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"Nuhr so"

Dieter Nuhr: Dumm statt digital

Dieter Nuhr - Jahresrückblick
Dieter Nuhr: Sein Versuch, mit Humor aus der Region unter der Gürtellinie zu punkten, ging in die Hose ZDF/Kerstin Bänsch

Dieter Nuhr kam, kalauerte und nervte: "Nuhr so" (ZDF) sollte eine große interaktive Live-Show werden, mit Zuschauern, die mailen, SMS schicken und twittern. Aber wer mental in der Steinzeit des Humors zu Hause ist, kann kein Fernsehen für die digitale Zukunft machen.

(Nuhr so, 3.11., ZDF, 22.45 Uhr) Was war nur los mit Dieter Nuhr? Anders als kürzlich bei der Gala zum Deutschen Comedypreis, die er souverän moderierte, hatte er diesmal offensichtlich als Prophylaxe gegen die Schweinegrippe eine ganze Flasche kodeinhaltigen Hustensafts geschluckt. Wie ein fünftklassiger Animateur auf einem russischen Kreuzfahrtschiff schmiss er sich an das Publikum ran. Irgendwie schien der Comedian zu ahnen, dass er sich an diesem Abend auf seinen Witz nicht verlassen konnte.

Ein Programm gab es auch nicht. Nuhr war die meiste Zeit damit beschäftigt, bizarre Meldungen aus der Boulevardpresse zu kommentieren, die auf einen großen Bildschirm gezeigt wurden. Etwa, dass Ricky von Tic Tac Toe Religionslehrerin werden möchte. Das Dumme daran und an Nuhr: Dem Moderator fiel dazu nichts Gescheites ein. Das gilt auch für fast alle anderen Themen, von der neuen Regierung bis zur Quelle-Pleite. Pointen waren in dieser Sendung so rar wie Banker, die an das Gemeinwohl denken.

Richtig peinlich wurde es, als Nuhr sich an Rilke vergriff und dessen Gedicht "Herbsttag" mit den berühmten Zeilen "Herr: es ist Zeit. Der Sommer war sehr groß" veralberte und eine Zeile hinzudichtete, die etwas mit den Weihnachtsmännern bei Aldi zu tun hatte. Seit wann ist es rhetorischen Zwergen, die unter Wortdurchfall leiden, erlaubt, ihre Notdurft im Tempel deutscher Dichtung zu verrichten? Früher hätte man solche Frevler in den Narrenturm eingesperrt. Heute gibt es dafür das ZDF.

Von Interaktivität sah man auch nicht viel. Twittern war, entgegen früherer Ankündigungen, nicht möglich. Und was an SMS-Nachrichten und E-Mails von Zuschauern in der Live-Sendung den Filter der Redaktion passierte, war banal wie die Show selbst. Ein Zuschauer wollte die Telefonnummern der beiden bedauernswerten Unterwäschemodels haben, die Nuhr angeblich in die Sendung eingeladen hatte, um RTL II-Zuschauern zum ZDF zu locken. Zwei Frauen fragen, ob der Moderator den Moonwalk beherrsche. Der reagierte mit Ratlosigkeit statt Schlagfertigkeit.

Spannendes Fernsehen, das die Möglichkeiten der digitalen Kommunikation nutzt, sieht anders aus. Im Umgang mit den neuen Medien erwies sich Dieter Nuhr als ähnlich versiert wie Barney Geröllheimer aus der Familie Feuerstein. Und die lebte bekanntlich in der Steinzeit.

Rainer Unruh