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Krimiklassiker

Restaurierte "Tatort"-Perlen bei RBB

Restaurierte Tatort-Perlen bei RBB
Götz George in "Transit ins Jenseits" rbb

Ab heute zeigt der RBB jeden Montag lang nicht mehr gezeigte Berlin-"Tatorte" der 1970er- bis 90er-Jahre. Frisch restauriert in HD-Qualität.

"Archivschätze" habe man gehoben und "für die Zukunft gesichert", schreibt der RBB in der Ankündigung der Filmreihe mit alten Tatort-Folgen, die von Ende Juni bis Ende September immer montags im Dritten Programm des RBB laufen wird. "Am Anfang stand die Idee, für das Sommerprogramm eine Reihe mit Berliner Tatort- Classics aufzulegen", sagt die zuständige RBB-Redakteurin Dr. Josephine Schröder-Zebralla. Doch zunächst mussten etliche der dreißig, vierzig Jahre alten Produktionen im wahrsten Sinn digital entstaubt, aufgefrischt und bearbeitet werden, weil sie so gar nicht sendbar waren: "Es stellte sich heraus, dass viele Tatorte von schlechter technischer Qualität waren und restauriert sowie auf den neuesten Stand gebracht werden mussten."

Neuester Stand heißt: HD-Qualität für mehr als ein Dutzend Filme. Wie es überhaupt dazu kommen konnte, dass die Konserven in nicht mehr gebrauchsfähigem Zustand waren, erklärt die Re- dakteurin damit, dass das Material im Lauf der Zeit immer wie- der auf unterschiedliche elektronische Bänder (1-Zoll-MAZ, Beta SP, IMX et cetera) kopiert wurde. Jede neue Generation hatte Qua- litätseinbußen zur Folge. Heute sei sämtliches Material natürlich akkurat digital gespeichert. Zu den Kosten dieser Aufarbeitung macht der Sender keine Angaben, es sei durchaus "technischer Mehraufwand" nötig gewesen, dies sei aber ein "Sonderfall".
"Zeitreise in die 70er, 80er und 90er"
Tatsächlich lässt sich hier einiges entdecken - ungewöhnliche Erzählweisen, Dramaturgien, die völlig anderen Sehgewohnheiten entsprachen und uns heute seltsam langsam vorkommen. Das bestätigt auch Schröder-Zebralla: "Die Krimigeschichten sind psychologischer und langsamer erzählt. Die Präsenz der Ermittler nimmt weniger Raum ein als heute." In den frühen Filmen tauchen die Kommissare eher am Rand auf, es sind eher Gangsterkrimis, Sozial- und Gesellschaftsstudien. Kaum vorstellbar, dass zum Beispiel das Privatleben der Polizisten so im Vordergrund stehen würde, wie es im aktuellen Tatort so oft der Fall ist.

Der RBB bezeichnet die Reihe als "Zeitreise in die 70er, 80er und 90er" und in eine geteilte Metropole. Der zeitliche Abstand von einigen Jahrzehnten ermögliche "überraschende Eindrücke". Zum Beispiel wie aktuell mancher Tatort heute noch ist. Schröder-Zebralla greift "Transit ins Jenseits" aus dem Jahr 1976 heraus, in dem es um Fluchthilfe in der Zeit des geteilten Berlin geht: "Im typischen Look der Siebzigerjahre erleben wir eine Geschichte mit, die in einer ganz anderen Art und Weise auch heute wieder brisant ist."
Autor: Volker Bleeck
Zum (Wieder-)entdecken: Diese "Tatorte" zeigt RBB
Vom 26. Juni bis zum 25. September zeigt RBB jeweils um 22.15 Uhr die digital entstaubten Filme. Es gibt ein Wiedersehen mit Götz George in seiner Vor-Schimanski-Zeit, Marius Müller-Westernhagen als Verbrecher, Günter Lamprecht als Kommissar und dem sehr jungen Jürgen Vogel. Regie führen Könner wie Wolfgang Staudte und Matti Geschonneck.
26. Juni: Der Boss (1971)
Fall eins für Berlin. Das nagelneue Sendezentrum des SFB war frisch bezogen, als der Sender in die Reihe einstieg. Gefilmt wie eine Reportage, zeigt der nur 56 Minuten lange Film Halbwüchsige mit Schlagersängerfrisur auf Ab­wegen. Gute Milieuskizze, in der Kommissar Kasulke kaum vorkommt.
3. Juli: Rattennest (1972)
Foto: rbb
Götz George (Bild) als Halbwelter mit Berliner Schnauze sitzt oben ohne vorm Fernseher und arbeitet mit Hanteln, während ihm Ingrid van Ber­gen den Rücken eincremt. Klassischer Krimi um Schläger und Schutzgelderpresser, vom Film noir inspiriert, teils unfreiwillig komisch, aber auch straight und kantig
10. Juli: Transit ins Jenseits (1976)
Götz George wieder als Krimi­neller, diesmal mit Marius Müller-Westernhagen als Kompagnon, der im Opel Admiral auf der Transitstrecke immer nervöser wird. Stimmig erzählte, minimalistische Fluchthilfestory, aber nur für alte Westberlin­-Pendler und Westernhagen-­Fans wirklich spannend.
17. Juli: Feuerzauber (1977)
Der spätere "Traumschiff"­ Kapitän Heinz Weiss steuert hier ein Rennboot - und mitten hinein in einen Fall von Brand­stiftung mit Todesfolge.
24. Juli: Sterne für den Orient (1978)
Waren es bis dahin Milieu­ und Fallstudien, nähert sich der Tatort dem klassischen Whodunit: Mord, Recherche, Auflösung. Problem: Berlin findet keinen Markenkommissar. Hans Peter Korff ("Neues aus Uhlenbusch") bleibt auch nur zwei Folgen lang.
31. Juli: Gefährliche Träume (1979)
Foto: rbb
Berlin und seine sozialen Brennpunkte: Diesmal geht es um eine Schülerin (die wunderschöne Dagmar Claus) zwischen Disco und Drogendealern. Typisch Siebziger.
8. August: Beweisaufnahme (1981)
Wer ist der Frauenschänder: der Sohn vom Bonzen (Dieter Thomas Heck spielt souverän) oder die Jungs aus der Industrieloft­-WG? Volker Brandt ermittelt in seinem ersten von sechs Fällen. Regisseur Peter Keglevic wollte es künstlerisch, szenemäßig, sozialkritisch, kühl. Aber zeitlos geht anders.
15. August: Katz und Mäuse (1981)
Susanne Uhlen, Traumfrau des leichten deutschen Fernsehens der 80er und 90er, träumt mit ihrem Freund (Peter Seum) vom Leben unter Palmen. Eine fingierte Entführung soll ihnen das nötige (Löse­)Geld einbringen. Natür­lich geht was schief.
22. August: Sterben und sterben lassen (1982)
Peter Keglevic' zweiter Tatort nach "Beweisaufnahme". Aufsteigerträume, Geldgier, Skrupellosigkeit sind typische Themen der 80er-Jahre, hier ange­siedelt im Fernfahrermilieu. Gastrolle für Vadim Glowna im Karohemd.
29. August: Floppys Masche (1983)
Ein toter Juwelier, ein Kleingangster, ein Society-­Ehe­ paar, das den Schein wahren will - die Derrickisierung des Fernsehkrimis war in vollem Gang. Im Cast: Sabine Sinjen, die TV-­Version von Romy Schneider.
4. September: Freiwild (1984)
Wolfgang Staudte, bedeu­tender deutscher Nach­kriegsregisseur ("Die Mörder sind unter uns"), gibt dem Tatort die Ehre, im Gefolge große Schau­spieler wie Armin Mueller­-Stahl, Hans Peter Hall­wachs, Tilly Lauenstein (Syn­chronstimme von Katharine Hepburn und Ingrid Bergman). Es war Staudtes letzter voll­endeter Film. Er starb am 19. Januar 1984.
11. September: Blutwurstwalzer (1984)
Foto: ARD, Jürgen Vogel (l.) und Günter Lamprecht
Mauerfall. Berlin ist plötzlich doppelt so groß und hat einen neuen markanten Kommissar: Günter Lamprecht alias Franz Markowitz. Gleich drei Fälle löst er 1991. Der "Blutwurstwalzer" mit dem 22­jährigen Jürgen Vogel ist nicht nur der Beste, sondern mit 120 Minu­ten auch der Längste. Regie führte "Good Bye, Lenin!"­-Ma­cher Wolfgang Becker.
18. September: Berlin - Beste Lage (1993)
Die Mauer ist weg, und die Spekulanten sickern in den Osten ein. Gier führt zu Mord. Anarcho­-Fazit von TV SPIELFILM: "Miethaie zu Fisch­ stäbchen!" Der Krimi war die zweite Regiearbeit von Matti Geschonneck, heute einer der renommiertesten deutschen TV­-Regisseure.
25. September: Die Sache Baryschna (1994)
Beklemmend und aktuell handelt der drittletzte Mar­kowitz­-Fall von Menschen­handel und Schleuserbanden: In einem Lkw ersticken zwei Flüchtlinge, zurück bleibt ein traumatisiertes Mädchen. Für Idil Üner ("Mordkommis­sion Istanbul", "KDD"), in Berlin geborene Tochter türkischer Eltern, war es die erste große Rolle.
Autor: Andreas Rolf