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TV-Experiment "Projekt Hühnerhof"

Chicken Wins

Im TV-Experiment "Dirk Steffens und die Macht der Verbraucher" (DI, 7.10.) versucht sich ZDF-Moderator Dirk Steffens als Ökobauer. Hier plädiert er für artgerechte Tierhaltung und die Rückkehr zum Sonntagsbraten

Blütenrein und strahlend weiß stehen sie da, picken nach Würmern und auch mal nach ihrem Artgenossen - glückliche Hühner auf grüner Wiese. Bis sich Unruhe unter den Tieren breitmacht und sie kurz darauf aufgeregt gackernd Unterschlupf unter dem Dach eines offenen Stallgebäudes suchen. Spüren sie etwa, dass sie heute noch verfrachtet und später zum Schlachthof gebracht werden sollen?

"Die haben den Schatten eines Kleinflugzeugs mit dem Habicht verwechselt", klärt Dirk Steffens die Situation auf und rollt mit den Augen. "Ich kann's selbst kaum glauben, aber ich habe hier einen gepflegten Habicht-Hass entwickelt." Für die zweiteilige Doku Projekt Hühnerhof (am 30. September und 7. Oktober im ZDF) mästet der Terra X-Moderator im Selbstversuch Hennen unter freiem Himmel. Natürlich haben Raubvögel den Braten gerochen.
Bei einem Ökolandwirt nahe Uelzen in Niedersachsen, wo Steffens die Verantwortung für zweieinhalbtausend Hühner übernommen hat, und auch in einem konventionellen Mast­betrieb will der Tierfilmer und Wissenschaftsjournalist erleben, wie die Tiere in Deutschland aufgezogen und geschlachtet werden. Gleichzeitig startet der 46-Jährige eine Kampagne, die darauf abzielt, Verbraucher zum Verzehr von besserem, aber dafür weniger Fleisch zu bewegen, von Tieren, die artgerecht gehalten wurden.

Auf Hühner, die am stärksten industrialisiert gehaltenen Nutztiere - allein in Deutschland werden jährlich knapp 700 Millio­nen Masthähnchen geschlachtet -, kam Steffens nicht zuletzt über den Preis. "Ich bin in den nächsten Supermarkt gegangen und habe mir das erstbeste Hähnchen rausgegriffen: 2,89 Euro. Es wog 1,2 Kilo." Immer noch fassungslos berichtet er vom folgenden Preisvergleich mit anderen Produkten des Geschäfts: Mais, Pommes frites, Brokkoli, saure Gurken und sogar Katzenfutter - alles ist teurer.

Wie kann Katzenfutter mit Geflügel teurer sein als ein ganzes Federvieh? Was bedeutet das für die Tierhaltung, und wieso ist ein artgerecht gehaltenes Biohähnchen um ein Vielfaches teurer?
Diese Fragen werden für den weitgereisten Dokufilmer zum Ausgangspunkt für ein TV-Experiment vor der eigenen Haustür, das nicht nur zeigen soll, unter welchen Bedingungen gemästet wird, sondern auch transparent machen will, wie die Preise eigentlich zustande kommen.

TV SPIELFILM: Sie kennen die Wildnis, was treibt Sie in den Hühnerstall?

Dirk Steffens Es gibt niemanden, der widerspricht, wenn ich sage: Wir müssen die Tiger schützen. Jetzt habe ich mal das Experiment gewagt, das mit einer Tierart zu machen, bei der die meisten Menschen erklärtermaßen anderer Meinung sind.

Wo sind Sie auf Widerstand gegen Ihr Vorhaben gestoßen?

Überall, auch bei Kollegen. Für so einen Film müssen ja Gebührengelder bewilligt werden. Da fängt das Problem schon an, weil das Thema nicht "sexy" ist. Außerdem wird in meinem Film auch geschlachtet, und da sagt jeder Fernsehprofi: Das will doch nun wirklich keiner sehen.

Aber es gab doch bereits Dokus über Massentierhaltung...

... wo man in einen Stall einbricht und schreit: "Skandal! Skandal!" Das verkauft sich gut und ist leicht zu machen. Man ruft ein paar Bekannte von Tierschutzorganisationen an und fragt, ob man bei der nächsten Aktion dabei sein kann. Wenn Sie nachts irgendwo reingehen und eine Lampe auf die geblendeten Hühnervögel halten, sehen die immer wie gemarterte Tiere aus. Ein paar Tierleichen findet man in einem großen Stall eigentlich auch immer.

Wie zum Beispiel in einem Film über den Wiesenhof-Konzern.

Es gibt Dutzende dieser Filme. Es ist bequem, die Tiermäster anzuklagen. Da kriegt man immer Applaus. In meinem Film aber gibt es keine Bösen und keine einfachen Antworten. Wir probieren aus, wie das wirklich ist. Deshalb bin ich selbst Hühnermäster geworden.

Wie kann man davon existieren, wenn sogar Katzenfutter teurer ist als ein Hähnchen?

Das geht nur mit konventioneller Massentierhaltung. Ein Broiler aus dem Grillimbiss ist gerade mal 35 Tage alt. Was man da isst, sind verfettete Tierbabys, die nicht mal als Männchen oder Weibchen erkennbar sind, wenn sie geschlachtet werden.

Bei Ihrem Ökohof-Experiment durften die Hühner zwar doppelt so lange leben, aber eben auch nur 70 Tage.

Ja, der Ökobauernhof ist auch ein Wirtschaftsbetrieb, da darf man sich keine Illusionen machen. Auch hier geht es darum, Geld zu verdienen. Das muss man auch, aber man kann ja neben dem Geldverdienen noch andere Werte vertreten. Die Hühner sollen artgerecht leben und sich bewegen können.

Ist die Freilandhaltung der einzige Unterschied zu einem konventionellen Mastbetrieb?

Nein, aber ich habe hier in Uelzen einen interessanten Straßenversuch dazu gemacht. Wir haben eine Box gebaut, ein Quadratmeter groß, kleine Stoffhühnchen daneben gestellt und Passanten gebeten: Stecken Sie doch bitte mal so viele Hühnchen da rein, wie Sie glauben, dass sie auf einem Quadratmeter im Hühnerstall leben.

Und?

Viele sagten: "eins natürlich", dann kamen ein paar Mutige und meinten: "fünf". Und wenn Sie dann, wie es in der Realität der Fall ist, 26 da hineinstellen, dann schlagen sich die Leute die Hand vors Gesicht und sagen: "Das kann doch gar nicht wahr sein."

Wie viel Platz haben die Tiere auf Ihrem Ökohof?

Jedes Hähnchen hat 2,5 Quadratmeter Auslauf und zwar auf einer richtigen Wiese mit Grasbewuchs und Würmchenfangen, daneben ein Stall und ein "Sommergarten" ohne Streu und geschlossene Wände. Nach drei Wochen kommen die Küken auf die Wiese. Das führt dann allerdings zu anderen Problemen.

Der Habicht?

25 hat sich ein Habicht geholt. Wir haben insgesamt ungefähr zwei Prozent der Tiere verloren, das ist ein ähnlicher Wert wie in einem konventionellen Mastbetrieb. Wobei man tendenziell auf einem Ökohof mehr Tiere verliert als bei einem konventionellen, wo oft mehr als 40000 Tiere in einem aseptisch abgeschlossenen Raum keinen Kontakt zur Außenwelt haben. Gibt es ein krankes Küken, werden gleich alle mit Antibiotika behandelt.

Glückliche Hühner haben ihren Preis. Wie wollen Sie sich gegen die Billigkonkurrenz aus dem Supermarkt behaupten?

Indem wir ungewöhnliches Marketing machen: Ich als Fernsehpromi schaue den Leuten in die Augen, drücke ihnen das Huhn in die Hand und sage: "Kaufen Sie mal etwas Ordentliches!"

Ist das nicht ein bisschen unfair?

Natürlich ist das ein Marketingdruck, den ich ausübe. Aber genau das ist ja das Experiment. Kann man durch Marketingdruck, im positiven Sinne, das Verbraucherverhalten verändern? Ist es immer nur der Mäster, den man anprangern muss? Kann man nicht auch mal sagen: Handel, mach doch mal etwas anderes in deiner Werbung. Dass es nicht immer nur um den billigsten Preis geht. Das macht man ja bei Autos auch nicht, vielleicht sollte man mal darauf setzen, Qualität zu vermarkten.

Sie sind mit Handzetteln durch den Ort gelaufen, um Ihre Hähnchen anzupreisen.

Wir haben insgesamt vierzehn Verkaufsstellen gefunden - Restaurants, eine Schlachterei, einen Wochenmarkt.

Keinen Supermarkt?

Kein einziger Supermarkt in Uelzen war bereit mitzumachen bei so einem Experiment. Absagen, Absagen, Rauswürfe, eine unangenehme Erfahrung.

Warum sperrten sich die Supermärkte?

Sie sehen mich erstaunt. Warum die nicht mit dem "Onkel vom Fernsehen" werben, der den Kunden die Hähnchen direkt in die Tüte verkauft, ist mir schleierhaft. Wir mussten das Experiment auf den Landkreis ausweiten und haben schlussendlich einen Supermarkt in Bienenbüttel gefunden.

Der Handel ist aber nicht allein schuld an den billigen Hähnchen aus der Turbomast.

Am Ende - das war mir ja bereits klar - steht natürlich die Entscheidung des Verbrauchers. Es gibt ja ökologisch produziertes Fleisch, wir sind nur zu geizig, dafür unser Geld auszugeben. Mittags sind die Leute nicht mal bereit, fünf oder sechs Euro fürs Essen springen zu lassen, aber nach Feierabend trinken sie für zwölf Euro einen Cocktail. Da ist ein Wert verrutscht.

Viele haben auch einfach nicht das Geld für ein 25-Euro-Huhn.

Unser Fleischverbrauch ist immens. Der Ökobauer würde sich wünschen, dass wir wieder zum Sonntagsbraten zurückkehrten wie früher. Dass wir Fleisch als etwas Wertvolles achten, das man bewusst isst und nicht im Vorbeigehen zwischen zwei Pappbrötchenhälften irgendwie reinschiebt.

Heiko Schulze

Projekt Hühnerhof: 2500 Küken für Dirk Steffens
DI 30.9. ZDF 20.15 Uhr

Dirk Steffens und die Macht der Verbraucher
DI 7.10. ZDF 20.15 Uhr
Hintergrund: Billigfleisch mit Turbomast
Deutschland ist nach Frankreich der zweitgrößte Erzeuger von Geflügelfleisch in der EU. Rund 700 Millionen Masthähnchen werden hierzulande jährlich geschlachtet. Weniger als 0,1 Prozent davon stammt aus ökologischer Erzeugung. 35 bis 40 Tage lebt ein Hähnchen in konventioneller Haltung mit circa 40 000 Artgenossen in einem Stall (35 Kilo Lebendgewicht pro Quadratmeter). Der Markt wird dominiert von Hybridhühnern mit Bezeichnungen wie JA-757, traditionelle Haushühner gibt es nur noch in der Hobbyhaltung. EU-weit muss die Herkunft von Eiern transparent nachvollziehbar sein, für Hühnerfleisch gilt das nicht.