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Die Aufschneider

9 Tatort Herrenabend
Tatort: Herrenabend WDR/Willi Weber

Wenn Jan Josef Liefers im "Tatort" Brandleichen untersucht, hat er vorher Rechtsmediziner Michael Tsokos gefragt, wie man so etwas macht (Tatort: Herrenabend, SO, 1.5., ARD, 20.15 Uhr)

Keiner ist komischer. Der "Tatort" aus Münster setzt stärker auf lustige und skurrile Momente als alle anderen. Dafür wird so manch unrealistische Wendung gern in Kauf genommen. Dass die Filme gleichzeitig bei der Darstellung gerichtsmedizinischer Methoden besonders nah an der Wirklichkeit sind, liegt an zwei Personen. An Schauspieler Jan Josef Liefers, der den Ehrgeiz hat, sein "Fachchinesisch" richtig anzuwenden. Und an Michael Tsokos, Deutschlands bekanntestem Rechtsmediziner, der Liefers mit Rat und Tat zur Seite steht.

Beim Fototermin unterhielten sich die beiden sehr überzeugend darüber, wie man dem TV SPIELFILM-Reporter unter dem Leichentuch fachgerecht die Bauchorgane entnehmen müsste. Ypsilonschnitt...
TV SPIELFILM: Im neuen "Tatort: Herrenabend" haben Sie mit einer verbrannten Leiche zu tun...

MICHAEL TSOKOS Hattest du mich deswegen damals angerufen, Jan? Ihr hattet diese Brandleiche zu identifizieren ...

JAN JOSEF LIEFERS Genau. Ich habe mir erst einmal vom Zahnarzt des Toten den Zahnstatus geben lassen...

MICHAEL TSOKOS ...und habt die Leiche geröntgt?

JAN JOSEF LIEFERS Klar, dann die Bilder verglichen...

TV SPIELFILM: Sie klingen wirklich wie zwei Gerichtsmediziner. Herr Tsokos, ärgern Sie sich trotzdem manchmal über die unkorrekte Arbeitsweise der "Tatort"-Ermittler?
TSOKOS Über die aus Münster nicht. Der "Tatort" soll ja unterhalten. Der muss nicht wissenschaftlichen Standards genügen. Ich erinnere mich allerdings an eine Folge mit einer Mumie, die grotesk war. (Liefers kichert)
Foto: WDR/Willi Weber, Brillant, arrogant, geliebt - Liefers als Rechtsmediziner Boerne im "Münster"-Tatort
JAN JOSEF LIEFERS Boerne ist Gerichtsmediziner, aber eben auch ein bisschen Miss Marple. Er muss praktisch nie am Schreibtisch sitzen. Das hat mit Tsokos' Alltag nicht viel zu tun.

MICHAEL TSOKOS Wir besuchen auch nicht nachts illegalerweise und auf eigene Faust irgendwelche Tatorte. Wir ermitteln nicht.

TV SPIELFILM: In der neuen Folge kehrt ein Toter zurück. Scheintote waren früher ein Riesenthema.

JAN JOSEF LIEFERS Stimmt. Man fand Tote bei Exhumierungen in ganz anderen Körperhaltungen als bei der Beerdigung. Es gab auch Kratzspuren am Deckel. Es war dann eine ganze Zeit in Mode, sich Klingelvorrichtungen ins Grab einbauen zu lassen.

MICHAEL TSOKOS Das gibt es in Südamerika immer noch. Wenn man anhand sicherer Anzeichen wie Leichenflecken, Leichenstarre und Fäulnis den Tod erklärt, wird der Tote liegen bleiben. Wenn man, wie in Krimis häufiger zu sehen, nur die Hand an die Halsschlagader legt, steht er vielleicht wieder auf.

TV SPIELFILM: Herr Liefers, nehmen Sie Einfluss auf das Drehbuch, wenn es zu abenteuerlich wird?

JAN JOSEF LIEFERS Ich könnte. Das steht sogar in meinem Vertrag. Aber das ist nicht mein Ehrgeiz.Ich lese die Drehbücher auf fachliche Fragen hin durch. Und wenn mir etwas unwahrscheinlich oder falsch vorkommt, rufe ich Michael an. Es gibt immer Raum für Korrekturen und auch für Improvisation.

TV SPIELFILM: Bringt man Mörder auf Ideen, wenn man besonders raffinierte Tötungsarten verrät?


JAN JOSEF LIEFERS Raffiniert oder nicht: Jeder erfahrene Rechtsmediziner wird einen Mord entdecken, falls es einer war. Vorausgesetzt, er bekommt die Leiche überhaupt zu sehen.

TV SPIELFILM: Manche Polizisten mögen es aber gar nicht, wenn bestimmte Ermittlungsmethoden im TV gezeigt werden.

MICHAEL TSOKOS Das stimmt. Aber man findet doch sowieso alles im Internet. Ich kann bei Wikipedia jede Untersuchungsmethode bis ins Kleinste nachlesen.

TV SPIELFILM: Sie sparen in Ihren Büchern also keine Mordmethode bewusst aus?

MICHAEL TSOKOS Na ja, es gibt schon ein paar Dinge, die ich nie preisgeben würde. Weil man so jemanden umbringen könnte und noch nicht mal ich würde das merken.

JAN JOSEF LIEFERS Ach ja? Das muss ich noch aus ihm herauskitzeln. (lacht)

MICHAEL TSOKOS Wir hatten neulich den Fall einer Frau, die in einem Keller festgebunden und mehrfach vergewaltigt wurde. Sie konnte sich befreien, zeigte bei der Untersuchung aber keine Spuren des Verbrechens. Sie war auch nicht dehydriert, was sie hätte sein müssen.

TV SPIELFILM: Wie perfide. Der Täter hatte seine Spuren gut verwischt?

MICHAEL TSOKOS Wir sind dann darauf gekommen, dass dieser Fall einige Wochen zuvor in der Serie "CSI" lief. Das war also Vortäuschung einer Straftat. Inspiriert durchs Fernsehen.

TV SPIELFILM: Herr Liefers, haben Sie Herrn Tsokos schon mal im Obduktionssaal besucht?

JAN JOSEF LIEFERS Ja, ich bin mal einen Tag hier mitgelaufen. Wahnsinn, all die Schicksale. Da war ein Trinker, der nach dem Aufschneiden roch wie eine Schnapsfabrik. Aus dem Körper raus! Bemerkenswert war auch ein Mann, der sich im Winter an einem Heizkörper aufgehängt hatte. Der lehnte drei Wochen an der heißen Heizung. Kein schöner Anblick.

TV SPIELFILM: Und solche Dinge sieht Herr Tsokos jeden Tag. Muss ziemlich belastend sein.

MICHAEL TSOKOS Wenn man in den Ermittlungs-akten von Kindern liest, die jahrelang misshandelt worden sind und dann tot vor einem liegen, lässt mich das nicht kalt. Aber in meine Träume nehme ich die Arbeit nicht mit.

TV SPIELFILM: Mussten Sie das lernen?

MICHAEL TSOKOS Ich glaube, das kann man nicht lernen. Bei mir war das schon immer so. Mich belastet diese Arbeit nicht. Im Gegenteil. Ich kann dadurch sehr wertschätzen, dass meine Kinder alle gesund sind. Ich lebe in dem Bewusstsein, dass ich morgen einen Tumor bekommen oder von einem Auto über den Haufen gefahren werden kann. Aber ich genieße das Leben dadurch umso mehr.

TV SPIELFILM: Herr Tsokos, was bringt Sie zum Lachen?

MICHAEL TSOKOS Ich las neulich in einer Ermittlungsakte: "Er lag faul auf dem Sofa" - gemeint war: Der Mann war schon stark fäulnisverändert. Da musste ich schon schmunzeln. Wir haben natürlich auch im Sektionssaal mal gute Laune. Das ist menschlich.

JAN JOSEF LIEFERS Ich darf sagen, als ich hier zu Besuch war, haben Mädels an den Tischen gestanden, die sahen aus, als wären sie direkt aus den angesagtesten Clubs hierhergekommen. Mir kam spontan die Idee zu einer Miss-Wahl: Miss Ypsilonschnitt 2011!

Frank Aures

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