas an das US-Recht angleichen müssen. Aber im Grunde bleibt die Frage die gleiche.
Wie soll man handeln, wenn ein Terrorist eine Waffe hätte, welche die ganze Welt vernichten könnte?
Nach Kant, auf dessen Begriff von Würde das Grundgesetz zurückgeht, dürfte man den Terroristen nicht töten. Aber das ist ein zu theoretisches Konstrukt.
Man würde die Vernichtung der realen Menschheit akzeptieren, um die Idee der Menschheit zu retten?
Nicht "man", sondern eine philosophische Richtung. Ich bin ja schon froh, wenn das
Stück uns dazu bringt, solche Fragen zu stellen. In der Realität würde der Pilot vermutlich in einem Verfahren zu lebenslänglicher Freiheitsstrafe verurteilt und nach ein oder zwei Jahren begnadigt.
Aber wenn die Passagiere wirklich nur noch eine Viertelstunde zu leben hätten, wie das Stück behauptet, wäre es dann nicht vernünftig zu unterstellen, die Geiseln würden eher auf diese fünfzehn Minuten verzichten und sich abschießen lassen, als den Tod Tausender Zuschauer in dem Stadion in Kauf zu nehmen, auf die das Flugzeug zusteuert?
Das ist Unsinn. Tatsächlich lehrt uns die Erfahrung, dass Menschen in extremen Situationen extrem reagieren können. Es ist nicht ausgeschlossen, dass in diesen fünfzehn Minuten der Pilot den Entführer überwältigt oder der Kopilot dem Terroristen die Waffe aus der Hand schlägt oder es den Passagieren gelingt, in das Cockpit einzudringen. Wenn Sie zwanzig Jahre als Strafverteidiger gearbeitet haben, wissen Sie, dass in solchen Situationen oft Außergewöhnliches möglich wird.
Oder der Pilot lenkt die Maschine vom Stadion weg, aber sie zerschellt trotzdem. Ist es nicht für die Passagiere egal, wie sie sterben?
Das wäre eine dritte Alternative. Es gibt noch hundert weitere Möglichkeiten. Der Kampfjetpilot lässt sie nicht zu. Er beendet das Leben der Passagiere, er nimmt ihnen ihre Würde und ihre Möglichkeit zur Handlung.
Sie muten dem Zuschauer zu, sich mit ausgefeilten rechtsphilosophischen und moralischen Überlegungen zu beschäftigen.
Der Film ist alles andere als eine Zumutung. Die Schauspieler sind wunderbar, das Duell zwischen Martina Gedeck und Lars Eidinger gehört ganz sicher zum Besten und Eindringlichsten in Gerichtsfilmen. Es ist ungeheuer spannend, gerade weil es eine geistige Auseinandersetzung ist. Natürlich, jede Autojagd fehlt, und niemand zieht sich aus. Aber gerade das Reduzierte dürfte für viele eine Erholung sein. Es ist ganz falsch zu glauben, dass Menschen nicht nachdenken wollen und das als Zumutung empfinden.
Was erwarten Sie von der Abstimmung der Menschen vor dem Fernseher?
Das Ergebnis ist nicht so wichtig. Wenn es durch den Film gelingt, dass wir über unseren Staat, über unsere Demokratie und unsere Art zu leben nachdenken, ist alles erreicht.