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Sally Field im Interview zu "Lincoln"

"Ohne Mary hätte es Lincoln nie gegeben"

Die zweifache Oscargewinnerin Sally Field im Interview zu ihrer Rolle als Ehefrau des US-Präsidenten Abraham Lincoln in Steven Spielbergs Historiendrama "Lincoln" (ab 24.1.2013 im Kino)

TV SPIELFILM Was hat Sie an dem Film gereizt?

SALLY FIELD
Alles! Mary Todd Lincoln ist eine der unterschätztesten , kompliziertesten und wichtigsten Frauen in der Geschichte Amerikas. Ohne Mary Todd hätte es nie Abraham Lincoln gegeben. Das ist ein Fakt. Sie hatte eine unglaubliche faszinierende Persönlichkeit. Und dazu Tony Kushners brillantes Drehbuch und den genialen Steven Spielberg als Regisseur. Ganz zu schweigen von der Tatsache, einem der zweifellos besten Schauspieler der Welt gegenüber zu stehen. Daniel Day-Lewis ist ein herausragendes Beispiel an kompromissloser Exzellenz.

Daniel Day-Lewis ist dafür bekannt, dass er mit Haut und Haar in seine Rollen verschwindet, auch in den Drehpausen. War das als Kollege eine Herausforderung?

SALLY FIELD
Nein, weil ich ganz genauso arbeite, je nach Rolle mehr oder weniger intensiv. Ich bin ebenfalls ein "Method"-Schauspieler und habe auch bei Lee Strasberg studiert. Für mich war es also wie nach Hause kommen. Vor allem, da es sich bei Mary Todd um einen sehr komplizierten Charakter handelt. Man muss diese Persönlichkeit besitzen, nicht nur spielen.

Sie gehen nach einem Drehtag also nicht als Sally Field nach Hause. Wie geht Ihre Familie damit um?
Foto: Twentieth Century FOX, Sally Field
SALLY FIELD Ja, genau. Wenn ich einen Film drehe, habe ich mehr oder weniger kein Sozialleben und keinen Kontakt zu meiner Familie und meinen Freunden. Ich ziehe mich meistens alleine ins Hotel zurück. Vielleicht mal ein Telefonanruf hin und wieder. Meine Kinder kennen mich mittlerweile so gut, sie stellen das gar nicht mehr in Frage. Mein 24jähriger Sohn sagte allerdings kürzlich, dass er froh ist, endlich nicht mehr mit Mary Todd telefonieren zu müssen. Ich glaube, ich habe immer noch einen leichten Akzent.

Sind sich Daniel Day-Lewis und Sally Field je begegnet?

SALLY FIELD
Nicht wirklich. Das war auch nicht notwendig. Wir haben uns vor Drehbeginn Textnachrichten geschickt. Wir haben uns als Mr. und Mrs. Lincoln angeschrieben. Das mag etwas merkwürdig klingen, aber das war es gar nicht. Wir haben uns ja nicht kontaktiert, um Freunde zu werden. Daniel hat zu dem Zeitpunkt in Irland gelebt und ich in Los Angeles. Wir haben in etwa gleichzeitig angefangen uns vorzubereiten, auf zwei verschiedenen Kontinenten. Weil Daniel nicht emailt, hatten wir fast keine andere Wahl als per sms miteinander zu kommunizieren.
War das nicht sehr umständlich?

SALLY FIELD
Wir hätten auch Briefe schreiben können, aber das hätte viel zu viel Zeit in Anspruch genommen. Die Lincolns hatten einen sehr regen, wunderschönen Briefwechsel miteinander. Die beiden waren sehr redegewandt. Ich habe versucht, mir die Ausdrucksweise von damals anzueignen. Das gehört ja zum Job. Selbst die einsamsten, einfachsten Soldaten haben zur Zeit des Bürgerkrieges außerordentlich eloquente Briefe verschickt. Da schämt man sich wirklich über das Englisch, mit dem wir uns heutzutage ausdrücken.

Und wann haben Sie sich das erste Mal getroffen?

SALLY FIELD
Als ich einen Test gefilmt habe. Wir sind uns als Mr. Lincoln und Mary Todd begegnet und haben ein, zwei Stunden miteinander verbracht. Das war eine wertvolle Improvisation für uns beide und Monate bevor Drehbeginn. Dann haben wir uns nicht mehr gesehen, bis ich in Richmond angekommen bin. Daniel hat eine Woche vor mir angefangen zu filmen und ich hätte ihn einfach anrufen können, aber dafür war ich viel zu schüchtern. Also haben wir bei unserem allerersten Treffen eine Kutschfahrt unternommen. Mary hat Lincoln damals ständig zu Kutschfahrten überredet. Das war einer der wenigen Möglichkeiten, um Lincoln aus dem Weißen Haus zu locken, damit er mal durchatmen und wieder klar denken konnte. So hatte sie ihn auch mal für sich und musste ihn nicht ständig mit allen teilen.
Hatte der Film Einfluss auf ihre politischen Ansichten?

SALLY FIELD
Nein, ich war schon immer sehr politisch und sehr informiert. Ich passe sehr gut auf, was hier in diesem Land vor sich geht. Nachdem ich mich so intensiv mit dieser Periode unserer Geschichte befasst habe, muss ich sagen, die Zeiten damals waren natürlich völlig anders, aber viele der damaligen Probleme sind immer noch die gleichen. Zwei Parteien, die so verbissen in ihre eigenen Ideologien sind. Es scheint manchmal, als wenn keiner jemals an das große Ganze denkt und was man verliert, wenn man sich aus Trotz weder vor noch zurück bewegt. Beide Seiten sind sehr rechthaberisch.

Was ist Ihrer Meinung nach das derzeit größte Problem?

SALLY FIELD
Oh, es gibt so viele. Die Umwelt, Wirtschaft, das Bildungssystem, Krankenversicherungen, das Defizit. Aber die Umwelt ist ein Riesenproblem, dem wir uns alle stellen müssen. Ich hoffe, wir realisieren endlich, dass die Ozeane steigen und das globale Erderwärmung Realität ist. Alle Kontinente werden große Probleme haben und das Klima wird sich stark verändern. Wir müssen das wirklich Ernst nehmen. Vor allem weil der Klimawandel wiederum auch großen Einfluss auf die Wirtschaft und alles andere hat. Man muss nur etwas langfristiger denken. Und Obama hat Recht, es gibt langfristige Probleme, denen wir uns jetzt sofort stellen müssen.

Lincoln hat es nur mit viel Mühe geschafft, die Sklaverei abzuschaffen. Heute regiert in Amerika ein farbiger Präsidenten. Sehr bemerkenswert, oder?

SALLY FIELD
Natürlich kann man das nicht ganz vergessen, aber ich muss gestehen, ich denke gar nicht mehr daran, welche Hautfarbe Obama hat. Mir ist egal, ob er afrikanischer, irischer oder sonst welcher Abstammung ist. Das sollte einfach keine Rolle spielen. Obama ist ein außerordentlich intelligenter Mann und hat eine unglaublich Aufgabe vor sich. Ich glaube sehr an ihn. Er ist brillant. Wenn ich mir anschaue, was er in den nächsten vier Jahren bewältigen muss, kann ich nur sagen, ich bin jederzeit bereit, ihm beizustehen und zu applaudieren.
Mary Todd hatte damals großen Einfluss auf Ihren Mann, konnte aber nicht mal wählen. Mittlerweile hat Amerika eine sehr erfolgreiche weibliche Außenministerin...

SALLY FIELD
Ja, aber Frauen müssen auf der ganzen Welt zusammen kommen und bis wir nicht auf jedem Kontinent gleichberechtigt sind, wird diese Erde nicht sicher sein. Wir müssen so lange kämpfen, bis die Ungleichheit von Geschlechtern nicht mehr existiert. Auch in diesem Land. Es gibt hier immer noch keine gleichberechtigten Gehälter und der Anteil an Frauen in Managerpositionen ist immer noch unglaublich klein. Noch viel schlimmer ist natürlich, dass Frauen in vielen Teilen der Welt noch immer sehr schlecht behandelt werden. Frauen werden wie Sklaven, Vieh oder als Kriegsmunition missbraucht. Wann ist die Empörung endlich laut genug, damit sich auch wirklich was ändert? Alle Gesellschaften auf der ganzen Welt müssen sich weigern, das weiterhin hinzunehmen.

Gehen Frauen mit Macht anders um als Männer?

SALLY FIELD
Natürlich gibt es auch Frauen, die mit Macht genauso umgehen wie Männer. Viele Frauen denken, dass sie nur so erfolgreich sein können. Aber statistische Fakten belegen, dass die Umwelt, Kinder und die Wirtschaft profitieren und es weniger Kriege und Konflikte gibt, wenn Frauen gleichberechtigtes Mitspracherecht in ihren Gemeinden und Regierungen haben. Ich weiß nicht, ob dass heißt das Frauen mit Macht anders umgehen oder ob sie noch ein andere Element miteinbringen, dass Männern offensichtlich fehlt. Frauen haben einfach eine andere Perspektive auf das Leben, wahrscheinlich weil sie unsere Kinder auf die Welt bringen und deshalb instinktiv heilen und nähren wollen.
Haben Sie sich als Hollywoodschauspielerin auch schon benachteiligt gefühlt?

SALLY FIELD
Natürlich. Schauen Sie sich die Statistiken in Hollywood an. Die Zahlen für Frauen sind nicht sehr rosig. Es geht nicht darum, was ich fühle, das sind leider Fakten.

Hat Sie an der Rolle Mary Todds gereizt, dass sie eine für ihre Zeit sehr emanzipierte und starke Frau war?

SALLY FIELD
Danach suche ich mir meine Rollen nicht aus. Mary Todd ist alles Mögliche. Ich empfinde sie nicht sehr selbstbewusst. Sie war sehr gebildet, sehr informiert, brillant und aus einer mächtigen politischen Familie. Sie hat Lincoln gefunden und zu dem gemacht, was er war. Ohne Mary Todd hätte es denn legendären Lincoln nicht gegeben. Ihre Ambitionen haben ihn voran getrieben. Sie war seine engste Vertraure und Beraterin. Sie wusste, wer sie ist und wie wichtig sie ist.

"Lincoln" ist Ihr erster Steven Spielberg Film. Ist es einschüchternd mit einer Legende wie Spielberg zu arbeiten?

SALLY FIELD
Nein überhaupt nicht, das würde er nie zulassen. Mit Steven zu arbeiten war phänomenal, er ist ein absoluter Meister. Außerdem stecke ich mental immer so sehr im Film, dass ich über so was gar nicht nachdenken kann. Ich bin Mary Todd und ich muss mich mit Mr. Lincoln auseinandersetzen. Das ist das einzige worauf ich mich konzentriere.
Sie sind gerade nach New York gezogen, warum jetzt?

SALLY FIELD
Ja, ich bin gerade eingezogen. Ich habe aber auch immer noch mein Haus in Los Angeles. Aber es war immer mein Traum, in New York und LA zu leben. Ich hatte bisher einfach nicht die Gelegenheit dazu. Irgendwas hat mich immer an der Westküste gehalten, meine Kinder oder ein Filmprojekt oder meine kranken Eltern.

Was genau hat Sie nach New York gezogen?

SALLY FIELD
Alles! Ich liebe es einfach hier zu sein. Das Leben hier ist ganz, ganz anders als in Los Angeles. Ich freue mich hier einfach ins Kino oder Theater zu gehen. Manchmal auch ganz alleine, das ist hier völlig normal. Ich genieße es auch sehr, nicht mehr ständig im Auto zu sitzen. Ich habe quasi in meinem Auto gelebt. In LA steht man ständig im Stau, weil überall Baustellen sind. Keine Ahnung, was die da mit den Highways vorhaben, aber ich werde das Endprodukt wohl nicht mehr miterleben.

Was fehlt Ihnen an LA, wenn Sie in New York sind?

SALLY FIELD
Meine Enkelkinder. Allerdings sind meine Enkel eh immer zu beschäftigt und haben kaum Zeit für mich. Und das obwohl die Älteste erst 14 Jahre ist (lacht). Mein 6jähriger Enkel ist gerade mit seinen Eltern auf dem Weg zu mir. Sie landen gleich, deshalb schaue ich ständig auf die Uhr! (lacht)

Interview: Nadine Sieger