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Krimi im TV

Fifty Shades of Violence

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Gillian Anderson als "Stella Gibson in "The Fall" zdf

Die Krimiserie "The Fall" sorgte in Großbritannien für Topquoten... und für heftige Diskussionen über Gewalt gegen Frauen im TV

Als leitende Ermittlerin in der Krimiserie "Heißer Verdacht" hat Dame Helen Mirren in den Jahren von 1991 bis 2006 eine Vielzahl an Gewaltverbrechen aufgeklärt. Doch in letzter Zeit stört sich die 70-Jährige an Gewaltexzessen im TV. Vor allem aber ärgert es sie, dass "die meisten Leichen junge Frauen" sind. Mit dieser Meinung steht die Oscar-Preisträgerin nicht allein. "Warum glaubt die BBC, dass Gewalt gegen Frauen sexy ist?", echauffierte sich der TV-Kritiker der "Daily Mail". Und sein Kollege von der "Radio Times" stimmt zu: Die Serie "The Fall" habe eindeutig "die Grenze überschritten"

Mit "The Fall" lieferte Schauspieler Jamie Dornan quasi sein Bewerbungsvideo für "Fifty Shades of Grey" ab. Denn hier wie dort liebt er es, Frauen zu fesseln und ihnen Schmerzen zuzufügen. Mit dem Unterschied, dass die Frauen in "The Fall" nicht ihr Einverständnis gegeben haben, sondern von Paul Spector (Dornan) benutzt werden, um seine sexu- ellen Gewalt- und Mordfantasien auszuleben. Weil die Serie von Allan Cubitt nicht nur die Jagd auf den Killer zeigt, sondern auch dessen Alltag als psychologischer Trauerbegleiter, Ehemann und liebe- voller Familienvater, bringt sie den Zuschauer dazu, unwillentlich Sympathien für die Bestie zu entwickeln. Ein gewagter Spagat, der jedoch zum Erfolg führte: "The Fall" war für die BBC die erfolgreichste Dramaserie seit mehr als 20 Jahren.

Einen großen Anteil daran hat "Akte X"-Star Gillian Anderson, der als Ermittlerin Stella Gibson auch die Aufgabe zufällt, ein Gegengewicht zur misogynen Stimmung der Serie zu erzeugen. Und tatsächlich ist die kühl-kalkulierende Londoner Polizistin, die eigentlich nur in Belfast eine unge- löste Mordermittlung überprüfen soll, eine extrem starke Frauenfigur. Nicht weil sie einem jungen Kollegen mal eben die Nummer ihres Hotelzim- mers steckt, um ihre Gelüste zu befriedigen, son- dern weil sie über jeden Aspekt in ihrem berufli- chen und privaten Leben die völlige Kontrolle hat

Daher will sich Autor Allan Cubitt auch nicht den Schuh anziehen, dass er Gewalt gegen Frauen glori- fiziere. In einem Gastbeitrag für den "Guardian" ver- teidigt er "The Fall": "Gewalt gegen Frauen ist schon lange ein Teil von TV-Krimis. Meine Sorge dabei ist immer, dass man selten erfährt, wer diese Opfer eigentlich sind. Deshalb fühlt der Zuschauer nichts für sie." Aus diesem Grund beginnt die Serie - an ders als zum Beispiel jüngst die US-Serie "Stalker" - auch nicht gleich mit einem Mord, sondern lässt den Zuschauer eine Stunde lang das Opfer mit all ihren Facetten kennenlernen.

Dass der Killer wie in so vielen anderen Serien auf Frauen fixiert ist, kann man beklagen - es wird aber von Kriminalstatistiken gedeckt. Laut FBI-Statistik sind 85 Prozent aller Serienkiller männlich und 70 Prozent aller Opfer von Serienkillern weiblich.

Tatsächlich - und das sagt eigentlich noch viel mehr über unsere Gesellschaft aus als die Faszina- tion für harte Krimis - ist das Unwahrscheinlichste an "The Fall", dass Detective Superintendent Stella Gibson die Aufklärung der Verbrechen in die Hände gelegt bekommt. Denn aktuell werden in England und Wales gerade einmal 21,4 Prozent der leitenden Polizeiposten von Frauen bekleidet. R. Meyer