Ein Jude aus Stuttgart, der 1949 aus dem dänischen Exil zurückkehrt und im Nachkriegsdeutschland als Generalstaatsanwalt in Hessen die Auschwitz-Prozesse initiiert - an diesen vergessenen Helden erinnern mehrere Spielfilme, nun auch "Die Akte General", mit einem beeindruckenden Ulrich Noethen als Fritz Bauer. Regisseur Stephan Wagner und Drehbuchautor Alex Buresch erklären die Bedeutung seines Handelns für die junge Bundesrepublik.

Erst "Das Labyrinth des Schweigens", dann "Der Staat gegen Fritz Bauer", jetzt Ihre "Akte General". Wie kommt es zu dieser Fülle von Filmen über den Nazijäger Fritz Bauer?
ALEX BURESCH Manche Themen liegen in der Luft. Wir hatten schon lange an dem Stoff gearbeitet, als wir von dem Konkurrenzprojekt hörten. Im "Labyrinth" taucht die Figur Fritz Bauer aber nur in drei Szenen auf, er ist da eine Nebenfigur.
Trotzdem: Warum gerade jetzt diese Filme?
BURESCH Vor ungefähr fünf Jahren wurden Geheimdienstdokumente im Bundesarchiv einsehbar, die den Kontakt zwischen dem Generalstaatsanwalt und dem israelischen Geheimdienst Mossad zum Inhalt hatten. Ich nehme an, dass das auch für Lars Kraumes Film "Der Staat gegen Fritz Bauer" entscheidend war.

Das Adenauer-Deutschland hat in Ihrem Film kein großes Interesse an der Aufarbeitung von Naziverbrechen.
STEPHAN WAGNER Gesellschaften beschäftigen sich mit der Aufarbeitung derartiger Verbrechen erfahrungsgemäß erst dann, wenn die Menschen, denen man damit auf die Zehen treten kann, nicht mehr leben und einem nicht mehr schaden können.

BURESCH Mir war zu Beginn der Recherche nicht klar, dass die Gerichte damals tatsächlich voller alter Nazis waren. Dann habe ich verstanden: Das kann gar nicht anders sein.

In der DDR lief es schon anders, oder?
BURESCH Nicht wirklich. Alle Länder, in denen ein Regime abgelöst wird, stehen vor dem gleichen Problem: Gegner und Profiteure des alten Systems in das neue zu integrieren. Adenauer hat das geschafft. Im Guten wie im Schlechten.

Im Film wirkt er fast wie ein Gegenspieler zum Nazis jagenden Fritz Bauer.
BURESCH Er hat versucht, diese Menschen zu integrieren, aber er hat natürlich auch versucht, den Mantel des Schweigens über die Vergangenheit zu decken. Wenn wir heute sagen können, Deutschland ist ein Land, das seine Vergangenheit aufgearbeitet hat, dann liegt das an Menschen wie Fritz Bauer. Der Kampf dieser Kräfte - Adenauer und Bauer -, das war das, was unsere Republik eigentlich konstituiert hat.

Es wirkt in Ihrem Film so, als wusste die Bevölkerung Anfang der 50er-Jahre nichts von den Konzentrationslagern.
WAGNER In der Abstraktion wusste man es schon, in der Konkretion nicht: Was haben diese Lager für das einzelne Schicksal bedeutet? Was ist dort tatsächlich geschehen?

Die Amerikaner haben das Grauen dokumentiert, das sie bei der Befreiung sahen.
WAGNER Das stimmt. Aber ich denke, das war nicht anders als heute: Wer Informationen haben möchte, bekommt sie auch. Das Internet ist voll von Informationen, aber diese Fülle sorgt nicht für ein gesellschaftliches Wissen. Die Informationen über die KZs waren verfügbar. Man hätte sogar noch Zeitzeugen fragen können. Aber es war ein gesellschaftliches Tabuthema.

BURESCH Es ist Fritz Bauers Verdienst, dass mit den Auschwitz-Prozessen und der intensiven Berichterstattung darüber die Öffentlichkeit plötzlich gezwungen war, sich mit den KZs auseinanderzusetzen.

WAGNER Dadurch wurde die Systematik der Menschenvernichtung erstmals öffentlich. Das Wissen darüber hat die Generation gehabt, die in Amt und Würden war. An der Weitergabe dieses Wissen hatte sie nur wenig Interesse. Es wurde verschwiegen und vertuscht.

Wie ist ein Mann wie Fritz Bauer, der so viele Gegner hatte, zu der einflussreichen Position eines Generalstaatsanwalts gekommen?
BURESCH Er wurde von SPD-Kollegen gefragt, während er im dänischen Exil war. Er zögerte wohl zunächst - als Jude zurück nach Deutschland? Dann ist er jedoch 1950 Staatsanwalt in Braunschweig geworden.

Und sorgte dort dafür, dass die Hitler-Attentäter vom 20. Juli rehabilitiert wurden.
BURESCH Sein Plädoyer im Remer-Prozess von 1952 ist legendär. Die Widerstandskämpfer galten noch immer als Vaterlandsverräter. Fritz Bauer hat vorgeführt, dass ein Staat wie Nazideutschland nicht hochverratsfähig sein kann, weil er ein Unrechtsstaat war.

In Ihrem Film ist Fritz Bauer homosexuell - immer noch ein Politikum - und mit einer lesbischen Frau verheiratet.
BURESCH Er war verheiratet. Mit der dänischen Kindergärtnerin Anna Maria. Dass die lesbisch war, ist allerdings Spekulation.
WAGNER Es gibt tatsächlich Historiker, die nicht wahrhaben wollen, dass Bauer schwul war. Weil sie wohl der Ansicht sind, dass das seine Verdienste schmälert. Diese Skandalisierung erzählt mehr über die Menschen, die das zum Skandal machen, als über Bauer.

Ein schwul-lesbisches Zweckbündnis wirkt trotzdem zu modern für die 50er-Jahre.
WAGNER Das gab es sogar schon vorher. Denken Sie an Gustaf Gründgens und Marianne Hoppe.

Frank I. Aures

Die Akte General
MI 24.2. Das Erste 20.15 Uhr